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an, mich in die Fremde ziehen zu lassen und endlich schickte mich meine Mutter zu ihrem Bruder, dem Pastor Scholl in Ufhoven. „Gehe hin und sieh zu, wenn’s der zufrieden ist, dann sollst du fortgehen.“

      „Nein, das geht nicht, Christel“, sagte mein Onkel, „wenn Minor fortginge, wäre deine Mutter geschlagen.“ – „Aber Minor geht nicht fort“, drängte ich. „Nun, ich will hineinkommen und mit deiner Mutter und Musje Minor sprechen. Wenn er mir mit Handschlag angelobt, daß er deine Mutter nicht verlassen will, es sei denn, daß wir dich erst zurück hätten, so magst du hinlaufen.“

      Nun wußte ich genug. Ich jubelte und sang bis nach Hause, sprach auch noch bei Vetter Scholl vor, dem wohlhabenden Böttchermeister und Holzhändler bei der Marktkirche, in dem Hause, welches jetzo die Frau Markraf besitzt. Er war mir gut und in seiner Jugend auch, wie er sich ausdrückte, ins Reich gewandert. Zur Konferenz fand er sich auch mit ein; Minor gelobte mit Handschlag, was mein Onkel begehrt hatte und nun ging’s ans Ausrüsten.

      Der erste Reiseplan war schon lange bei mir fertig. Die Frau Amtmännin Bär war der glänzende Magnet, der mich anzog. „Vetterchen“, hatte sie oft gesagt, indem sie mich fest bei der Hand hielt, „Vetterchen, Sie sind mein einziger Namens- und Blutsverwandter, auf den ich meine Hoffnung setze. Wir wollen an unserer Bechstedtfreundschaft treu festhalten und Ihre erste Ausflucht aus Langensalza muß zu mir gehen.“ Dabei sah sie mich mit ihren schwarzen glänzenden Augen so freundlich an, daß ich das Zittern bekam. Damals war sie 25 Jahre alt, schlank, mittlerer Größe, sehr lebhaft und trug schöne Kleider. Sie glich meines Vaters Schwester, der Frau Köhler in der Treischmühle, die in ihrer Jugend die schöne Kathrin geheißen hat.

      Der Tag meiner Abreise war bestimmt. Ich hatte ein verschließbares Reisebündel von schönem Kalbleder, das fertig gepackt 29 Pfund wog. Das schien mir, da ich auszog, nicht schwer, später empfand ich es jedoch manchmal anders.

       meiner Wanderjahre und Liebesverirrungen

      Abschied – Großsömmern –

       Sondershausen – Heringen – Stolberg – Güntersberge –

       Das Lenchen – Quedlinburg –

      Den Montag vor Pfingsten 1805, vormittags neun Uhr, zog eine kleine Karawane zum Mühlhäusertore hinaus – zehn bis zwölf Kameraden, von denen einer um den anderen mein Bündel trug. Mein Bruder Heinrich, meine zwei jüngsten Schwestern und Andreas Köhler aus der Treischmühle waren dabei, sogar mein Vetter Scholl ging mit, trotz seiner fünfzig Jahre.

      Meine Mutter hatte mich endlich losgelassen und wir waren vor dem Tore rechts herumgegangen. Meine älteste Schwester war mit Minor und zwei Gesellen auf den Oberboden gestiegen und von da riefen sie mir ihr Adieu auf den Weg herunter. In Merxleben wurde Halt gemacht, Bier getrunken und gesungen. Nach einer halben Stunde rollte ein Militärwagen von Langensalza heran mit Soldaten, die nach Weißensee bestimmt waren. Sie tranken gerne einmal mit, doch als sie weiterfuhren, ließ auch ich mich nicht mehr halten, bestieg den Wagen und setzte mich zwischen die alten Clemenser, die mich kannten. „Adieu, adieu“, ging’s nüber und rüber; die Hüte wurden geschwenkt und fort fuhr ich in die Fremde.

      In Gangloffsömmern stieg ich ab und besuchte den Pachter Fischer, von dem wir oft Weizen gekauft hatten. Er nahm mich freundlich auf; nachdem ich mich zum Essen und Trinken ein bißchen hatte nötigen lassen, langte ich zu. Fischer gab mir derweil allerhand gute Lehren: „Es tut nicht gut, daß Sie so allein gehen, Mosje Bechstedt –“ und er erzählte, vor kurzem habe man im Walde, eine halbe Stunde vor Sondershausen, einen einsamen Wanderer bestohlen und halbtot geschlagen.

      Ich dankte schön für alles, nahm Abschied und marschierte nach Greußen, wo ich den Weg nach Sondershausen erfragte – Chausseen gab es damals noch nicht. Es fing an zu regnen. Trotz des Schmutzes wollte ich weiter, mußte aber schließlich doch in einem Dörfchen – Holzengel, Kirchengel oder Hausengel – bleiben. Das kleine Nest hatte keinen Gasthof: die sogenannte Schenke wurde von einem Ehepaar in den vierziger Jahren geführt. Die armen Leute kannten das Wort „logieren“ gar nicht: ich war der erste Fremde, der bei ihnen übernachten wollte. Sie lachten mich immerzu an, setzten mir einen Krug dickes gelbes Bier vor und gingen fort an ihre Arbeit.

