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Gott, die den Menschen sich selbst entfremdet und innerlich tötet. Das Zerstörende der Sünde wird ihres Ernstes beraubt und verharmlost, wenn die Sünde im Sinne der Schuld nur in der Übertretung von Normen gesehen wird. Selbst wenn der Mensch äußerlich alle Normen erfüllt, ist er noch kein guter Mensch. Denn jeder soll ein „positiv Einmaliger“ (Rahner) werden, sich selbst finden und die Liebe umsetzen. Mancher findet sich sogar erst durch die Verfehlung hindurch und manch liebloser Gesetzestreuer, der vermeintlich alles richtig macht, ist ein herzloser Mitmensch. Die erkannte und bereute Verfehlung kann demütiger, bescheidener, verständnisvoller und liebevoller machen. Da es gerade im Christentum um die Vervollkommnung in der Liebe geht und diese Liebe nicht nur die Nächstenliebe meint, sondern auch die Selbstliebe, Selbstfindung und Selbstannahme, ist die Anbindung an den letzten Seinsgrund, an den Weinstock, von zentraler Bedeutung. Denn die richtige Selbstliebe (die kein Narzissmus ist) hat ihre Basis in der Gottesliebe. Die Selbstliebe ist geradezu Voraussetzung und „Maßstab“ für die Nächstenliebe: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ist die Gottesbeziehung (Gottesliebe) gestört, sind es auch die Selbstbeziehung (Selbstliebe) und die Beziehung zum Nächsten (Nächstenliebe).

      Vielleicht noch ein anderer Zusammenhang: Auf dem Weg zur Vollkommenheit in der Liebe ist es zunächst von untergeordneter Bedeutung, welchen Beruf der Mensch ergreift. Allerdings findet der Mensch besser seine innere Mitte und seinen Frieden, wenn er auch seine „richtige“ Berufung findet und ihr folgt. Insofern hängen das Finden der Berufung und die Liebesfähigkeit zusammen. Wer ständig an sich vorbei lebt und innerlich zerrissen ist, wird auch nicht lieben können: weder sich selbst noch den anderen, geschweige denn den Feind. Nur wer mit sich selbst im Einklang ist, kann sein Glück finden. Immanuel Kant meint sogar, dass es eine Verpflichtung zum Glück gibt, da der Unglückliche meistens auch seine Umgebung unglücklich macht.

      Der Satz „Ihr sollt mehr Frucht bringen“ kann auch etwas ganz anderes besagen. Denn das Gleichnis vom Fruchtbringen beginnt so: „Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab, und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt (Hervorhebung d. Verf.) er, damit sie mehr Frucht bringt“ (Joh 15,1-2). Dieses Gleichnis kann in zwei Richtungen interpretiert werden. Zum einen, dass diejenigen Menschen, die keine Frucht in ihrem Leben bringen, vom Weinstock abgeschnitten werden und – wie es später heißt – verdorren. „Wer nicht in mir bleibt, wird wie die Rebe weggeworfen, und er verdorrt. Man sammelt die Reben, wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen“ (Joh 15, 6).

      Die Zielrichtung des Evangeliums ist aber so, dass Gott genau das nicht will. Er will nicht, dass überhaupt ein Mensch verloren geht. Von Jesus heißt es, dass er zu unserem Heil und zu unserer Heilung auf diese Welt gekommen ist und nicht für unser Verderben. Er ist der Heiland. Er soll die Welt nicht richten, sondern retten. „Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird“ (Joh 3,17). An anderer Stelle heißt es: „Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist“ (Lk 19,10). Er sagt zu seinem Vater, dass niemand verloren gegangen sei (außer Judas), den er ihm anvertraut habe. „Und ich habe sie behütet und keiner von ihnen ging verloren, außer dem Sohn des Verderbens, damit sich die Schrift erfüllt“ (Joh 17,12).

      Hans Urs von Balthasar meint, die Hölle sei leer, es sei denn, jemand wolle hinein. Und das ist wohl der Ernst des Lebens, der im vorliegenden Gleichnis ausgesprochen werden soll. Einen Automatismus der Rettung, dass am Ende des Lebens schon alles gutgehen wird, gibt es nicht. Dann würde Gott die Freiheit des Menschen nicht wirklich ernst nehmen und am Ende wäre alles gleichgültig. Gott nimmt aber den Menschen sehr ernst und will seine freie Entscheidung. Das beginnt schon in der Paradiesgeschichte und zieht sich durch das ganze Neue Testament. Der Mensch ist aufgefordert, an seinem Heil, seiner Rettung, seinem Glück und seinem gelingenden Leben mitzuwirken: „Müht euch mit Furcht und Zittern um euer Heil!“ (Phil 2,12) Der Mensch kann es nicht aus eigener Kraft, er muss es auch nicht. Diese Aussage soll ihn nicht entmutigen, sondern entlasten. Aber der Weg gelingt nach diesem Gleichnis nur, wenn er angebunden bleibt an den Quell des Lebens, an den Weinstock. Er soll sich daher nicht von der Kraftquelle des Weinstockes abkoppeln, denn getrennt vom Weinstock kann er nichts tun. Es ist wohl eher als Mahnung zu verstehen denn als ein endgültiges Urteil.

