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er aufrecht stehend als sei er der Herr des Hauses. Dann setzt er sich auf eine Gartenbank, legt den rechten Arm auf die Rückenlehne der Bank. Der Tag hat warm begonnen. Die Morgenluft ist noch angenehm frisch. Er sitzt und schaut mit halbzugekniffenen Augen in die Sonne, atmet tief durch. Aus einem Etui holt er eine dicke Zigarre, zündet sie an und bläst den Rauch genüsslich in den Himmel. Seine Augen sind in die Ferne gerichtet als blicke er auf einen weiten Horizont. Er raucht und ist, wie es scheint, mit sich und der Welt zufrieden.

      Begegnung 4

      Ich betrete den Aufenthaltsraum des Wohnheimes. Einige Bewohner sitzen in bequemen Sesseln. Eine Frau schaut mich erwartungsvoll an, begrüßt mich mit überschwänglicher Freundlichkeit und spricht zu mir: „Mensch, hast du dich verändert.“ Ich bin etwas verstört, möchte erklären, wer ich bin, komme nicht zu Wort, da sich die freundliche Dame in ihrem Redeschwall nicht so recht unterbrechen lässt: „Du bist schmal geworden. Kriegst von deiner Mutter nicht genug zu essen.“ Mich drängt es erneut, die offensichtliche Verkennung zu korrigieren. Die Antwort auf den Versuch, etwas zurechtzurücken: „Jetzt willst du mich aber auf den Arm nehmen. Du hast schon manchmal deinen Schabernack mit mir getrieben. Ich kenne dich doch.“ Ich finde mich dann doch hinein in die mir angetragene Rolle des vermeintlichen Neffen. Wir plaudern ein wenig. Ich frage, wie sie sich fühlt, was die angenehmen Seiten sind, hier im Heim zu wohnen. Nach einigen Minuten Smalltalk verabschiedet sie mich mit den Worten: „Schön, dass du da warst.“

      Begegnung 5

      Ein kleiner Mann, mit schütterem Haar und Hosenträgern läuft durch die Gänge des Heimes. Was er zu sagen hat, bringt er laut und vernehmlich zur Sprache: „Ja.“ Mehr nicht. Einfach: „Ja“, immer wieder im Abstand von einigen Sekunden: „Ja“. Nur die Lautstärke variiert, und die Stimmmodulation. Er scheint mit Genugtuung wahrzunehmen, wie sich die Laute in den unterschiedlichen Räumen unterschiedlich entfalten. Das Ja im Treppenhaus klingt ganz anders als das Ja in dem mit Polsterstühlen bestückten Aufenthaltsraum. Er kommt auf mich zu, gibt mir die Hand, sagt ausnahmsweise „Guten Tag!“, dann wieder „Ja…Ja……Ja“. Ich höre, wie sein Wort noch lang durch die Gänge hallt. Der kleine Mann hat Ausstrahlung. Er ist mir auf Anhieb sympathisch. Sein Rufen geht mir durch und durch. Es hat etwas Kontemplatives. Vielleicht ist es das konsequente Ja-Sagen, das mich beeindruckt, so eingeschränkt mir seine Lebenssituation auch erscheint. Lebensbejahung pur?

      Begegnung 6

      Eine Frau, noch relativ jung aussehend, gepflegt, freundlich, kommt auf mich zu. Sie möchte mir etwas mitteilen, beginnt zu sprechen, stockt, weiß nicht mehr weiter. Erneut setzt sie an, bringt aber wieder nur einen halben Satz heraus. Sie schämt sich dafür. Für einen Moment sind wir beide ratlos. Ich sage, dass es für mich jetzt nicht schlimm ist, wenn ihr die Worte nicht einfallen, dass wir uns vielleicht doch irgendwie verständigen können. „Vielleicht kann ich erahnen, was Sie sagen möchten.“ Sie lässt sich auf eine Art Ratespiel ein. Ich mache Ergänzungsvorschläge. Sie wählt aus, was dem einigermaßen nahe kommt, was sie selbst sagen wollte. Es entfaltet sich eine gewisse Komik. Wir müssen lachen. Am Ende entsteht Erleichterung auf beiden Seiten. Sie sagt: „Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.“, ohne zu stocken.

      Begegnung 7

      Ich schaue in den Frisörsalon, der zum Wohnheim gehört. Eine Bewohnerin sitzt aufrecht vor dem Spiegel. Die Frisöse entfernt gerade die Lockenwickler aus dem leicht violett gefärbten Haar, zupft noch ein wenig am Kopf der alten Dame herum. Minuten später treffe ich die frisch Frisierte auf dem Weg zu ihrem Zimmer. Ich lobe ihr frisches Aussehen. Sie sagt: „Zweimal im Monat leiste ich es mir, zum Frisör zu gehen. Da fühlt man sich doch gleich ganz anders. Ich habe schon immer Wert darauf gelegt, dass ich ordentlich aussehe.“ Und mit zurückgenommener Stimme, als vertraute sie mir ein Geheimnis an, flüstert sie: „Man kann sich doch hier nicht gehen lassen.“

