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die Schul- bzw. Ausbildung und Erwerbsarbeit der Mädchen und Frauen notwendig machte, waren die Möglichkeiten, vor allem für die Mädchen aus dem Bürgertum, beschränkt: Im schulischen Bereich aufgrund der Begrenzung der Mädchenbildung, beruflich aufgrund der Einengung auf Tätigkeiten wie Lehrerin oder Erzieherin, die weitestgehend an die Forderung der Ehelosigkeit gebunden waren (vgl. Klönne, 1998, S. 16 f). Verbunden mit dieser Vorstellung ist der Begriff der geistigen Mütterlichkeit, der auf Henriette Schrader-Breymann zurückgeht und mit dem die bürgerliche Frauenbewegung ein Konzept herausarbeitete, das Frauen in den „mütterlichen“ bereichen wie Erziehung oder Sozialarbeit die Möglichkeit auf Erwerbstätigkeit ohne Verlust des sozialen Standes bot (vgl. u. a. Schade, 1996, S. 14). Demnach bildet den Rahmen für die Beziehung der Geschlechter und das Geschlechterverhältnis jener Zeit, somit auch für die Jugendbewegung, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung (vgl. Klönne, 2000, S. 16). Zwar versuchte die seit 1848 tätige Frauenbewegung in Deutschland, hier Veränderungen zu bewirken (vgl. Raschke, 1988, S. 40), dennoch blieb für die Mehrheit der weiblichen Jugend aus den bürgerlichen Schichten ihr Lebensentwurf bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg hinein einseitig auf den der Ehefrau und Mutter hin orientiert (vgl. Klönne, 1996, S. 251). Selbst diejenigen Mädchen und jungen Frauen, die die Möglichkeit hatten, sich zu bilden, gaben nach Busse-Wilson ohne weiteres Ausbildung und Berufsarbeit auf, sobald sich die Gelegenheit einer Eheschließung bot (vgl. 1920, S. 41). Gegenüber dem Leben als „alte Jungfer“, die im Haushalt der Eltern oder unverheirateter Geschwister ein nur geduldetes, freudloses und unnützes Dasein fristete, ohne eine große Auswahl an persönlicher Erwerbstätigkeit, schienen Ehe und Familie ein akzeptableres Leben zu sein (vgl. Frevert, 1986, S. 44). Außerdem gab es den Frauen eine persönliche und gesellschaftliche Bedeutung (vgl. Klönne, 2000, S. 32). Diese Orientierung der Mädchen und Frauen auf zwei Praxisfelder, Beruf und Familie, bezeichnet Klönne als „doppelten Vergesellschaftungsprozeß“ (vgl. 1998, S. 94).

      Demzufolge vollzog sich ein Wandel im Geschlechterverhältnis. War jenes vor der Industrialisierung, geprägt durch die Standeszugehörigkeit, „recht“ ähnlich gewesen, differenzierte es sich im Laufe der Zeit immer mehr in spezifische Geschlechtscharaktere (vgl. Frevert, 1986, S. 21 f). Dieser Wandel muß auch vor dem Hintergrund der im 19. Jh. einsetzenden Diskurse zum Thema Frau und Geschlecht (vgl. Andresen, 2003, S. 103) gesehen werden, die diese Geschlechtsspezifika herausarbeiteten. Zu ihnen gesellte sich auch gegen Ende des 19. Jh. der Diskurs um die weibliche Jugend. Diese Diskurse wurden von einer männlich dominierten Denk- und Sichtweise aus geführt, weshalb im Frauenbild dieser Zeit (19 Jh.) immer das „Andere“ im Vergleich zum Mann gesehen wurde: Mann = Arbeit, Verstand (Logos); Frau = Familie, Liebe (Eros), (vgl. Reese, 1991, S. 10). Diese geschlechtsspezifischen Eigenschaften schienen sich aber nicht nur ideal zu ergänzen (vgl. Frevert, 1986, S. 22), sondern standen sich auch polar gegenüber, weshalb in der Literatur von Geschlechterpolarität23 gesprochen wird. Auch hatten sie kritische Auseinandersetzung über das weibliche Geschlecht bis hin zum Antifeminismus24 zur Folge (vgl. 3.1). Daneben bedeutete die Polarität für die Frau eine Fixierung auf „ihre“ Rolle – im Sinne von Geschlechterrolle25 – in Ehe und Familie, wodurch sich das Selbstwertgefühl der Frau, ihre Identität und ihr gesellschaftliches Ansehen nur über den beruflichen Status des männlichen Familienoberhauptes gewinnen ließen (vgl. Klönne, 2000, S. 32). Für die jungen Mädchen bedeutete das, daß ihre Jugendphase ausschließlich als Vorbereitung auf ihr zukünftiges Mutter- bzw. Familiendasein verstanden wurde (vgl. Andresen, 2003, 137), unabhängig davon, daß sich in dieser Lebensphase vor allem der Gleichwertigkeitsgedanke aller Menschenleben ausdrückte (vgl. Reese, 1991, S. 8).

