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wegwollte.

      Aber nachdem sie erst miteinander nach Martha’s Vineyard gefahren, spontan geheiratet hatten und dann wieder nach Hause gekommen waren, sank sie langsam wieder zur Erde hinab, ließ Sterne und Mond hinter sich. Die Jahreszeiten wechselten – aus Frühling wurde Sommer, der Sommer wich inzwischen langsam dem Herbst –, und Taylor spürte, wie ihre Liebe verblasste und welkte.

      In letzter Zeit stritten sie häufig, oft wegen des Geldes. Sie behauptete, er gebe zu viel aus. Er bezeichnete sie als kleinlich. Aber er hatte mehr Schuhe als sie, und seine Kleider beanspruchten zwei Drittel des Kleiderschranks und eine ganze Kommode.

      Mit einem Seufzer wandte sich Taylor wieder dem Foto zu, das sie auf dem Bildschirm bearbeitete. Ausgerechnet ein Hochzeitskleid, das sie für eine junge Designerin fotografiert hatte. Die Abzüge waren morgen fällig.

      Das Retuschieren ging ihr in die Knochen. Sämtliche Kleider hatten Schmutz am Saum, weil sie draußen fotografiert hatten. Die letzten zehn Stunden hatte sie damit zugebracht, auf jedem Foto Licht und Schatten zu optimieren, die Szenerie, die Models, die Kleider – und zu guter Letzt damit, braune Flecken weiß zu machen.

      Nach ein paar Sekunden verlor Taylor die Konzentration. Sie lehnte sich zurück und sah nach der Zeit. Zehn Uhr.

      „Hast du Hunger, Jack?“, rief sie zum Schlafzimmer, wartete, lauschte.

      Sie hatte ihren knurrenden Magen ignoriert und die Essenspausen übersprungen, war fest entschlossen, diesen Job zu erledigen.

      Wenn sie ihren Ruf als Werbefotografin festigen wollte, musste sie ausgezeichnete Arbeit abliefern, und zwar pünktlich.

      „Jack?“

      Die Tür des begehbaren Kleiderschranks fiel ins Schloss, sonst kam keine Antwort. Na gut, dann wieder an die Arbeit. Noch drei Kleider und fertig.

      Taylor atmete tief ein, kauerte sich auf ihrem Stuhl zusammen und zwang sich, weiterzumachen.

      Gleich nach ihrer Spontanheirat mit Jack hatte sie ihren ersten Werbekunden an Land gezogen: Melinda House Weddings war eine europäische Designerin und berühmt dafür, die Großherzogin von Hessenberg, Prinzessin Regina, auszustatten.

      Jack Forester und Melinda House in ein und demselben Monat für sich gewinnen zu können? Ein Glückstreffer. Traumhaft.

      „Was machst du?“ Jack betrat das Zimmer und warf sich aufs Sofa, wo er nach der Fernbedienung griff. Er sah aus, als wollte er zum Sport, trug Basketballshorts und ein übergroßes T-Shirt von der Ohio State National Championship.

      „Arbeiten …“ Kein Kuss. Kein zärtliches Hallo. Kein schmachtender Blick wie in den guten alten Zeiten – die Zeit von vor einem halben Jahr fühlte sich an wie „gute alte Zeiten“. „Hast du Hunger?“

      „Nein, ich habe bei der Arbeit gegessen. Ist das der Auftrag für Melinda House?“

      „Ja, die Säume sind dreckig. Ich habe ihr gleich gesagt, dass das passieren würde, aber sie hat darauf bestanden, draußen zu arbeiten.“ Was dazu geführt hatte, dass Taylor und ihre Assistentin Addison eine anstrengende, aber auch irgendwie berauschende Fahrt durch die ganze Stadt gemacht hatten.

      „Übrigens hat mich Keri heute angeschrieben. Sie fragt sich, ob du bald mit ihrer Hochzeit fertig bist.“

      „Warum schreibt sie denn dir? Sie hat meine Nummer …“ Taylor beugte sich über das Bild auf dem Monitor. Warum bestand Keri darauf, Jack unnötigerweise als Mittelsmann zu benutzen?

      „Reg dich nicht auf, ich frage ja nur.“

      „Ich habe ihr doch gesagt, Ende des Monats.“ Ende des Monats sind die Fotos so weit … hundert Mal hatte sie es gesagt.

      „Schön, dann schreib ihr doch eine SMS oder eine E-Mail. Sie kann es kaum erwarten, ihre Fotos zu bekommen. Das kann man ihr nicht verübeln.“

      „Nein, das nicht. Jede Frau hat das Recht, in Erinnerungen an ihre Hochzeit zu schwelgen.“

      Die einzigen Fotos, die sie von ihrer eigenen Hochzeit besaß, hatte der Standesbeamte mit ihrem iPhone gemacht. Sie hatte nicht einmal daran gedacht, ihre Canon zu der Zeremonie mitzunehmen.

