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fliegenden Sitze waren auf Ketten befestigt.

      Da auch meine Eltern Selbstversorger waren und kaum Geld hatten, bekamen wir als Kinder und Jugendliche auch kein Taschengeld. Um an der „Kerweih“ mit der „Englisch-Reiterei“ fahren zu können, mussten wir 5 Runden lang anschieben, um dann eine Runde gratis fahren zu können. Allerdings habe ich als Messdiener (Ministrant) bei Begräbnissen, Hochzeiten und beim Ratschen zu Ostern etwas Geld verdient, das ich für die „Kerweih“ jeweils zur Seite gelegt hatte.

      Zu Fasching gab es für uns Kinder nachmittags Unterhaltungen; diese nannte man „Dudasch“: Dabei konnten wir die ersten „Gehversuche“ mit Tanzschritten machen. Einer spielte mit einer Ziehharmonika; es wurde gehüpft oder wenn man will auch schon getanzt.

      Für die ledigen Jugendlichen gab es in der Faschingszeit jeden Sonntagnachmittag Tanz in einem Wirtshaus. Am Faschingsdienstag war für Ledige bereits um 22 : 00 Uhr Schluss. Die verheirateten Paare durften – an anderen Veranstaltungsorten – bis Mitternacht tanzen. Anschließend war strengste Fastenzeit bis zum Karsamstag/​Ostersonntag, jedenfalls bis zur Auferstehung angesagt.

      Für jeden Ministranten war ein Höhepunkt des Jahres die Ratschentage. Vom Gründonnerstag bis Karsamstag haben wir mit unseren Handratschen die Glocken, die ja bekanntlich in dieser Zeit nach Rom geflogen waren, ersetzt. Wir gingen in die einzelnen Häuser, konnten aber dabei kein Geld einsammeln; vielmehr haben wir viele Eier bekommen. Der „Karl-Vetter“ hat die vielen Eier dann für uns verkauft und das erlöste Geld an uns Ministranten verteilt.

      Das Ratschen war am Karsamstag zu Ende, an dem der Herrgott auferstanden war und die Glocken wieder aus Rom zurückgekehrt waren. Nachdem die Glocken das erste Mal läuteten, haben wir – die Kinder – die Obstbäume kräftig geschüttelt; nach dem Brauch sollten die Obstbäume durch das Schütteln in diesem Jahr dann viele Früchte tragen.

      Zu Weihnachten ist bei uns in Kernei das „Christkindl“ gekommen; einen Weihnachtsmann oder einen „Santa Claus“ kannten wir damals nicht. Das „Christkindl“ war meist ein Elternteil, das sich hinter einem weißen Leintuch versteckte. Für schlimme Kinder gab es den einen oder anderen Hieb mit der Rute. Das „Christkindl“ brachte Nüsse, Äpfel und Dörrzwetschken für die Kinder; Geschenke, wie wir dies in der heutigen Zeit kennen, gab es nicht.

      Der Neujahrswunsch der Kerneier, der sich treffsicher auf das Wesentliche im Leben besinnt, klingt aus heutiger Sicht fast wie eine beschwörende Vorahnung. Eltern und Verwandte gratulierten wir mit folgendem Neujahrswunsch: „Ich wünsche Euch ein glückliches neues Jahr, ein langes Leben, Gesundheit, Friede und Einigkeit und nach dem Tod die ewige Glückseligkeit.“ Eineinhalb Jahrhunderte hatten wir Kerneier einander zum neuen Jahr Friede und Einigkeit gewünscht; offenbar eine Vorahnung, dass Krieg und Zwietracht das Ende von Kernei bringen würden.

       Kapitel 2

       TERZ, BELUS UND ROTOBER MIT VIERZEHNER – DIE KERNEIER LEIDENSCHAFT

      Wenn die Ernte eingebracht war, es draußen zunehmend unwirtlich kalt wurde und der Schnee das Land bedeckte, war Zeit für „Klawrias“. Ich war und bin – so wie jeder Kerneier – ein passionierter Kartenspieler. „Klawrias“ war ein Spiel mit 32 doppeldeutschen Karten und 4 Spielern, das mit Ersteigern des Spiels bei fünf aufgenommenen Karten – und drei noch nicht aufgenommenen – begann. Jeder Kerneier war ein Freund der Roten: Damit waren aber im streng katholischen Kernei nicht die Sozialdemokraten und schon gar nicht die Kommunisten – die späteren Todfeinde – gemeint, sondern die Karten der roten Farbe. Wer viele Rote hatte, konnte das Spiel über „Eichel“ (erste Ansage), „Grüne“ (Steigerung auf Spiel 2) und „Schella“ (Steigerung auf Spiel 3) auf Spiel 4 steigern und Rote zum Trumpf machen. Jedem passionierten Kartenspieler schlug das Herz höher, wenn er den „Rotober“ mit König (Belus), den „Vierzehner“ (zweithöchster Trumpf) oder eine Terz (drei Karten derselben Farbe aufsteigend), eine Quart (vier Karten) oder sogar eine Quint (fünf Karten in aufsteigender Reihenfolge) hatte. Der, der das Spiel ersteigert hatte, war der Spieler und Ausspieler gegen die drei übrigen Spieler. Wer mit dem „Rotober“ oder einem Ass stach, musste beim Ausspielen der Karte seinen Siegeswillen durch lautes Klopfen der zur Halbfaust formierten Mittel-, Ring- und Kleinfinger der Ausspielhand unterstreichen und die Karte auf den Tisch knallen. Dadurch sollten die Mitspieler eingeschüchtert oder zumindest beeindruckt werden, auch wenn die Finger nach dieser Machtdemonstration doch manchmal schmerzten. Manchmal wurden von kraftstrotzenden Spielern dabei auch noch die Mitspieler verhöhnt: „Trump, der kon’r hat, is‘ a Lump!“ („Trumpf, der keinen hat, ist ein Lump!“).