      Ich seufzte und sah zum Fenster hinaus. Es war inzwischen wieder hell geworden – sollte ich weitergehen? Aber sicher hätte mich noch vor Sondershausen die Nacht im Walde überrascht. Die Erzählung des Pächters in Gangloffsömmern war mir doch in die Glieder gefahren; das Bestehlen und Totschlagen gefiel mir gar nicht recht – ich blieb.

      Nun fing ich an, die Stube zu mustern – siehe da! hinterm Ofen an der Wand hing eine Zither. Schnell rückte ich einen Schemel hin und holte sie herab. Sie war gestimmt und glich ganz der meinigen zu Hause. Ich begann zu klimpern und zu singen und kam bald in mein Leibstückchen:

       „Dameton war schon lange Zeit

       Der schönen Phillis nachgegangen,

       Doch konnte seine Zärtlichkeit

      Nicht einen Kuß von ihr erlangen“ usw.

      Frau und Mann lugten zur Tür herein und lachten und als mein Lied aus war, standen wohl zwanzig Menschen, klein und groß, unter meinen Fenstern und ich mußte noch eins singen und spielen. Es ergab sich hernach, daß die Zither dem sechzehnjährigen Sohne gehörte, der jetzo Knecht beim Pfarrer war.

      Ich dachte: Hier wirst du nicht bestohlen und geschlagen und schlief die ganze Nacht wie ein Prinz in einem reinen Bett mit schwerer Decke, die ich wegschob.

      Am anderen Morgen fand ich meine Gastwirte hinter dem Hause in einem Grabgarten, wo sie Kartoffeln häufelten. Sie meinten, es wäre ein schöner Besuch gewesen und ich hatte meine Not, bis sie ihre Forderung machten. Die war aber so gering, daß ich dem Entgelt noch ein Sechserbrot und eine halbe Knackwurst aus meinem Felleisen hinzufügte. Der Mann geleitete mich noch eine Viertelstunde Weges und trug mein Bündel.

      Gegen zehn Uhr kam ich in Sondershausen an. Ich führte ein altes Gebet- und Reisebüchlein mit mir und da es auch mein Vater dereinst auf seiner Wanderschaft benutzt hatte, so besaß es einen gar großen Wert für mich. Die Reisemorgen- und abendsegen und die Andachten waren eigens für junge Handwerksburschen geschrieben und gefielen mir; man wird unwillkürlich frömmer, wenn man so allein geht. Trotzdem war es nicht Furcht vor Reisegefahren, wenn ich jetzt oft in dem Büchlein las. Ich besaß Courage genug; doch setzte ich ein gewisses ehrfürchtiges Zutrauen in das Buch, weil es alt und von meinem Vater war.

      In Sondershausen reizte mich die Neuheit meiner Lage dazu, eine Dummheit zu machen. Es kam mir so sonderbar und interessant vor, daß ich auf einmal ein reisender Bäckerbursche war, wie ich deren so viele hatte in unser Haus kommen sehen, um zuzusprechen und das Geschenk zu holen. Ich ging also zum Obermeister und ließ mir das Zeichen zum Zusprechen geben. Dabei bedachte ich nicht, daß ich hier ja nicht in Arbeit gehen wollte, also auch ums Geschenk nicht zusprechen dürfe.

      Als ich in das erste Bäckerhaus eintrat, machte ich ein tüchtig Gesicht, so ernsthaft, als ich’s nur herausbringen konnte und sagte dreist: „Ein reisender Bäckergeselle spricht dem Meister zu wegen des Handwerks und bittet ums Geschenk.“ Ich bekam zwei Semmeln und ging weiter; das Ding machte mir Spaß. Als ich aber zum dritten oder vierten kam, war der Meister selber da und fragte mich: „Hast du auch Lust zum Arbeiten?“

      Wie konnte ich da nein sagen? – „Ja!“ – „Wo bist du her?“ – „Aus Langensalza“, antwortete ich kleinlaut. „So, da bist du nicht weit her.“ Diese Rede verdroß mich einigermaßen. Der Meister verlangte nun, daß ich zur Herberge gehen und meine Sachen holen sollte, um die Arbeit bei ihm anzutreten. Ich antwortete zwar: „Gut, Herr Meister“, aber im Inneren sah es bei mir nicht gut aus. So bedrückt war ich, daß ich kaum Atem holen konnte. Ich suchte den Obermeister wieder auf, gab mein Zeichen ab, erhielt meine Kundschaft (das war damals der Reisepaß), zahlte meine kleine Zeche,

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