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ein politischer Gebrauchstext von schlichter Schönheit, ein Aufruf zur Verteidigung der Bürgerrechte.

      Seit Dietmar Dath seine sozialistische Streitschrift Maschinenwinter (2008) veröffentlicht hat, begeistern sich gerade junge Leser für das schmale Buch. Der Schriftsteller, Übersetzer und Journalist ist womöglich der derzeit meistzitierte deutschsprachige Gegenwartsautor im hiesigen Blätterwald. Dabei nimmt der überzeugte Marxist kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Kritik des Kapitalismus in der Perspektive seiner Überwindung geht. Neben einer kaum noch überschaubaren Anzahl ambitionierter Science-Fiction-Romane hat der Suhrkamp-Autor eine Reihe von Sachbüchern über Mathematik oder Phänomene der Popkultur geschrieben. Mit Maschinenwinter gelang ihm eine politische Kampfschrift, die bei alten und jungen Linken viel Zuspruch fand. Schon jetzt ist sie ein wichtiger Bezugspunkt für Debatten quer durch alle Fraktionen der Linken. Dath klärt auf, wie unvernünftig eine Welt organisiert ist, die angesichts hochentwickelter Produktivkräfte nicht in der Lage ist, den kollektiv geschaffenen Reichtum gerecht zu verteilen. Der Sozialismus verlangt in seinen Augen keineswegs einen neuen Menschen. Vielmehr sieht Dath schon die heute lebenden Vertreter der Gattung als hinreichend vernunftbegabt und lernfähig an, um der Herrschaft des Kapitals selbst ein Ende zu setzen.

      Dath geht es um die Entdeckung kollektiver Handlungsmächtigkeit in gemeinsamer Praxis, nicht um Glaubenssätze ideologischer Schulen. Wie man die Bewohner von Asylbewerberheimen schützt, militärische Propagandaschauen stört oder Konzerne beschämt, die ihre Gewinne durch moderne Sklavenarbeit erzielen, darauf könne man sich leicht verständigen. Um durchzuschlagen, dürfe revolutionäre Politik aber nicht auf pure Spontaneität bauen, sondern müsse sich so organisieren, wie es die heutige Situation erfordert. Unverzichtbar bleibe die Freistellung politisch Hauptamtlicher, denn die Besitzlosen müssten ihren Zustand zwar selbst demokratisch aufheben, könnten das bestehende System aber nicht irgendwann nach Feierabend sprengen.

      Die künftige Internationale sieht er in der Pflicht, nicht nur von den Erfolgen, sondern auch von den Fehlern derjenigen zu lernen, die sich an die Lehrsätze der Klassiker gehalten haben. »Beim nächsten Versuch sollte man sich darauf verstehen, die Sogwirkung des Weltmarkts, die Unmöglichkeit der Autarkie und andere rein ökonomische Faktoren ebenso wenig zu missachten wie die Notwendigkeit, alles, was man unternimmt, schon in der Phase des Kampfes um demokratische Planung so demokratisch (und so geplant!) wie möglich anzugehen.«

      Der Romancier und Übersetzer Raul Zelik hat sich dem Thema staatlicher Gewalt aus ganz verschiedenen Perspektiven genähert: als Romanautor, Verfasser von Reportagen und als Politikwissenschaftler. Einen Namen als Schriftsteller machte er sich mit den Romanen La Negra (2000) und Bastard. Die Geschichte der Journalistin Lee (2004). In seiner Reportage Made in Venezuela (2004) gibt er Innenansichten der bolivarianischen Revolution. Die Handlung seines Polit-Thrillers Der bewaffnete Freund (2007) spielt vor dem Hintergrund des baskischen Konflikts und ist zugleich eine Art literarisches Roadmovie durch den politischen Untergrund auf der Iberischen Halbinsel. Zeliks Protagonisten reflektieren über Freundschaft, emotionale Nähe, die Kontinuität des Faschismus in Spanien, Staatsterrorismus, aber auch über die Problematik einer militarisierten Gegengewalt. Der Roman untersucht den politischen Terror beider Seiten mit erzählerischen Mitteln und stellt den Nationalismus der baskischen Befreiungsbewegung, aber auch die radikale linke Identitätskritik in Frage. Auf diese Weise fügt er der verfahrenen Gewaltdiskussion selten gehörte Zwischentöne hinzu. »Man kann im Baskenland sehen, wie in Europa Ausnahmezustände etabliert sind. Man spricht dort davon, dass in den dreißig Jahren seit dem Beginn der Demokratisierung etwa 7000 Menschen gefoltert worden sind. Bei drei Millionen Einwohnern ist das eine wahnsinnig hohe Zahl. Das kann in Europa passieren, ohne dass darüber gesprochen wird.«32 Zeliks Reportagen und politische Analysen zeigen, dass der bürgerliche Staat kein verlässlicher Friedensgarant ist, sondern eine extreme Form organisierter Gewalt in sich birgt. Besonderes Augenmerk verdient ein Gesprächsbuch, das Zelik gemeinsam mit dem Ökonomen Elmar Altvater gemacht hat. Unter dem Titel Die Vermessung der Utopie haben sie im Herbst 2009 einen Gegenentwurf zur kapitalistischen Wachstumsgesellschaft entwickelt. Ihre wichtigste These lautet: Die gegenwärtige Finanzkrise, die globale Überproduktion, der Klimawandel und die wachsenden sozialen Gegensätze können nur durch eine radikale Transformation der Ökonomie bewältigt werden.