      Besonders reizvoll war es, wenn schon vor dem ersten Ausspielen dem Spieler „contra“ von einem der übrigen Gegenspieler gegeben wurde und der Spieler, der das Spiel ersteigert hatte, seine Gewinnprognose durch ein „Re“ (Retour) unterstrich. Wenn ein „Re“ durch das Zimmer hallte – egal ob in der warmen Stube zu Hause oder im Gasthaus –, war dies das Signal dafür, dass sich für wenige Minuten die ganze Welt um diesen Tisch zu drehen hatte: Der Spieler (es waren praktisch nur Männer), welcher so laut „Re“ gerufen hatte, wollte ja gleichsam die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und alle sollten sich als Kiebitze rund um diesen Tisch versammeln. Gleichzeitig musste es absolut still sein; denn auch durch eine noch so vage Andeutung durfte der Kiebitz, der mehrere Kartenblätter gleichzeitig sah, das Spiel nicht verraten oder auch nur durch Grimassenspiel oder Räuspern in das Spiel eingreifen. Es war dann so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Diese Stille und Anspannung war die Ruhe vor dem Sturm: Das harte Klopfen mit den „Rotober“ oder einem Ass auf den Tisch wurde dadurch noch spektakulärer. In dieser spannungsgeladenen Stille, in der jeder Plausch von Spielern und Kiebitzen striktest verboten war, durfte nur ein Wort fallen: Das machtvolle Wort „Trumpf“, ausgesprochen von jenem Spieler, der laut mit der Stichkarte auf den Tisch klopfte und den Stich für sich reklamierte.

      Manchmal nahm das Gehabe durchaus Züge eines Duells an, das aber Gott sei Dank nur im nachfolgenden Spiel freundschaftlich – und nicht mit Fäusten oder Waffen – ausgetragen wurde. Die dabei verwendeten Begriffe und Lizitationsstufen sind selbstredend; interessant ist, dass die letzten Lizitationsstufen schon einen selbstironischen Charakter hatten. Die duellhaften, sich steigernden Spielankündigungen, die jeweils eine Verdoppelung des Einsatzes (es wurde aber nur um Körner oder Kleingeld gespielt) zur Folge hatten, lauteten: „Contra“ – „Re“ (Retour) – „Sub“„Mord“Strohwusch“„Heuwusch“. Ein „Mord-Spiel“ oder sogar ein „Strohwusch“ oder „Heuwusch“ zu gewinnen, blieb einige Zeit in Erinnerung.

      Der bei guten Karten entwickelte Spielrausch wurde oft auch durch den nicht unbeträchtlichen Weinkonsum angefacht. Dabei führte, etwas abergläubisch, der Rotweinkonsum oft dazu, dass möglichst viele „Rote“ aufgenommen werden konnten. Die Leidenschaft des Kartenspielers, möglichst wenig Zeit für anderes zu verlieren und sofort das nächste Spiel mit neuem Glück anschließen zu lassen, führte bei dem nicht unbeträchtlichen Weinkonsum oft dazu, dass der eine oder andere Spieler schon herumzappelte, aber nicht zugestehen wollte, dass er eine Spielunterbrechung benötigte. Daher stammt wohl auch die Kerneier Redewendung: „Brunzrig wie ein Kartenspieler.“

       Kapitel 3

       „BROTWERSCHT“ UND SARMENKRAUT – DIE KERNEIER SPEZIALITÄTEN

      Die Kerneier haben gut – vielleicht zu gut – und viel – vielleicht zu viel – gegessen. Die damaligen, aus heutiger Sicht sehr fetten Speisen konnten aber von fest arbeitenden Bauersleuten gut verarbeitet werden. Bis zuletzt blieb aber das Problem ungelöst, dass viele Männer, die Haus und Hof an Kinder übergeben hatten, weiterhin

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