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Vorrichtungen und Anlagen angebracht oder Aushub- und Baumaterial gelagert wurden. All dies bedeutete jedoch nicht Enteignung, die nach einer Sonderregelung des Luftschutzgesetzes nur in besonderen Fällen notwendig wurde. Leistungen dieser Art – die Inanspruchnahme eines oder mehrerer fremder Grundstücke – konnten von allen staatlichen Stellen, aber auch von der Wehrmacht und der SS verlangt werden. Das Reichsleistungsgesetz definierte also eine Art von staatlichem „Nutzungsrecht“ für private Liegenschaften.

      Stollen sind nun, wie jedoch erstmals der Oberste Gerichtshof in einer Erkenntnis vom 22. März 1993, der sogenannten „ersten Grillstollenentscheidung“, ausspricht, zweifellos „Bauwerke“: Sie werden unter dem Einsatz von Arbeit und unter Verwendung von Materialien hergestellt. Das Gesetz, in diesem Fall das ABGB, § 435, definiert sie aber als ganz besondere Bauwerke: Es seien sogenannte „Superädifikate“, also „Bauwerke, die auf fremdem Grund in der Absicht aufgeführt sind, dass sie nicht stets darauf bleiben sollen“, ob nun ober- oder unterirdisch, tut dabei nichts zur Sache. Die Beschränkung des Grundnutzungsrechtes, so die Meinung der Juristen, sei mit dem Ende der „Luftkriegsgefährdung“ gegeben, damit liege eindeutig der „mangelnde Belassungswille“ vor. Das gelte sowohl für Stollenanlagen zum Schutz der Öffentlichkeit als auch für unterirdische Komplexe, die im Hinblick auf Rüstungsprojekte errichtet worden seien.

      Mit 8. Mai 1945 traten nun gemäß Kundmachung der Provisorischen Staatsregierung (StGBl 1945/​52) alle Gesetze und Verordnungen des Dritten Reiches zum Luftschutz außer Kraft. Für die Stollenanlagen bedeutete dies, dass sie nun ihrem Charakter nach nicht mehr Luftschutzstollen waren, sondern Bauwerke, die an diesem 8. Mai 1945 zum Finanzvermögen des Dritten Reiches zählten; die „Nutzungskategorie“ Luftschutz existierte ja nicht mehr. Noch aber war Österreich völkerrechtlich kein freies Land und besaß daher auch kein Eigentumsrecht an den Stollen: Für die alliierten Siegermächte waren die unterirdischen Anlagen Teil der „Deutschen Vermögenswerte“ bzw. „Deutsches Eigentum“, das grundsätzlich, wie im Zweiten Kontrollabkommen vom 28. Juni 1946 festgelegt, von der jeweiligen Besatzungsmacht für sich beansprucht werden konnte. Erst der Österreichische Staatsvertrag, unterzeichnet am 15. Mai 1955, brachte dann die entscheidende Änderung: Im Artikel 22, Absatz 6 und Absatz 1, verzichteten die Alliierten auf das „Deutsche Eigentum“ in Österreich und übertrugen die diesbezüglichen Vermögensrechte auf die Republik Österreich, präziser gesagt auf den Bund, da die Republik als völkerrechtliches Subjekt keine Privatrechtssubjektivität besitzt.

      Folge dieses Übergangs war, dass nun die Sorgfaltspflicht beim Bund lag, er haftete gemäß § 1319 ABGB für etwaige Schäden, verursacht z. B. durch den Einsturz eines Stollens (die sogenannte Gebäudehalterhaftung). Der betreffende Passus des Schadenersatzrechtes: „Wird durch Einsturz oder Ablösung von Teilen eines Gebäudes oder eines anderen auf einem Grundstück aufgeführten Werkes jemand verletzt oder sonst ein Schaden verursacht, so ist der Besitzer des Gebäudes oder Werkes zum Ersatze verpflichtet, wenn die Ereignung die Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werkes ist und er nicht beweist, dass er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet habe.“ Die Beweislast liegt also beim Besitzer – er muss beweisen, dass die gebotene Sorgfaltspflicht nicht verletzt worden ist. Im Falle der Stollenanlagen kann dieser Beweis nur in folgende zwei Richtungen gehen: Die Gefahr war nicht abzusehen oder sie wäre auch durch zumutbare Maßnahmen der Gefahrenabwehr nicht zu verhindern gewesen.

