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Wissen:

      Das Geheimnisvolle bei der Übergabe eines solchen „Berufes“, der von seinen besten Trägern als echte Berufung aufgefaßt wird, erhöht sich noch durch besondere Vorschriften, die dabei gelten; diese sind sehr verschieden und widersprechen sich oft: Einmal darf eine Frau die Kunst nur von einer Frau, ein Mann nur von einem Mann übernehmen, dann wieder ist die Verschiedenheit der Geschlechter Voraussetzung für die Weitergabe, und schließlich kommt es sogar vor, daß Ledige sich nur Ledigen, Verheiratete sich nur Verheirateten mitteilen dürfen oder daß auch hier Verschiedenheit des Familienstandes Voraussetzung ist.151

      Hier gilt, dass bestimmte Bedingungen für das Erlangen des magischen Wissens erfüllt werden müssen. Im Gegensatz zum Bereich des Profanen ist der Bereich des Heiligen durch das Tabu geschützt.

       4 Der Zauberspruch

       4.1 Eigenschaften des Zauberspruchs

      Das Lexikon des Mittelalters definiert Zaubersprüche folgendermaßen:

      Zaubersprüche sind eine Form der Wortmagie, die sich gesprochener Formeln in gebundener oder ungebundener Rede bediente, um direkt oder mittelbar (durch Beschwörung vermittelnder Wesenheiten […] oder durch das Bitt-Gebet zu Heiligen bzw. Engeln) in den Ablauf des Kausalgeschehens einzugreifen.152

      Der Zauberspruch kann „von Zaubergebärden begleitet, zu Zauberhandlungen (Ritualen) der Kontakt- und Entsprechungsmagie gemurmelt, skandiert oder gesungen“153 werden. Auch Simek bezeichnet Zaubersprüche als „verbale Ausformungen der magischen Handlung, die gesprochen oder gesungen werden konnten.“154

      Der Zauberspruch ist „eine literarische Kleinform [mit] ausgesprochenem Gestaltenreichtum“,155 da er sich von reinen „Phrase[n] des Zauberworts bis zu mehrstrophigen Gebilden auffächert.“156 Man kann den Zauberspruch demnach zum Teil der Gattung der Lyrik zuordnen. Wie Lieder oder Gedichte weist er Reimschemata auf. Neuzeitliche, aber auch mittelalterliche Zaubersprüche haben oft ein einfach gefertigtes Reimschema, wie den Kreuz- oder Paarreim, ältere germanische weisen noch die traditionelle Stabreimform auf.157 Manche Zaubersprüche haben auch eine Nähe zu Kinderreimen.158

      Die magischen Prinzipien werden auch in lyrischen Stilmitteln umgesetzt:

      Das Grundprinzip des Animismus, siehe auch Kapitel 3.1.5, zeigt sich in der Personifikation. Die Krankheit, zum Beispiel die Migräne („Wohin gehst du, Schädelschmerz […]“?159) oder der Krankheitswurm, werden personifiziert und es wird zum Teil direkt mit ihnen kommuniziert. Ein Beispiel ist der imperativische Befehl „Gang ûz“160 des Wurmsegens. Ein weiteres wichtiges Stilmittel ist der Vergleich, der sich häufig durch Wörter wie „wie“ ausdrückt.

      Der Trierer Pferdesegen ist ein Beispiel für den literarischen Vergleich: „Soso Krist gibuozta themo sancte Stephanes hrosse thaz entphangana, so gibuozi ihc it mid Kristes fullesti thessemo hrosse.“161 So wie Jesus Christus einst geheilt hat, so will auch der Mensch, der den Spruch benutzt, die Heilung durchführen.

      In der Beschwörung erfolgt die „Aufreihung gleichartiger syntaktischer und morphologischer Elemente“,162 wie man am Beispiel der zweiten und dritten Zeile des Spruchs Pro Nessia erkennen kann: „uz fonna marge in deo adra, vonna den adrun in daz fleisk, fonna demu fleiske in daz fel, fonna demo velle in diz tulli.“163 In der dritten Zeile findet sich auch das Stilmittel des Parallelismus.

