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haben wir uns auf „Hugo“ geeinigt. Wie wir ausgerechnet auf diesen Namen gekommen sind, das kann ich heute nicht mehr sagen.

      Von nun an war Hugo mein liebster Spielgefährte, wenn ich bei den Großeltern gewesen bin. Beim Füttern hat Hugo immer eine Zusatzration bekommen. Als Vierjähriger habe ich mich mit ihm unterhalten und ich war überzeugt, dass er mich immer gut verstanden hat.

      Eigentlich haben ja alle Kaninchen gleich ausgesehen. Trotzdem habe ich Hugo immer aus allen heraus erkannt. So wurde Hugo größer und größer. Für Kaninchen ist das kein gutes Omen. Damals habe ich das noch nicht gewusst. Daran, dass meinem Hugo einmal etwas Schlimmes widerfahren könne, habe ich nie gedacht. Wo ich ihn doch so gut gefüttert und betreut habe!

      Wie immer, wenn ein Karnickel geschlachtet worden war, sind wir zum Festessen von den Großeltern eingeladen worden. Wir saßen schon am Tisch, als mir plötzlich ein schlimmer Gedanke durch den Kopf schoss. So schnell ich konnte, raste ich raus zum Kaninchenstall.

      Hugo war nicht mehr da!

      „Ist das mein Hugo?“, habe ich gefragt, als die dampfende Pfanne auf den Tisch kam.

      Es folgte betretenes Schweigen. Außer mir hatte das jeder gewusst. Sicher hatten alle in diesem Moment ein schlechtes Gewissen. Allen voran der Opa. Die Oma versuchte die Situation zu retten: „Vielleicht hast du den Hugo gerade übersehen. Die sehen doch alle gleich aus.“ Das konnte nicht sein. Meinen Hugo hätte ich erkannt, dessen war ich mir sicher.

      Für mich ist eine Welt zusammengebrochen. Der liebe gute Opa! Der mir den Hugo geschenkt hatte. Der so oft dabei gewesen ist, wenn ich mit ihm gespielt hatte. Der hatte ihn jetzt getötet! Ein furchtbarer Gedanke! Und jetzt sollte er auch noch aufgegessen werden! Das war zu viel für mein kindliches Gemüt. Ich habe geweint. Nein, essen wollte ich heute überhaupt nichts. Sicher war dem Opa in diesem Moment auch der Appetit vergangen. Aber ich war von ihm enttäuscht. Wie nur hat er so etwas tun können!

      Wieder wollte die Oma vermitteln: „Dann iss doch wenigstens Kloß mit Soße.“ Nein, die Soße, in welcher der arme Hugo jetzt gelegen hat, die wollte ich auch nicht essen. Alles war für mich so furchtbar.

      Die Oma hat mir auf die Schnelle etwas Anderes gemacht. Ich glaube, es war Grießbrei.

      Zum Opa hatte ich für einige Zeit ein gestörtes Verhältnis. Sicher hat ihn das sogar noch mehr geschmerzt.

      Aber allzu lange hat dieser Zustand nicht angehalten.

      KdF war die Abkürzung für „Kraft durch Freude“. So wurde im Dritten Reich die große staatliche Ferienorganisation genannt. Sie stand unter dem Dach der „Deutschen Arbeiterfront“, die wiederum die Nachfolgerin der zerschlagenen Gewerkschaften gewesen ist.

      Mit KdF sollte der arbeitenden Bevölkerung ein bezahlbarer Urlaub ermöglicht werden. Urlaub galt damals weitgehend noch als Luxus. Nicht sehr viele konnten ihn sich leisten.

      Auch meine Eltern haben von diesem neuen Angebot Gebrauch gemacht. 1935 waren wir in Füssen/Allgäu, 1936 in Wyk auf Föhr. Für die jeweils 8 Tage mussten pro Person 35 Mark bezahlt werden. Das war weniger, als der durchschnittliche Wochenverdienst eines Arbeiters.

      Im Jahr 1938 haben meine Eltern mit der „Wilhelm-Gustloff“ an einer großen Norwegen-Rundfahrt teilgenommen.

      Mit der Füssen-Reise verbinden mich noch sehr gute Erinnerungen. Wir waren privat untergebracht, wie das bei den meisten KdF-Reisen üblich gewesen ist.

      Weit mehr als die schöne Berglandschaft hat mich das Honigbrötchen interessiert, welches es jeden Morgen zum Frühstück gegeben hat. Bisher habe ich nur Mutters köstliche, selbst eingemachte Marmelade gekannt. Die war auch prima. Aber dieses Honigbrötchen jetzt, das war für mich das Höchste. Und das ist auch heute noch das Erste, was mir einfällt, wenn ich das Wort Füssen höre.

