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der französische Philosoph Paul Virilio in seiner Bunkerarchäologie für die gigantischen Bunkerbauten des „Westwalls“ konstatierte, gilt auch für die Stollen: Sie künden von „der großen Verschmelzung des Militärischen und des Zivilen“, die für die Endphase des Zweiten Weltkrieges so typisch wurde; sie sind „Spiegelbild der Kriegsindustrie“ und unsrer eigenen „Todesmacht“ und Destruktivität. Die „Kriegsmaschine“, sagt Paul Virilio“ mit Bezug auf die Bunkerbauten, ist der „Archetyp der industriellen Maschinen“, nirgendwo sonst manifestiere sich der „prometheische Wille so machtvoll wie hier“ – eine Feststellung, die auch für die NS-Stollenanlagen gilt: Sie sind geblieben als stumme Zeugnisse ungeheurer Versuche, unter den Bedingungen des Krieges Gegenwelten zu schaffen, in denen die natürlichen Bedingungen des Lebens in gewisser Weise überschritten werden: Hier gibt es weder Tag noch Nacht und hier hat das „unheilvolle Zauberspiel“ der Bombardements seine Macht verloren. Neben der Hoffnung existieren hier aber auch nackte Brutalität, Terror und Tod. Die SS-Leute wissen es und nützen dies mit kaltem Zynismus: Allein das Wort „Stollen“ löst bei vielen KZ-Häftlingen Angst und Schrecken aus; der Stollen wird zum Synonym für die Hölle schlechthin.

      Ja, wer durch diese dunklen unterirdischen Gänge streift, gedacht einst als „Überlebensmaschinen“ (Paul Virilio) und letzte Rückzugsorte für wahnwitzige Rüstungsanstrengungen, wer innehält in der modrigfeuchten Stille, erhält tatsächlich so manche Antwort, mag etwas erspüren von der Verlorenheit und der Verzweiflung, die jene Menschen erfüllte, die hier Zuflucht vor den Bomben suchten, die hier unter den Peitschen und Tritten der Kapos für die „Wunderwaffen“ der Nazis schufteten.

      Es ist wohl kein Zufall, dass die österreichische Gesellschaft lange Zeit die Begegnung mit diesen Orten scheute und selbst die Republik absolut nichts mit ihnen zu tun haben wollte – man ging dem Blick in den Spiegel, von dem Paul Virilio spricht, aus dem Weg, weil er schmerzhaft gewesen wäre. Er hätte sich nicht vertragen mit der Lüge, auf der man den neuen Staat erbaute: Der Blick auf die Stollen erinnert daran, dass Österreich keinesfalls hilfloses „Opfer“ des NS-Regimes war, sondern dessen Anhänger die Herrschaft des „Führers“ herbeisehnten und herbeibombten, die Aufnahme ins „Tausendjährige Reich“ begeistert feierten und im Gefolge der neuen Herren zu skrupellosen Mördern und Henkern wurden. Die NS-Stollenanlagen sind zu Mahnmalen dieser unbequemen Wahrheit geworden. Als Relikte des Dritten Reiches zeugen sie in Stein und Beton vom tödlichen Zynismus, mit dem die NS-Führung ihre pervertierte Ideologie bis in den Untergang verfolgte. Es waren Schicksalsorte für Zehntausende von Menschen, getränkt von Schweiß, Blut und Tränen, und sind heute zweifellos Orte der Erinnerung geworden, Plätze, die dazu beitragen können, dass sich aus dem beinahe instinktiven Impuls vieler Österreicherinnen und Österreicher zum „Nicht-Wissen“ (Wolfgang Sofsky) über die Nazi-Vergangenheit doch die Bereitschaft zum „Wissen“ herauskristallisiert. Denn das Wissen um jene ungeheuren Verbrechen ist eine Voraussetzung dafür, dass wir sie in Zukunft vermeiden können. So mag so manch Unsichtbares zu Sichtbarem werden, so manch Dunkles in das helle Licht des Nachforschens und Nacherzählens treten.

      Stein und Beton zeugen vom tödlichen Zynismus des NS-Regimes: der Grillstollen in Hallein.

      Beginnen wir unsere Reise im Jahre 1945, der angeblichen „Stunde null“: Mit der Befreiung des Landes durch alliierte Truppen endet die Arbeit an den Stollen, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge ziehen ab, unterirdische Montagestrecken werden von Amerikanern und Russen demontiert, Luftschutzräume nicht mehr genutzt. Unmittelbar nach Kriegsende zeigt die wiedererstandene Republik noch ein gewisses Interesse an den zahlreichen NS-Stollenanlagen. Noch ist die Erinnerung an das Grauen der Bombennächte frisch und an den ungeheuren Einsatz, mit dem die Nazis bis zum Untergang an diesen Flucht- und Gegenwelten arbeiten ließen. Und es geht immerhin um „Vermögenssicherung“ und um die Frage des „Deutschen Eigentums“. So sieht sich der Bund als Verwalter der Stollen, der im Rahmen von Mietverträgen Rechtstitel für Nutzungen durch Private vergibt, etwa für die Lagerung bestimmter Güter oder das Züchten von Champignons. Dringend notwendige erste Sicherungsmaßnahmen werden daher aus Bundesmitteln finanziert; die Aufwendungen sind zum Teil beträchtlich, so dokumentiert ein Schreiben des Tiroler Landesbauamtes an die Bundesgebäudeverwaltung vom 7. Juli 1948, dass allein die Kosten für „Baumaßnahmen an Luftschutzstollen und Stolleneinbrüchen“ im Raum Innsbruck für den Zeitraum Mai 1945 bis Ende Juni 1948 584.000 Schilling betragen haben.