      Busse-Wilson kritisierte diese Form der umfassenden Einengung des Handlungsraums des weiblichen Geschlechts und damit auch der weiblichen Jugend sowie die sich mehr als deutlich darin ausdrückende Hierarchie der Geschlechter26, gekennzeichnet durch eine männliche Dominanz. Im Zentrum ihrer Kritik stand das den Mädchen und jungen Frauen auferlegte Keuschheitsgebot: Das Gebot, als „tadellos intakte Bräute“ (Busse-Wilson, 1920, S. 43) in die Ehe zu gehen, während den Jünglingen auch zugestanden wurde, sich vor der Ehe bei Prostituierten oder in unverbindlichen Liebschaften mit Mädchen unterer Sozialschichten die „Hörner abzustoßen“ (vgl. Frevert, 1986, S. 130). Busse-Wilson machte das Keuschheitsgebot nicht nur als Ursache für die psychosozialen Einschränkungen weiblicher Sozialisation verantwortlich: Geringfügige Bildung, weitestgehende Nichtduldung weiblicher Erwerbstätigkeit und damit letztendlicher Ausschluß von der Teilhabe am öffentlichen Leben. Darüber hinaus analysierte sie es tiefergreifend in seiner Funktion als „Grundpfeiler“ (1920, S. 56) eines „vom Manne ausgegebenen geschlechtlichen Sittengesetzes, das von den Müttern ihm zu Gefallen verwaltet und gewahrt wird“ (ebd., S. 42):

      Kaum der Kindheit entwachsen, trennt sich ja das Mädchen von den Gleichaltrigen, insonderheit auch vom Jüngling und hält innerlich wie äußerlich zur Matrone, mit ihr zusammen die bürgerliche Sitte verkörpernd. Das ganze Schwergewicht der bürgerlichen Moral hängt also, wie paradox dies auch klingen mag, an den sechzehn– bis achtzehnjährigen, die in demselben Augenblick, wo sich ihnen die Jugend auftuen will, Träger der Konvention werden. (ebd., S. 56)

      Gerade für die unverheirateten Mädchen aus dem Bürgertum, war diese von Busse-Wilson beschriebene Moralität unbefriedigend (vgl. Klönne, 1990, S. 66). Gegenüber diesen, bis weit in das 20. Jahrhundert hineinreichenden, bedrückenden Lebensumständen bot die sich entwickelnde Jugendbewegung und ihre Kultur in Deutschland den Mädchen und jungen Frauen ungeahnte Handlungsfelder und Erfahrungsmöglichkeiten. Ein Lebensraum, in dem sie ein Bewußtsein von Jugend als Chance persönlicher Handlungsfreiheit entwickeln konnten (vgl. Klönne, 2000, S. 35). Es ist davon auszugehen, daß besonders in den Untersuchungen aus der jugendbewegten Zeit der Möglichkeit des Umgangs der Geschlechter in der Jugendbewegung eine besonders „revolutionäre“ Bedeutung zukommt, gerade bei den weiblichen Forscherinnen. Die Forscherinnen aus der heutigen Zeit hingegen sollten, ausgehend von den modernen Vorstellungen einer befreiten Sexualität und eines emanzipierten Geschlechterverhältnis (vgl. Andresen, 2003, S. 13), den Umgang der Geschlechter eher kritisch bewerten.

      Wie die Mädchen Zugang in diese Bewegung fanden, wie sich die Mädchen innerhalb der Bewegung etablierten, welche Probleme es gab u. a. möchte ich im folgenden schildern.

      Erste Aufsätze und Aufrufe zum Mädchenwandern ließen sich nach Ausführungen der jugendbewegten Chronistin Else Frobenius schon im Urwandervogel, d. h. AfS finden (vgl. 1927, S. 66 f). Mehrheitlich wird jedoch auch in den aktuelleren Studien (vgl. u. a. Andresen, 2003, S. 119, Schade, 1996, S. 36) bestätigt, daß das Mädchenwandern bzw. die weibliche Jugendbewegung mit der Begründung des „Bund der Wanderschwestern“27 1905 durch Marie Luise Becker begann – der Frau von Wolfgang Kirchbach, einem Gründungsmitglied der Wandervogelbewegung. Becker äußerte sich zu diesem Ereignis in einer Wandervogelzeitschrift wie folgt (Becker in Köhler, 1987d, S. 268):

      Er (Bund der Wanderschwestern, C.K.) hat sich also (…) nun am 14. Juni d. J. gegründet und hofft, daß viele der Schwestern unserer Wandervögel daran teilnehmen und ebenso wie die Gymnasiasten auf frohen Wanderfahrten ihr Heimatland kennenlernen.

      Deutlich wird an dieser Ausführung, daß es zunächst in erster Linie die Schwestern der Jungen im Wandervogel waren, die sich jener Bewegung anschlossen und im Laufe der Zeit damit begannen, eigene Wandergruppen zu begründen (vgl. Musial, 1985, S. 16). Ähnlich wie die Jungen stammten die Mädchen mehrheitlich aus dem Bildungsbürgertum, dem oberen Mittelstand (vgl. Andresen, 2003, S. 118), und wurden von ihren Eltern dabei unterstützt, am Wandervogelleben teilzuhaben. Allerdings war der Hintergrund hier der „deutschtümelnde Gesundheitsdiskurs“: „Der Wandervogel will dazu helfen, ein an Körper, Geist und Wille starkes und gesundes deutsches Geschlecht heranzubilden“ (Verband Deutscher Wandervögel, 1914 in Klönne, 2000, S. 150). In diesem Kontext entwickelte sich in der Jugendbewegung dann auch eine Körperkultur (ähnlich wie im Ausland), die sich neben den üblichen Wanderungen in Betätigungen wie Gymnastik, Tanz mit entsprechender Kleidung ausdrückte.28 Weitere Versuche für das Mädchenwandern wurden später in der Ortsgruppe Jena angestrengt. Auf der Bundeshauptversammlung des AWVs stellte sie einen Antrag, mit dem sie für die Ausdehnung des Begriffs „der

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