      Der absolute Horror war für mich Siebenjährigen eine Ruderpartie auf einem der zahlreichen Seen in dieser Gegend. Mein Vater hatte sich vorher lange mit dem Bootsvermieter unterhalten. Und da hatte ich einige Gesprächsfetzen aufgefangen, die gar nicht gut bei mir angekommen sind.

      Als damals noch Nichtschwimmer wusste ich jetzt, dass dieser See 95 m tief ist und, dass in einem See ganz in der Nähe sogar einmal ein König ertrunken ist. Dieses Wissen hat mich die ganze Stunde auf dem See nicht losgelassen. Ich war erst wieder richtig froh, als diese Bootsfahrt zu Ende gewesen ist.

      Die Hin- und Rückfahrt geschah in einem Nachtzug. Mein ideenreicher Vater hatte für mich gut vorgesorgt. Damit es mir während der Nacht an Nichts fehlen sollte, hatte er eine Hängematte im Gepäck. Die hat er quer durchs Abteil – vom Fenster zur Tür – gespannt. Frei über den Köpfen der Anderen schwebend, habe ich einigermaßen gut schlafen können.

      Die inzwischen populäre Bezeichnung „KdF“ sollte auch der Name für ein, sich in der Entwicklung befindendes, neues Auto werden. So, wie die KdF-Reisen, so sollte auch dieses Auto für Jedermann erschwinglich werden. Das war der Grundgedanke.

      Mit den Konstruktionsarbeiten wurde der damals schon bekannte Professor Porsche beauftragt. Der bekam dafür weitreichende Vollmachten. Kosten sollten dabei keine Rolle spielen. Alles hat unter größter Geheimhaltung stattgefunden. Das war üblich in einem totalitären System, wie es das Dritte Reich gewesen ist.

      Diesem gewaltigen Projekt wurde ein so hoher Stellenwert beigemessen, dass es allein Hitler vorbehalten sein sollte, es als Erster vor dem deutschen Volk zu verkünden.

      An diesem Tag im Jahre 1937 kann ich mich noch gut erinnern. Auch an die begeisterten Reaktionen, die diesem Ereignis folgten. Ich hielt mich an diesem Tag bei den Großeltern auf. Auch sie besaßen inzwischen den Volksempfänger. Auch der Volksempfänger war ein Prestigeprojekt, welches man für sagenhafte 35 Mark kaufen konnte.

      Ich hörte, wie das Programm durch eine Fanfare unterbrochen wurde. Jeder hat dieses Signal gekannt. Darauf folgte immer eine „Sondermeldung“. Die begann mit dem üblichen: „Achtung, Achtung!“. Das waren die Worte, die damals jeder Bekanntmachung vorangestellt wurden.

      „Unser Führer und Reichskanzler Adolf Hitler wird in Kürze eine wichtige Rede an das deutsche Volk halten“.

      Daraufhin wurde das Programm geändert. Wir hörten jetzt nur noch Marschmusik, welche in regelmäßigen Abständen unterbrochen wurde, um die Ankündigung der Führerrede zu wiederholen.

      Jeder hat gewusst, dass es noch geraume Zeit dauern würde, bis Hitler mit seiner Rede beginnt.

      Es begann die bekannte Zeremonie und das Getöse, welches jeder Rede vorangegangen war.

      Wer zufällig sein Radio einstellte und die Marschmusik hörte, der wusste, dass bald etwas besonderes geschehen wird. Der blieb dann meist gespannt vor dem Radio sitzen.

      Die Nachricht von der bevorstehenden Führerrede sollte bis in den letzten Winkel des Reiches dringen. Das hat bei den damaligen Kommunikationsmöglichkeiten gedauert! Manchmal mehrere Stunden. Hitler ist erst dann aufgetreten, wenn als einigermaßen gesichert schien, dass so gut wie jeder Volksgenosse irgendwo vor einem Radio gesessen hat. So ist es auch am Ende tatsächlich gewesen. Wenn Hitler gesprochen hat, waren alle Straßen wie leer gefegt. Hitler befand sich in den Jahren 1937/1938 auf dem Höhepunkt seiner Macht. Auch die strengsten Kritiker mussten einräumen, dass er freie Wahlen nach heutigem Standard nicht hätte zu scheuen brauchen. Ihm wäre die absolute Mehrheit sicher gewesen.

      Je länger es gedauert hat, um so mehr wuchs die Spannung. Hitlers bald bevorstehender Auftritt steigerte sich zu einem Riesenspektakel. Unter tosendem Beifall wurde mehrmals verkündet, dass der Führer bald erscheinen werde.

      Immer wieder haben die Beifallsstürme eine Eigendynamik entwickelt. Die Sprechchöre mussten nicht eingeübt werden. Es waren immer die gleichen. Jeder hat sie gekannt. So wurde in Erwartung Hitlers mehrmals gebrüllt: „Wir wollen unseren Führer sehen!“ Jede Silbe wurde einzeln

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