      Die „zahlreiche[n] Wiederholungen [dienen] ästhetischen und pragmatischen Zwecken zugleich.“164 Naiditch betont die „pragmatische Seite des Zauberspruchs“ und seine Nähe zu Gebrauchstexten:

      Die pragmatische Seite des Zauberspruchs – der Versuch, das gewünschte Ergebnis durch einen auf ganz bestimmte Weise organisierten Text zu erreichen – hat ihrerseits zwei Seiten, die zu unterschiedlichen Textsorten tendieren. Der Glaube an die Magie des Wortes und der Rede in ihrer äußerlichen Struktur (Modulation der Stimme, Rhythmus) geht hier mit der Notwendigkeit der exakten detaillierten Beschreibung der Handlung Hand in Hand. Indem das Erstere mit der magisch-poetischen Seite des Textes verbunden ist, vereinigt das Letztere den Zauberspruch mit den „Gebrauchstexten“ […].165

      Der Zauberspruch hat also eine „magisch-poetische Seite“,166 aber auch eine pragmatische, nämlich „die Wirklichkeit durch einen auf ganz bestimmte Art und Weise organisierten Text zu verändern.“167 Hier ist die genaue Beschreibung des Gewünschten nötig.168 Auch Simek betont „die Bedeutung der korrekten Wiedergabe.“169 Dies ist so, da „das Wort Gegebenes erhalten, vernichten oder verwandeln [soll] und […] zur Handlung [wird].“170 Zaubersprüche sind also nicht nur gesprochene Worte, sondern „sie sind Sprachhandlung.“171 Die Aussage „Ich beschwöre dich“172 wird im Spruch auch zur Tat.

      Das Prinzip des „gesagt-getan“173 findet sich auch in diesem Zauberspruch:

      Ich greif an die Haut

      ich greif an das Fleisch

      ich greif an das Bein

      ich greif an das Mark und Blut

      das ist für alle Schwinden gut.174

      Das Ausformulieren der Absicht wird direkt mit einer Handlung begleitet. Ziel ist auch hier „die Beseitigung des Schadens durch Wort und Tat.“175 Magische Formeln haben allerdings verschiedene Formen. Es gibt, neben klar formulierten Anliegen, auch Zaubersprüche, die nicht auf sinnvollen und verständlichen Ausdrücken beruhen, sondern mit der Onomatopoesie und der freien Kombination von Lauten spielen.176

      Allen Zaubersprüchen gemeinsam ist aber, dass sie auf der Macht der Wortes beruhen.

      Doch wie erklärt sich die magische Kraft des Wortes?

      Eine Erklärung ist, dass das Wort als Repräsentant für das bezeichnete Lebewesen oder den benannten Gegenstand steht. Dieser dient dann als pars pro toto. Für den Anwender des Zauberspruchs „fallen Zeichen und Gezeigtes zusammen“.177 Weiter heißt es bei Monika Schulz: „Für den archaischen Menschen sind die Sachen und die Worte nicht unterschieden […]“178

      Wer den Namen hat, hat im Zauberspruch oftmals Macht über das gesamte Wesen, da „der Name die ‚Essenz‘ des Trägers darstellt.“179 Zwischen dem Namen und der Person besteht Sympathie.180 Im Märchen Rumpelstilzchen ist diese Denkweise ebenfalls zu finden: Der Gnom verliert seine Macht, nachdem sein Name ans Licht gekommen ist.181 Ein Beispiel aus dem Neuen Testament ist die Austreibung des Dämonen „Legion“. Jesus fragt vor der Austreibung nach dem Namen der Geister, die den Kranken heimsuchen.182

      Eine weitere Erklärung ist, dass das geschriebene Wort in vorschriftlichen Gesellschaften, aber auch im Mittelalter, exklusiven Charakter hatte und sich dadurch von der Ebene des Profanen entfernt hatte.183

      Das frühe Mittelalter zum Beispiel war „eine Kultur von eingeschränkter Schriftlichkeit.“184 Die Fähigkeit zu schreiben war auf die Insassen der Klöster beschränkt. Hinzu kommt, dass diese im frühen Mittelalter allerdings noch nicht überall vertreten waren.185 Deswegen kann man die „Schreibkunst als monopolisierte Technik“186 bezeichnen, die für die illiterati unzugänglich und deswegen geheimnisvoll war.187

      Das Wort war auch insofern heilig, als das Schreibvermögen und auch die Schrift auf göttlichen Ursprung zurückgeführt wurden.188 Ein Beispiel dafür wäre die schreibende Hand Gottes im Alten Testament.189 Die Bibel ist die Glaubensgrundlage der christlichen Religion und wird auch Die Heilige Schrift genannt. Dass „das Buch bis tief ins Hochmittelalter hinein ein Gegenstand der Verehrung war“,190 ist auch dadurch zu erklären, dass

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