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es um „gut“ und „besser“. Immer wieder geht es im Neuen Testament um dieses Verhältnis: „Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu. Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen, für ihn zu sorgen. Sie kam zu ihm und sagte: Herr kümmert es dich nicht, daß meine Schwester die ganze Arbeit mir alleine überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen! Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere (Hervorhebung d. Verf.) erwählt, das soll ihr nicht genommen werden“ (Lk 10, 38-42).

      „Besser“ heißt in diesem Fall, dass Maria zuerst auf das Wort Jesu hört und dann erst wieder zu arbeiten beginnt. Es ist die Priorität, um die es hier geht: erst das Hören, dann das Tun. In der Sprache der Mönche: erst das Beten, dann das Arbeiten – ora et labora. Oder wie es bei Ignatius von Loyola heißt: contemplativus in actione – betend in der Arbeit. Das bedeutet nicht – wie noch im Mittelalter –, dass das kontemplative Leben in einem Kloster als höherwertig eingestuft wird als das aktive Leben draußen in der Welt, sondern im Alltag die richtige Priorität zu wählen: aus der Stille in die Arbeit, aus dem Sonntag in den Alltag.

      Es geht um eine Ethik der Komparative, um eine Ethik des „Mehr“. Für einen Franz von Assisi wäre es gut gewesen, das Geschäft seines Vaters zu übernehmen. Viele Menschen tun dies. Für ihn war es aber besser, auf alles zu verzichten, in Armut zu leben und einen Orden zu gründen. Besser heißt in diesem Fall, dass er erst so seinen inneren Frieden und die Erfüllung seines Lebens gefunden hat. Christlich gesprochen ist er einem persönlichen Anruf Gottes gefolgt. Das Geschäft des Vaters zu übernehmen wäre gut und das „Normale“ gewesen, für ihn persönlich aber ein Irrweg. Er wäre damit dem An-Ruf Gottes ausgewichen, hätte sich abgesondert vom konkreten Willen Gottes. Wahrscheinlich wäre er schrittweise in eine Traurigkeit verfallen und hätte sein Leben verfehlt.

      Das Bessere anzunehmen oder abzulehnen ist ein Akt der Freiheit, aber dennoch nicht beliebig. Der Mensch soll das Bessere wählen, weil es für ihn und die Welt das Bessere ist. Das Bessere ist hier, dem konkreten Willen Gottes zu folgen und nicht nur allgemeinen Gesetzen oder dem Angebot des Lebens und der Familie. Dies hat wiederum zwei Effekte: Zum einen findet der Mensch durch sein Jawort seinen inneren Frieden, seine tiefste Mitte und Identität. Wenn er so mit sich selbst (in Gott) eins ist, kann er sich und den anderen besser annehmen und lieben. Er kann damit Gott, sich selbst und den anderen Menschen mehr dienen und besser zur größeren Liebe unterwegs sein. Zum anderen fügt er sich besser in den Gesamtplan Gottes für die Welt ein und dient so auch der Gesellschaft. Der göttliche Plan ist allerdings kein starrer Plan im Sinne einer Vorherbestimmung, sondern abhängig von der Mitwirkung des Menschen. Auch Maria, die Mutter Jesu, musste ihr Jawort geben zum Plan Gottes und ihrer Berufung, den göttlichen Sohn zur Welt zu bringen. Das Ja des Menschen zum göttlichen Ruf dient auch der Verbesserung der Welt.

      Die Theologie drückt dieses Wählen des Besseren so aus: „Von da aus ist, dort wo das ‚bessere Mittel‘ konkret angeboten wird und als solches wirklich und zwar für hier und jetzt erkannt wird, mit ihm nicht nur eine sittliche Möglichkeit, sondern eine sittliche Forderung für den betreffenden Menschen gegeben (und gleichzeitig ermöglicht), obwohl der andere Weg an sich auch einen positiven sittlichen Wert darstellt.“30 Auch hier fallen das Sollen und das „Müssen“ mit einer freien Entscheidung zusammen und münden – wenn es gut geht – in ein eigenes inneres Wollen. Dieses innere Wollen ist ein Wollen, das der Mensch wirklich aus seinem tiefsten Wesen heraus will und nicht nur oberflächlich. Das tiefste Wollen führt auf Dauer zu tiefer Freude, das andere womöglich nur zu kurzfristigem Spaß. Am Ende will der Mensch das, was er soll, weil es gut ist und ihm selbst und anderen guttut.

      Biblisch ist dieses Bessere immer wieder an anderen Stellen erwähnt: Ein reicher Jüngling fragt Jesus, was er tun muss, um in das Himmelreich zu gelangen. Er erhält die Antwort: „Halte die Gebote.“ Der Jüngling sagt, das habe er ein Leben lang getan. Und jetzt erhält er die Antwort für das Bessere: „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmelreich haben; dann komm und folge mir nach“ (Mt 19, 21). Leider konnte der junge Mann dem nicht folgen. Er war sehr reich und konnte sich davon nicht trennen. Er geht traurig davon. Dieses „Wenn du vollkommen sein willst …“ wird in der Bergpredigt noch zu einem Sollen weitergetrieben: „Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer Vater im Himmel ist“ (Mt 5, 48).