      So verliebt war sie in Jack gewesen. Verrückt. Vergesslich. Spontan.

      Keris Hochzeit hatte sie eigentlich gar nicht fotografieren wollen, weil der Auftrag nicht zu dem Portfolio beitragen würde, das Taylor aufbauen wollte. Aber Keri war eine Freundin von Jack, seine ehemalige Kundin und möglicherweise auch Ex-Freundin, obwohl Taylor sich nicht so sicher war, was den letzten Punkt anging. Egal, sie würde jedenfalls fast alles für Jack tun.

      Sie hatte ihn sogar geheiratet, obwohl sie nichts vom Heiraten hielt.

      Er war ihr Schwachpunkt. Er war ihr Schlussverkauf im Schuhgeschäft, ihre Schokoladentafel, ihr großes Eis (mit Sahne) an einem heißen Sommertag, ihr fleischgewordener Highschoolschwarm.

      Sie hatte gar nicht gewusst, dass er in Manhattan war, bis sie an jenem kalten Januartag im wahrsten Sinn des Wortes in ihn hineingerannt war, als sie um die Ecke Madison/67. bog. Sie hatte gerade einen Auftrag abgeschlossen und fand, ein Besuch in Tory Burchs exklusiver Boutique wäre eine nette Belohnung.

      Nicht, dass sie das Geld gehabt hätte, um bei Tory Burch einzukaufen, aber Bummeln und Träumen schadeten nie. Auf dem Nachhauseweg würde sie sich einen Caffé Latte gönnen, als echte Belohnung.

      Stattdessen entdeckte sie Jack. So viel besser, als Kleider anzuschmachten, die sie sich sowieso nicht leisten konnte. Ja, das war’s. Einen Mann anzuschmachten, den sie sich genauso wenig leisten konnte, aber aus irgendeinem Grund war ihre Gefühlsbank bereit, eine Investition in Jack Forester zu riskieren.

      Zuerst war da einfach nur ein großes Hallo gewesen. Zwei Freunde aus Heart’s Bend, Tennessee, im großen Big Apple.

      Dann Abendessen, gefolgt von einem Mittagessen, dann wieder Abendessen. Acht Wochen später hatte er ihr am Strand von Martha’s Vineyard die zwei betörenden Worte ins Ort geflüstert: „Heirate mich.“ Kein Zögern. „Ja.“

      Mit müden, brennenden Augen schloss Taylor den Laptop. Sie würde am Morgen fertigwerden und die Fotos immer noch pünktlich an Melinda schicken. „Ge-gehst du aus?“

      Jack warf ihr einen Blick zu und schaute dann wieder zum Fernseher, wo er beim Sportkanal gelandet war. „Ja. Aaron hat angerufen, er wollte Basketball spielen.“

      „Jetzt?“

      „Es war ein langer Tag. Ich muss ein bisschen Energie abbauen. Hops ist ganz aufgeregt wegen der FRESH-Water-Geschichte.“

      Jack war Aufsteiger in der Werbewelt New Yorks. Ad Age nannte ihn den „Betörer“. Seine Arbeit an einem Super Bowl-Werbespot hatte seiner Agentur den ersten CLIO Award eingebracht.

      „Was ist denn da los mit FRESH Water?“

      Sie hatte gewollt, dass Jack sie für eine FRESH-Kampagne empfahl. Aber sein Chef, Hops Williams, missbilligte Vetternwirtschaft. Da spielte es keine Rolle, wie gut Taylor war oder wie billig – zählte kostenlos überhaupt? Er ließ den Gedanken daran, dass die Frau seines besten Mannes für einen der Kunden arbeitete, nicht zu.

      „Nichts, wir versuchen nur, alle Aspekte zu berücksichtigen.“

      Nichts? Es fühlte sich nicht an wie nichts. „Hops regt sich auf wegen nichts?“

      „Taylor –“ Jack stand auf und ging in die Küche. „Es ist nur die Arbeit.“ Er öffnete die Kühlschranktür.

      Sie spürte all das sehr deutlich, empfand es als Zeichen dafür, dass ihre Beziehung im Sterben lag. Am Anfang hatten sie zusammen mit verschlungenen Armen und Beinen im Bett gelegen, während sie über ihre Arbeit sprachen, über ihre Träume, über die witzigen Stellen bei Jimmy Fallon. Dann waren sie Arm in Arm eingeschlafen. Aber jetzt gingen sie zu unterschiedlichen Zeiten zu Bett. Jack mauerte, was seine Arbeit anging, und wenn Taylor sich nicht verrechnet

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