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Politik gestärkt.

      Sie beschäftigen sich intensiv mit Venezuela. Welche Rolle spielt dort der Staat im Hinblick auf die Entwicklung einer partizipativen Demokratie?

      Die Veränderungen waren nicht erst das Ergebnis der Regierungsübernahme durch Hugo Chávez. Bereits in den 1970er Jahren bildeten sich Stadtteilprojekte und vielfältige Netzwerke, die allerdings nicht sehr groß waren. Alternative Medien und Piratensender haben aber sehr interessante Impulse in die venezolanische Gesellschaft gesendet. Polizei, Militär und aufständische Plünderer, die sich noch 1989 bei den Unruhen als Feinde gegenüberstanden, bildeten dann in den neunziger Jahren wichtige Allianzen, die Chávez erst hervorgebracht haben. In diesem Prozess sind die Grenzen zwischen radikal und reformistisch weitgehend verwischt. Christlich inspirierte Leute, genossenschaftlich orientierte Leute mit sozialliberalem Hintergrund entwickelten zum Teil sehr radikale Ideen. Andererseits verteidigten klassische Marxisten plötzlich eine ziemlich zweifelhafte Wohlfahrtspolitik.

      Autoren wie Gilles Deleuze oder Michel Foucault haben Begriffe entwickelt, mit denen sich solche Phänomene vielleicht als facettenreiche Prozesse der Verkettung begreifen lassen, die reich sind an unerwarteten Überschlägen und Querverbindungen. Viele Nachbarschaftsprojekte, die wir als anarchisch beschreiben würden, sind daraus entstanden, dass aus dem Maoismus oder Guevarismus hervorgegangene Kader ihre Organisation verließen oder ihre Gruppen sich aufgelöst hatten und sie ihre politische Arbeit in Nachbarschaftsprojekten fortsetzten. Wie sie das erklären, ist oft unglaublich dogmatisch, ihre Praxis aber überhaupt nicht.

      Die Regierung Chávez hat diese Öffnung des politischen Raumes zwischen 1999 bis 2001 unterstützt, indem sie die bis dahin vorherrschende staatliche Repression beendete. Als sie 2002/​2003 von der Massenmobilisierung durch die Aktiven in den Basisnetzwerken mehrfach vor dem Kollaps, das heißt: den Umsturzversuchen durch die Opposition, gerettet wurde, begann sie Reformprogramme, um die Basisorganisationen zu stärken und neue zu schaffen. Die Gesundheitskampagne funktionierte zum Beispiel anfangs nicht über staatliche Behörden, sondern über selbstorganisierte Gesundheitskomitees in den Nachbarschaften. Das hat die Partizipation der Bevölkerung gestärkt. Heute wird dieser Impuls von der paternalistischen Politik des Staates teilweise aber wieder unterbrochen. Wichtige Aktivisten der Basisbewegungen arbeiten heute in den Behörden, ihre ehemaligen Basisorganisationen sind schon dadurch geschwächt. Der Staat bindet die sozialen Bewegungen an sich und verhindert damit unabhängige Entwicklungen.

      Sie haben mit einer Reihe von Regierungsmitgliedern gesprochen, die jetzt nicht mehr im Amt sind. Was haben Sie von denen erfahren?

      Leute wie der 2005 entlassene Wohnungsbauminister Julio Montes oder die 2003 entlassenen Planungsminister Felipe Pérez und Roland Denis haben mit Modellen der Ko-Regierung experimentiert. Sie haben versucht, Stadtteilbauprojekte gemeinsam mit Barrio-Bewohnern zu organisieren. Bei öffentlichen Baumaßnahmen ist die soziale Kontrolle der einzige wirksame Schutz gegen Korruption. Vor diesem Hintergrund hatte zum Beispiel Montes die Großprojekte zunächst einmal gestoppt. Das ist von Chávez öffentlich kritisiert worden, weil anstatt von, ich nenne jetzt mal eine Hausnummer, statt der 180 000 für das Jahr geplanten Wohneinheiten nur 25 000 gebaut wurden. Das quantitative Wachstum wurde in alter staatssozialistischer Manier höher bewertet als das qualitative Wachstum. Das war nicht so erfreulich. Andererseits habe ich aber von fast allen Regierungsmitgliedern, die ich interviewt habe, zum Beispiel Exvizepräsident José Vicente Rangel, eigentlich ein ganz gutes Bild. Auch von Chávez. Er versucht in seiner Fernsehsendung, kritisches linkes Denken von Leuten wie Antonio Gramsci oder Paulo Freire breiter bekannt zu machen. Das Problem liegt nicht so sehr bei den Personen. Ich glaube, dass das eine zentrale Lehre des Realsozialismus ist. Es geht nicht darum, ob einzelne Leute gut oder schlecht sind, sondern um strukturelle Beziehungen.

      Die Diskussion in den bürgerlichen Medien, dass Venezuela keine Demokratie sei, weil der private Fernsehsender RCTV die Lizenz nicht mehr bekommen hat, ist natürlich eine Farce. Es gäbe ja nichts Demokratisierenderes, als wenn ein Nachbarschaftsfernsehen eine private Lizenz übernimmt. Bedenklich sind die Bestrebungen, die Gesellschaft in jeder Hinsicht führen zu wollen. Im Gewerkschaftsdachverband UNT wird zum Beispiel gerade versucht, jene Strömungen auf Linie zu bringen, die die UNT als autonome Klassengewerkschaft betrachten. Ich finde das verheerend. Auch unter einer linken Regierung müssen Interessen von Unterdrückten autonom durch Kämpfe durchgesetzt werden, denn auch die sozialen Konfliktlinien zwischen den Klassen sind ja nach wie vor vorhanden.

      Bücher von Raul Zelik

      Die Vermessung der Utopie. Über Mythen des Kapitalismus und die kommende Gesellschaft. Gesprächsbuch, 2009 (gemeinsam mit Elmar Altvater) Der bewaffnete Freund. Roman, 2007

      Berliner Verhältnisse. Roman, 2005

      made in venezuela. notizen über die »bolivarianische revolution«. Reportage, 2004 (mit Sabine Bitter und Helmut Weber)

      bastard. die geschichte der journalistin lee. Roman, 2004 grenzgängerbeatz. Erzählungen, 2001

      la Negra. Roman, 2000

      Kolumbien. Große Geschäfte und staatlicher Terror. Sachbuch, 1999 (mit Dario Azzelini)

      Friss und stirb trotzdem. Roman, 1997

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