      Der „Aufwand“, an diesem Weinstock dranzubleiben, ist relativ gering, verglichen mit den Anstrengungen der Menschen, ohne diese Anbindung aus sich heraus Frucht bringen zu wollen. Sie versuchen dies oft mit allen Möglichkeiten der Lebensverbesserung, mit dem, was die Medizin Enhancement nennt: mehr Leistungsfähigkeit durch Genmanipulation, Doping, Medikamente, Wellness und vieles mehr. Hier geht es um Selbstoptimierung. Das aber meint das Evangelium genau nicht.

      Der Christ weiß, dass er sich nur sehr begrenzt selbst optimieren kann. Er wird optimiert durch das göttliche Wirken. Daran kann er teilnehmen. Dazu braucht er zunächst nur eines: eine gute Verbindung zum Weinstock, dann wird ihm alles andere dazugegeben. „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere hinzugegeben“ (Mt 6,33). Er soll den Kontakt nicht abreißen lassen, damit er Frucht bringen kann. So kann für den Christen eine Art Gelassenheit entstehen, dass er das Fruchtbringen nicht selber machen muss, sondern „nur“ zulassen soll, dass der Durchfluss der Kraft, die vom anderen kommt, nicht behindert wird. Dann kann er mit dieser Kraft mitwirken. In der Heiligen Messe heißt es: „Frucht des Weinstocks und der menschlichen Arbeit“. Dies steht im krassen Gegensatz zur ständigen Überforderung im innerweltlichen Wettlauf, der ohne die Anbindung an den Weinstock aus sich heraus nach Verbesserung und Fruchtbringen sucht. Nicht selten endet dies in der Situation des Ausgebrannt-Seins (Burnout). Die vom Weinstock abgeschnittenen Reben verbrennen (Mt 15, 6). Davor will das Gleichnis warnen.

      Zusammengenommen mit dem zweiten Teil des Gleichnisses, dass diejenige Rebe, die Frucht bringt, gereinigt wird, um noch mehr Frucht zu bringen, sieht man wohl die ganze Richtung des Gleichnisses: Gott will, dass das Leben des Menschen zur vollen Entfaltung kommt und mehr Frucht bringt. Da im Leben nie alles geradlinig verläuft und jeder Mensch (außer Maria, die Mutter Jesu) von Schattenseiten, Fehlern, Schuldverstrickungen betroffen ist, müssen diese Verstellungen im Lauf des Lebens aufgearbeitet, „gereinigt“ und erlöst werden. Nur so kann der Mensch ganz zu sich selbst heranreifen. Es ist wie im Gleichnis vom Unkraut und vom Weizen. Jedes Leben enthält beides. Nichts ist rein in dieser Welt, sondern immer auch „verunreinigt“ und von Unkraut durchsetzt. Man soll das Unkraut nicht sofort herausreißen, damit nicht auch der Weizen mit herausgerissen wird (Mt 13, 24). Auf die Frage, ob das Unkraut ausgerissen werden soll, wird geantwortet: „Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus“ (Mt 13, 29). Beides soll und darf wachsen und langsam wird sich das eine vom anderen trennen.

      So auch beim Weinstock. Die Rebe soll wachsen und im Laufe des Wachstums wird sie befreit von Verunreinigungen. Der Winzer selbst nimmt diese Reinigung vor. Auf das Leben übertragen könnte man es so interpretieren: Da ist jemand gut unterwegs im Leben, bringt durchaus Frucht, wird aber wegen seiner Erfolge hochmütig und übermütig. Hier kann es sein, dass ihn womöglich Einbrüche im Leben, Leidensprozesse oder Krisen demütiger machen. Krisen des Lebens – aber auch positive Erfahrungen – können durchaus die Reben reinigen, damit sie mehr Frucht bringen. Die Kirchenväter haben von der Pädagogik Gottes gesprochen. Nun greift Gott ja meistens nicht aktiv in das Leben ein. Er wirkt – wie die Theologie sagt – durch Zweitursachen, also durch Ereignisse des Lebens und durch Menschen hindurch. So könnte man auch von der Pädagogik des Lebens sprechen. Wenn man hier das Wort Jesu ernst nimmt: „Ich bin … das Leben“ (Joh 14,6) und so nahezu von einer Gleichsetzung der Person Jesu mit dem Leben ausgeht, könnte man sagen, dass die Pädagogik Gottes mit der Pädagogik des Lebens zusammenfällt oder zumindest Ähnlichkeiten aufweist. Das Leben hat seine eigene Pädagogik und Logik. Es „enthält“ den Logos Gottes. Der Mensch, der sich zu weit vom wahren Leben entfernt, kommt womöglich zu Fall. Wie der Volksmund sagt: Hochmut kommt vor dem Fall.

      Die Reinigung der Reben am Weinstock könnte auch noch anders gedeutet werden. Es kann bedeuten, dass der Mensch sich im Lauf seines Lebens – spätestens in der Lebensmitte –

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