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nicht mehr recht erkennen,

      was um Sie herum geschieht.

      Stellen Sie sich vor,

      Sie wären für andere nicht mehr interessant.

      Wenn Sie etwas erzählen wollten,

      würden sie sagen: Das haben wir doch alles schon mal

      gehört.

      Stellen Sie sich vor,

      Sie könnten die alltäglichen Aufgaben

      nicht mehr ohne fremde Hilfe bewältigen,

      Sie brauchten Unterstützung

      beim Waschen, Anziehen, beim Gang zur Toilette.

      Stellen Sie sich vor,

      man würde Ihnen raten,

      Ihr Haus, Ihre Wohnung, Ihren Heimatort,

      alles, was Ihnen Geborgenheit gegeben hat,

      zu verlassen.

      Stellen Sie sich vor,

      Sie müssten bleiben, wo kein Zuhause ist,

      müssten unter fremden Menschen leben

      und ihre Seele würde im Heim nicht heimisch werden.

      Was wäre dann?

      Dann würde man Ihnen wohl sagen:

      So ist es eben, wenn man alt geworden ist.

       Wenn ich an Altenheim denke…

      Vorstellungen, Meinungen, Erfahrungen

      Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an ein Altenheim denken? Welche Bilder tauchen in Ihnen auf?

      Ich frage jüngere Menschen nach ihren Eindrücken und Vorstellungen:

      Mit der Schulklasse waren wir schon einmal in einem Altenheim. Dort war alles ziemlich altmodisch, die Möbel und so. Da saßen die alten Leute herum. Ich glaube, die waren alle ein bisschen vergesslich. Und es hat gemüffelt.

      Schüler, 13 Jahre

      Altenheim, das ist Abschiebung, Siechtum, Verfall, Endstation, Hoffnungslosigkeit.

      Ich kann mir nicht vorstellen, irgendwann einmal in einem Altenheim zu landen und als „großes Kind“ behandelt zu werden. Das entspricht nicht meiner Lebensphilosophie.

      Künstler, 56 Jahre

      Ich kenne ein Altenheim, das ist hervorragend ausgestattet. Da hat man einen Garten angelegt, in dem sich die alten Menschen frei bewegen können. Er ist abgeschlossen. Die Wege sind eben, also für Rollstuhlfahrer gut befahrbar. Überall sind Handläufe angebracht, so dass Gehbehinderte Halt finden. Es gibt viele Bänke und Sitzgruppen. Wirklich eine tolle Anlage. Auch der Innerbereich wirkt freundlich und hell. Ich denke, die Heimbewohner fühlen sich dort sehr wohl. Leider sind nicht alle Heime so gut ausgestattet, aber vielleicht mehr als wir glauben.

      Lehrer, 62 Jahre

      Für mich wäre das Altenheim die letzte Möglichkeit, wenn gar nichts mehr geht. Die Heime, die ich kennen gelernt habe, machen den Eindruck einer „Aufbewahrungsanstalt“ für alte Menschen. Da geht die Möglichkeit verloren, ein Individuum zu bleiben. Ich möchte nicht nur „sauber-satt“ sein. Der Mensch hat noch mehr Bedürfnisse.

      Krankenschwester, 44 Jahre

      Altenheim? Ne, kann ich mir für mich nicht vorstellen. Dann doch lieber gleich auf den Friedhof.

      Rentnerin, 66 Jahre

      Was fällt mir ein? Es ist der letzte Lebensabschnitt für die Heiminsassen. Ich frage mich nur, ob da ein menschenwürdiges Leben möglich ist.

      Meine Tochter hat einmal in einer Pflegeeinrichtung gearbeitet. Der Stress war ihr zu groß. Sie hatte darunter gelitten, dass für die Betreuung der alten Menschen so wenig Zeit zur Verfügung stand. Manchmal wäre es so wichtig gewesen, sich ans Bett zu setzen, zuzuhören, über die Sorgen zu reden. Dann wäre aber die Arbeit nicht zu schaffen gewesen. Es ist schon traurig, dass heutzutage nicht der Mensch mit seinen Bedürfnissen, sondern der Profit im Mittelpunkt steht.