      Stand noch lange nach Kriegsende offen: der Bahnstolleneingang Nr. 5 zu „Bergkristall“.

      Aufnahme um 1970, Archiv Heimatverein St. Georgen an der Gusen.

      Das ändert sich 1948 grundsätzlich, ja, es erfolgt geradezu ein Paradigmenwechsel in der Behandlung der Stollenfrage: Nun stellt sich die Bundesverwaltung auf den Standpunkt, dass sie für den Zustand der Stollen keinerlei Verantwortung trage, da auch keine Rechtsnachfolge vorliege. Die spitzfindige Begründung: Bei den Stollenbauten habe es sich um „hoheitliche Eingriffe“ des Dritten Reiches gehandelt, mit dem Untergang dieses Staates seien auch die entsprechenden Rechtstitel erloschen. Und für jene Luftschutzbauten, die von Gemeinden oder Betrieben errichtet worden seien, käme eine Rechtsnachfolge sowieso nicht in Frage.

      Die neue Formel lautet: Der Bund ist nicht Eigentümer der Stollen, er trägt daher keine Verantwortung für sie und kann daher auch keine Kosten für Sanierung und Sicherung übernehmen. Eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung vom 5. Jänner 1949, erhalten im Tiroler Landesarchiv (ATLR IX d 3591 – 13), lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Die Kosten der Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Stollen treffen den Eigentümer. Weder das ho. Bundesministerium noch irgendeine andere österreichische Stelle ist verpflichtet, für Luftschutzstollen Aufwendungen zu machen. Mittel sind nicht vorgesehen.“ Mit dieser Antwort wird die Bitte eines Oberliegers um Sicherung eines unter seinem Grund befindlichen Stollens einfach vom Tisch gefegt.

      Bleibt die Frage: Wer ist tatsächlich Eigentümer und wer muss daher zahlen?

      Die Gemeinden? Die Kommunen weisen die Argumentation des Bundes mit leichter Hand zurück: Sie hätten nur die Bauführung im Auftrag des Dritten Reiches geleitet, Bauherr sei daher der NS-Staat gewesen, von einer Rechtsnachfolge könne keine Rede sein. Private Liegenschaftseigentümer? Auch sie gehen meist davon aus, dass sie für den Zustand des Stollens auf ihrem Grundstück keine Verantwortung zu tragen hätten. Bei etwaigen Problemen, wie z. B. Stolleneinbrüchen, versuchen sie diese an den Bund oder die Gemeinde zu delegieren. Das Argument: Das Grundstück sei zwar ihr Eigentum, nicht aber der Stollen darunter.

      Betrachten wir dazu den Punkt „Rechtsnachfolge“ genauer: Unumstritten ist, dass das Dritte Reich der Bauherr der öffentlichen Luftschutzanlagen, aber auch der für Rüstungsbetriebe vorgesehenen Stollenanlagen war. Die Entscheidung über den Bau eines Luftschutzstollens wurde vom jeweils zuständigen „Luftgaukommando“ gefällt; das Dritte Reich finanzierte die Errichtung des Stollens und wurde zu seinem Eigentümer. Die Gemeinden sorgten vielfach für die Abwicklung: Das zuständige Bauamt projektierte die Anlage, schloss Verträge mit den Baufirmen ab und überwachte die Durchführung der Arbeiten – bezahlt wurden die Rechnungen der Firmen jedoch vom Reich, und zwar über die „Polizeikasse“, das heißt, der zuständige Polizeipräsident – er war zugleich der „Luftschutzleiter“ eines „Luftschutzortes“ – prüfte die eingehenden Forderungen und sorgte aus dem Etat der „Kriegsausgabemittel“ für die Überweisungen. Kommunale Dienststellen waren tatsächlich nur ausführende Organe. Kurios ist ein Fall aus Innsbruck: Beim Bau des Stipplerstollens (Höttinger Au – Schererschlössl, T002), einer Anlage, die immerhin 1.250 Menschen Schutz bieten sollte, speiste man die ausführende Baufirma mit einem bloßen Versprechen ab: „Bezahlung erfolgt nach dem Endsieg!“

      Eine wichtige gesetzliche Grundlage für die Errichtung von Luftschutzanlagen bildete das sogenannte „Reichsleistungsgesetz“ aus dem Jahre 1939, das

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