      Begegnung 8

      Ich betrete das Zimmer einer Bewohnerin, die vor wenigen Tagen aus dem Krankenhaus ins Heim zurückgekehrt ist. Ich weiß, dass ihr das rechte Bein amputiert werden sollte, nachdem sie vor Jahren schon das linke eingebüßt hatte. Sie hatte große Angst vor der Operation, und noch mehr vor dem endgültigen Verlust der eigenständigen Mobilität. Sie hoffte, dass die Ärzte das Bein erhalten können. Frau Z. sitzt im Bett. Sie strahlt vor Freude. Ich hatte mich auf Klagen und Weinen eingestellt, war auf alles gefasst, nur nicht auf so viel Fröhlichkeit. Sie ruft: „Ein Wunder ist geschehen.“ Ich schaue ungläubig auf die Bettdecke, aus deren Faltenwurf ich schließen konnte, dass ihr die Amputation nicht erspart geblieben ist. Sie erzählt: „Die Operation ist gut verlaufen. Die Ärzte hatten nur große Bedenken, dass die Wunde nicht gut heilt. Und nun ist sie fast geschlossen. Sogar die Schwester, die mich immer verbunden hat, sagte: Das ist ein Wunder. Ich habe immer dafür gebetet, dass alles gut wird. Gott hat mir geholfen. Dafür bin ich so dankbar.“ Die schnelle Wundheilung war wirklich nicht zu erwarten gewesen, aber dies Fröhlichkeit auch nicht. Ein Wunder.

      Begegnung 9

      In einem Winkel des Speiseraumes sitzt eine Bewohnerin. Sie ist allein, sitzt im Rollstuhl. Ihr Blick ist in die Ferne gerichtet. Ich setze mich zu ihr, spreche sie an. Sie schweigt. Ich stelle eine Frage. Sie gibt mir keine Antwort. Ihre Gesichtszüge sind wie eingefroren, erstarrt zu einem sanften Lächeln. Ich erzähle etwas von mir. Sie bleibt regungslos in ihrer Position und schweigt. Ich bin verunsichert, spüre den Drang aufzustehen, mich zu verabschieden, zu gehen. Aber ich bleibe. Wir schweigen miteinander einige Minuten lang. Die Stille ist mir nicht unangenehm. Das gemeinsame Schweigen verbindet mehr als das einseitige Reden. Ich frage mich: Ist es vielleicht auch ein Gewinn, alle Gedanken loslassen zu können, der Stille Raum zu geben?

      Begegnung 10

      Im Heim wird Gottesdienst gefeiert. Vielen Gottesdienstbesuchern fällt das Zuhören schwer. Einige schlafen. Anderen erschwert innere Unruhe die Konzentration. Ich schaue auf eine alte Dame, die schwer an Demenz erkrankt ist. Sie ist völlig in sich gekehrt. Ihre Augen sind geschlossen. Ich vermute, dass sie kaum wahrnimmt, was um sie herum geschieht. Sie befindet sich scheinbar in einem tiefen Schlaf, aus dem sie nichts und niemand aufzuwecken vermag.

      Die Predigt breitet sich wie eine warme Kuscheldecke über die Gottesdienstbesucher. Dann wird gesungen. Die meisten stimmen kräftig mit ein, zu meinem Erstaunen auch die in sich ruhende Dame. Selbst die dritte Strophe singt sie mit, textsicher, ohne Liedblatt. Das Singen hat sie für Momente aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt. Auch das Vaterunser betet sie mit. Ich staune und denke: Was für eine Gnade, das noch im Gedächtnis zu haben, was das Leben stärkt und trägt.

       Sie haben mich hier aufgegeben

      Von der Mühe, im Altenheim heimisch zu werden

      „Sie haben mich hier aufgegeben.“ Mit diesen Worten versuchte eine neue Heimbewohnerin mir ihre Situation zu erklären. Aufgegeben – das klingt so, als wäre die alte Dame wie ein Paket am Postschalter abgefertigt worden. Ab die Post – vielleicht hatte sie den Umzug ins Heim so empfunden.

      Auf mein Nachfragen erzählt mir Frau E. die näheren Umstände. Sie hatte allein in einem kleinen Haus am Stadtrand gelebt. Ihr Ehemann war bereits vor einigen Jahren verstorben. Nur Nichten und Neffen konnten sich um sie kümmern. Aber die wohnten einige Autostunden weit entfernt. Bis vor wenigen Wochen hatte sie ihren Haushalt allein führen und ihr Häuschen in Ordnung halten können. Aber dann kam der Sturz. Sie lag am Boden, konnte sich nicht mehr rühren. Nachbarn haben sie gefunden und den Arzt gerufen. Sie kam ins Krankenhaus. Zum Glück war nichts Schlimmes passiert, nichts gebrochen. Aber die Schulter schmerzte, die Beweglichkeit war eingeschränkt. Und sie wirkte etwas desorientiert. So wurde sie noch einmal gründlich untersucht. Unter anderem musste sich Frau E. einem Demenztest unterziehen. Offenbar gelang ihr es nicht ganz, die vorgesprochenen Worte in der richtigen Reihenfolge wiederzugeben. Vielleicht waren auch die Zahlen beim Uhrentest durcheinander geraten. Sie war ja selbst ganz durcheinander, vor Aufregung. Aber die Diagnose stand. Frau E. wurde eine beginnende Demenz bescheinigt. Die Angehörigen waren voller Sorge. Wie sollte sie allein in ihrem Haus zurechtkommen? Was wird, wenn sie wieder fällt, wenn sie sich nicht mehr richtig pflegen kann, wenn sie vergisst, die Kochplatte auszuschalten?

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