      Angestellte, 52 Jahre

      Mit dem Begriff „Altenheim“ werden heute überwiegend kritische Einschätzungen und Überzeugungen verbunden. Die Wahrnehmungen der Defizite, die den Pflegeeinrichtungen in zurückliegender Zeit anhafteten oder auch heute noch anhaften, sind für die Meinungsbildung prägend gewesen. Ein Altenheim ist kein Wohlfühlort. Da sind lange Gänge, unpersönliche und spärlich eingerichtete Zimmer, große Aufenthalträume, klebrige Stühle, unangenehme Gerüche, gestresstes Pflegepersonal, verwirrte alte Menschen auf der Suche nach dem eigenen Zimmer. Da fehlt es an Gemütlichkeit und Leichtigkeit. Da kommt es zu skurrilen Begegnungen. Da gibt es Langeweile, Verdrossenheit, Siechtum, Warten auf ein gnädiges Ende. Diese Eindrücke sind Teil einer Realität, die nicht schönzureden ist.

      Aber es gibt noch einen anderen Blick auf die Heime, in denen alt gewordene Menschen ihren Lebensabend verbringen. Es sind Orte, wo hilfebedürftige Menschen aufgefangen werden, Bleibe finden, versorgt werden. Es sind Orte, wo Menschen unterschiedlichster Herkunft einander begegnen, soziale Kontakte gestalten, Mitgefühl füreinander entfalten, Leid miteinander teilen. Es sind Orte, in denen Menschlichkeit, Achtsamkeit und Wertschätzung geübt wird. Es sind Orte, in denen Menschen auch zufrieden und dankbar sein können.

      Einen anderen Blick haben bedeutet vor allem, die Menschen zu sehen mit all ihren Prägungen, den Reichtum entdecken, den jedes Individuum in sich trägt, den Reichtum an Erfahrungen, Erinnerungen, Lebensweisheit. Die andere Sichtweise bedeutet, die menschliche Würde wahrzunehmen und die erfrischende Originalität jedes einzelnen, die auch durch Gebrechen und Demenz nicht verloren gehen.

      So gesehen ist ein Altenheim ein Haus voller Vielfalt und Leben, in dem Menschen erzählen können, wie sie ihr Leben gemeistert und unter schwierigsten Bedingungen Glauben, Mut und Hoffnung nicht verloren haben, wie sie aller Beschwernisse des Alterns zum Trotz gelassen bleiben. Es ist ein Haus voller Erinnerungen.

      In den folgenden Abschnitten will ich versuchen, die Schätze einer einzigartigen Kultur, die den Heimen mit den dort lebenden Menschen innewohnt, zu heben. Es sind Schätze, die unser aller Leben bereichern können, aus denen sich eine Kultur der Menschlichkeit, des einfühlsamen Verstehens und der gegenseitigen Wertschätzung erschließen lässt.

       Begegnungen im Altenheim

      Begegnung 1

      Eine alte Dame, gepflegt und gut gekleidet steht vor einem großen Spiegel. Sie steht aufrecht und betrachtet ihr gespiegeltes Gegenüber. Dann beginnt sie zu reden. Sie grüßt ihr Spiegelbild freundlich. Die Freundlichkeit kommt zeitgleich zurück. Es beginnt ein langer Monolog. Oder ist es ein Dialog? Beide Damen bleiben ruhig stehen, reden und hören zugleich einander aufmerksam zu, auf Augenhöhe. Wie wohltuend, wenn jemand so geduldig zuhört, das Lächeln, die freundlichen Gesten spontan erwidert. Nach eingehender Unterhaltung verabschieden sich beide, synchron. Sie gehen fröhlich ihrer Wege.

      Ich bin eigenartig berührt. Ist das nicht „verrückt“? Ich trete selbst für einen Augenblick vor den Siegel, schaue mich etwas verunsichert an. Ich frage mich: Wie begegne ich mir? Wann komme ich mit mir selber ins Gespräch?

      Begegnung 2

      Eine kleine Frau kommt mir auf dem langen Gang des Heimes entgegen. Sie schiebt einen Kinderwagen vor sich her, schäkert mit dem Kind und lacht. Fährt sie ihr Urenkel spazieren? Mutterglück scheint sich auf ihrem Gesicht abzuzeichnen. Sie kommt näher. Ich darf in den Wagen schauen. Im Kinderwagen liegt eine Puppe, fein zugedeckt. Die liebevolle Mutter holt ihr Kind heraus, drückt es an sich und zeigt es stolz dem „Onkel“. Dann legt sie ihr Kind wieder sorgsam in den Wagen, deckt es liebevoll zu, spricht mit ihm, lacht. Langsam zieht sie weiter, den Gang entlang. Sie scheint glücklich zu sein.

      Begegnung

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