      Was sie tun können

      Eine der Erfolgsstrategien neoliberaler Ideologen bestand darin, Keile zwischen die Bewegungen zu treiben, die eine emanzipatorische Politik verfolgten. Waren Klassenkampf, Friedensfragen, Frauenbewegung, die Befreiung von Schwulen und Lesben, Bildung, die Solidarität mit den Ländern des Südens, sexuelle Emanzipation, fortschrittliche Erziehung, Kunst und später auch die Ökologie in linken Entwürfen mehr oder weniger eng miteinander verbunden gewesen, befinden sich diese Zusammenhänge heute im Zustand fortschreitender Auflösung. Die Themen werden von Organisationen besetzt, die weit auseinandergerückt sind, nebeneinander existieren und zum Teil sogar gegeneinander aufgestellt sind.

      Die Literatur kann eine Menge dazu beitragen, diese Felder neu miteinander zu verknüpfen. Sie hat die Chance, über festgefahrene Gräben von Parteien, Organisationen und kleinen Politzirkeln hinweg, an die gemeinsamen Themen und Aufgaben linker Politik zu erinnern: die Befreiung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit und die Beendigung aller Verhältnisse, in denen er ein geknechtetes und verächtliches Wesen ist.

      Die nun folgenden Interviews haben exemplarischen Charakter. Sie geben kein Gesamtbild, sind Momentaufnahmen.33 Dennoch ist die Zusammenstellung nicht zufällig. Mir kommt es darauf an, einen Eindruck zu vermitteln, wie vielfältig das heutige Engagement der Autoren ist und welche literarischen Gattungen daran beteiligt sind.

       Thomas Wagner, im August 2010

Die Gespräche

      Dietmar Dath1

      Dietmar Dath wurde 1970 in der Nähe von Freiburg im Breisgau geboren. Der Science-Fiction-, Horror- und Heavy-Metal-Fan hat nie einen Hehl aus seinen marxistischen Überzeugungen und seiner Bewunderung für das politische Denken Lenins gemacht. Er war Chefredakteur der Musikzeitschrift Spex (1998 – 2000) und Redakteur der FAZ (2001 – 2007). Sein Roman »Die Abschaffung der Arten« stand 2008 auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis.

      Ein Gespräch über Klassenkampf, Planwirtschaft, Lenin und Rosa Luxemburg.

      Vielleicht sind Sie zurzeit der einzige Marxist unter den deutschen Schriftstellern. Welche Texte von Marx haben für Sie eine besondere Bedeutung?

      Unverzichtbar finde ich die Feuerbachthesen, also dass es auf die Praxis ankommt. Am zweitwichtigsten ist die Klassengeschichte, also dass es eine Rolle spielt, wo ich im gesellschaftlichen Produktionsprozess stehe. Ich muss eine Praxis haben, und die spielt sich zwischen Gruppen ab, die in einem antagonistischen Widerspruch zueinander stehen, also Klassen. Im Vergleich dazu halte ich die Krisentheorie für verzichtbar. Die kann ich auch von einem bürgerlichen oder keynesianischen Standpunkt aus haben. Ich habe gerade ein Gespräch zwischen dem Schriftsteller H. G. Wells und Stalin über den New Deal gelesen. Wells hat im Juni 1934 eine ausgedehnte Welttournee hinter sich und erzählt, dass die Amerikaner sich ja jetzt auch langsam in Richtung Sozialismus bewegen. Stalin sagt: Alles gut und schön, aber sie werden niemals die Eigentumsverhältnisse ändern. Sie werden niemals etwas machen, was die Situation ändert, die das heraufbeschworen hat, was sie jetzt pflastern wollen. Insofern ist das so sinnlos wie Dem-eigenen-Schwanz-Hinterherrennen. Wells meint, dass doch alle etwas davon haben, wenn das marode System geflickt wird. An dieser Stelle bringt Stalin den Klassenstandpunkt rein und sagt: Einige hätten eben nichts davon, wenn das Ding grundlegend geändert wird, und das sind die, die am Steuer sitzen. Deshalb wird nichts passieren. Das hat damals gestimmt. Wäre ich noch bei der FAZ, hätte ich sicherlich eine schöne Glosse daraus machen können, wie H. G. Wells und Stalin sich über Obama unterhalten.

      Keynes führt nicht weit genug. Aber ist zurzeit nicht eher zu wünschen, dass Obama überhaupt so weit kommt?

      Keynes funktioniert

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