      Der Mensch soll und darf an seiner Vervollkommnung und der Vervollkommnung der Welt mitwirken. Dieser ist im Letzten der Ruf zur Vollkommenheit in der Liebe, sogar bis hin zur Feindesliebe: „Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“ (Mt 5, 44). Das ist das Tiefste und letztlich Erlösende, was eine Religion dem Menschen „anbieten“ kann, dass er seine natürliche Abwehr gegen den Feind überwindet und versucht, ihn zu lieben und für ihn zu beten. Das durchbricht den Rachegedanken, die Vergeltungsspirale und das „Aug um Aug“- und „Zahn um Zahn“-Prinzip. Jesus Christus hat genau das durchbrochen und die Liebe durchgehalten bis zum Ende. Er wurde dafür gekreuzigt. Darin besteht die Erlösung: in der gegen alle Widerstände durchgehaltenen Liebe. Durch diesen „Gehorsam der Liebe“ wurde die Absonderung (Sünde) der ersten Menschen im Paradies überwunden.

      Im Blick auf die Weigerung, diesem besseren Weg zu folgen, spricht Karl Rahner – das wird manchen überraschen – sogar von Sünde. Der Begriff Sünde wird ja nicht so gerne gehört. Man assoziiert damit immer, dass jemand etwas falsch gemacht hat, niedergedrückt ist, bereuen, wiedergutmachen, beichten muss. Es geht aber um etwas Tieferes, nämlich dass der Mensch etwas unterlässt, was ihm zum größeren und erfüllteren Leben gedient hätte: „Eine Weigerung ihm gegenüber (dem besseren Weg, Anm. d. Verf.) wäre die ausdrückliche Verweigerung des Willens zum größeren Wachstum in der Liebe Gottes und also Schuld, Sünde.“31

      Sören Kierkegaard drückt noch genauer aus, worum es geht: um die Angst, nicht zur eigenen Größe, Wahrheit und Berufung durchzustoßen. Dies nennt er Sünde: „Sünde ist: vor Gott verzweifelt nicht man selbst sein wollen oder vor Gott man selbst sein wollen“32 und an anderer Stelle: „Sünde ist Verzweiflung“33 und schließlich: „Diese Form von Verzweiflung ist: verzweifelt nicht man selbst sein wollen, oder noch niedriger: verzweifelt nicht ein Selbst sein wollen, oder am allerniedrigsten: verzweifelt ein anderer sein wollen als man selbst, ein neues Selbst sich wünschen.“34 Schließlich kommt Kierkegaard zu dem Schluss, „daß der Grund, warum der Mensch eigentlich am Christentum Ärgernis nimmt, darin liegt, daß es zu hoch ist, … weil es den Menschen zu etwas Außerordentlichem machen will.“35

      Es geht also um die Größe des Menschen, die dieser nur von Gott her einlösen kann. Das Nichteinlösen führt zur Selbstentfremdung, zum Nicht-Selbstsein. Diese persönliche Berufung des Einzelnen geht weit über die Erfüllung allgemeiner Normen hinaus.36 Dazu noch einmal Rahner: Vom Grundphänomen einer ganz persönlichen Berufung müsse deutlicher werden, „daß die Sünde über ihre Eigenschaft als Verstoß gegen das Gesetz Gottes hinaus auch und ebenso ein Verstoß ist gegen einen ganz individuellen Imperativ des individuellen Willens Gottes, der Einmaligkeit begründet. Wäre von da Sünde nicht deutlicher erkennbar als Verfehlen der persönlich-individuellen Liebe Gottes?“37

      Warum ist Sünde Sünde, könnte man fragen? Oder: Was ist so schlimm an der Sünde? Sie ist letztlich so schlimm, weil der Mensch sich selbst verfehlt. Er lebt an seiner Berufung vorbei und verfehlt seine eigene Mitte und Identität. Er wird sich selbst fremd und damit auch den anderen. Er verliert seine innere Einheit, seine Ganzheit, sein Heilsein. Er verliert schließlich seine Liebesfähigkeit. Es geht im Christentum nicht primär darum, dass Sünde ein Verstoß gegen ein Gesetz oder gegen das System der katholischen Kirche ist, sondern dass es im Letzten um die Selbstverfehlung geht. Das ist ja das „Schlimme“ und Tragische an der Sünde, dass der Mensch sich selbst zerstört. So bringt die Sünde den (inneren) Tod. Aus der Sünde als dem Absondern folgt, dass der Mensch sich selbst, dem anderen und letztlich auch Gott etwas schuldig bleibt. Schließlich fällt er womöglich auch in Schuld im Sinne der Übertretung einer Norm.38

      Leider ist in der Geschichte

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