      Tatsächlich war es so, dass sich der Bund auch nach 1955 über Jahrzehnte hinweg nicht um die Stollen kümmerte, konnte doch niemand ahnen, dass sie der Oberste Gerichtshof knapp vier Jahrzehnte später als ehemaliges „Deutsches Eigentum“ qualifizieren würde. Den ersten Anstoß für eine völlig neue Regelung des „Stollenproblems“ gab eine für den Bund richtungweisende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 24. November 1997 zur Rechtslage beim sogenannten „Grill-Stollen“ in Hallein, der 1944 im Auftrag und auf Rechnung der Organisation Todt von der Eugen Grill Werke GmbH errichtet worden war. Nach Kriegsende wurde das Stollensystem zunächst von den Alliierten genutzt und in weiterer Folge auf Grund sicherheitspolizeilicher Anordnung von der Gemeinde Hallein zugemauert. Ein privater Kläger, unter dessen Grundstück sich das Stollensystem befindet, hatte im „ersten Grillstollenprozess“ die Gemeinde Hallein noch auf Feststellung seines Eigentums am Stollen geklagt. Nachdem ihm jedoch der Oberste Gerichtshof im Rahmen der „ersten Grillstollenentscheidung“ 1993 beschieden hatte, dass weder die Gemeinde Hallein noch er, sondern in Wahrheit der Bund Eigentümer des Stollens ist, hatte er nun die Republik auf „Wiederherstellung des Zustandes der Liegenschaft vor Errichtung des Grill-Stollens“ geklagt; der OGH stellte ausdrücklich fest, dass dieser Stollenbau als „sonderrechtsfähiges unterirdisches Bauwerk zu qualifizieren“ sei, „an welchem das Deutsche Reich durch die Bauführung originär Eigentum erworben hat, das im Wege der Einzelrechtsnachfolge (Art. 22 des Staatsvertrages von Wien und § 3 des 1. Staatsvertragsdurchführungsgesetzes) auf die Republik übergegangen ist, ohne dass hiezu die bei derivativem Eigentumserwerb erforderliche Urkundenhinterlegung notwendig gewesen wäre“ (OGH 24. 11. 1997, 6 Ob 2164/​96w). Pikanterie am Rande: Der OGH spricht weiter aus, dass „das hier zu Zwecken des Luftschutzes eines Rüstungsindustriebetriebes während des Krieges begründete Benützungsrecht der Liegenschaft des Klägers mit der Beendigung des Krieges als erloschen anzusehen“ ist. Damit ist der Bund zwar Eigentümer der Stollen und hat die Haftung dafür, gleichzeitig aber kein Benützungsrecht an den Stollen mehr (zumindest solange er sich nicht mit dem Grundeigentümer neu darüber einigt …)

      Die Schlagzeile der „Tiroler Tageszeitung“ bringt es auf den Punkt: Die Stollen aus der Kriegszeit sind Eigentum der Republik.

      Gab den Anstoß für die wegweisende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs: der Grillstollen in Hallein.

      Im Bild die Reste der Installationen.

      Ein Urteil also, das in der Bundesgebäudeverwaltung und dem Wirtschaftsministerium erstmals die Alarmglocken schrillen ließ.

      Der zweite Anstoß ließ prompt nicht lange auf sich warten – er erfolgte 1998 durch die Stadt Innsbruck. Da durch einsturzgefährdete Luftschutzstollen bereits unmittelbare Gefahr drohte und auch hier umstritten war, wer für die Sicherungsarbeiten aufkommen müsse, gab sie beim Innsbrucker Juristen Konrad Arnold ein Rechtsgutachten in Auftrag, das dieser am 1 . Juni 1999 gemeinsam mit Vizebürgermeister Norbert Wimmer und Baupolizei-Chef Theodor Greiner, dem Koordinator der Stollenuntersuchungen in der Tiroler Hauptstadt, der Öffentlichkeit präsentierte. Arnolds exakte, 140 Seiten umfassende Ausführungen, von Wimmer aufgrund der aufwändigen Faktensuche als „kriminalistisches Lehrstück“ gewürdigt, beseitigten alle Zweifel: Die Innsbrucker Stollen waren am 8. Mai 1945 „Deutsches Eigentum“ gewesen; die Eigentümerschaft der Republik war unbestreitbar. Am nächsten Tag titelte die Tiroler Tageszeitung: „Luftschutzstollen gehören dem Bund“, und verwies darauf, dass diese Erkenntnis keinen Tag zu früh komme, auf der Hungerburg sei soeben wieder ein Stollen eingestürzt, insgesamt sei es in den vergangenen zwei Monaten zu fünf Stolleneinbrüchen gekommen. Vizebürgermeister Wimmer, so erfahren die Leser, habe versprochen, „unverzüglich“ mit dem Bund Verhandlungen aufzunehmen.

      Aufgrund des Drucks aus Innsbruck musste der Bund nun handeln, und zwar schnell, drohten doch weitere Sicherungs- und Haftungsprobleme. In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage bestätigte Bundeskanzler Viktor Klima, dass die Innsbrucker Stollen im „Eigentum des Bundes stehende Bauten“ seien; eine rasche bundesweite Lösung im Rahmen der angestrebten strukturellen Maßnahmen zur Neuorganisierung der Bau- und Liegenschaftsverwaltung des Bundes wurde gesucht. „Wir haben etwas, was wir nicht wollen“, hieß es – doch wem geben? Das Bundeskanzleramt spielte den Ball ans Wirtschaftsministerium weiter und für die zuständigen Beamten

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