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Schamanismus bei den Germanen. Thomas Höffgen
Читать онлайн.Название Schamanismus bei den Germanen
Год выпуска 0
isbn 9783964260000
Автор произведения Thomas Höffgen
Жанр Эзотерика
Издательство Автор
In der germanischen Mythologie heißt es übrigens, dass in der Krone des Weltenbaums eine „schwankende Himmelsstraße“ (bifröst) oder Regenbogenbrücke erscheint, die den Himmel und die Erde miteinander verbindet: Die Götter nutzen diese Brücke, um in die Menschenwelt zu reiten. Warum sollten nicht auch die Menschen auf demselben Weg das Götterreich begehen können?
Die neun Welten
Der Weltenbaum strukturiert das Universum. Er ist die „All-Säule“, an deren Ästen die Seele des Schamanen in die verschiedenen Weltebenen klettert. Meistens unterteilt der Weltenbaum den Kosmos in drei Dimensionen, es können aber auch neun (3x3) oder zwölf (3x4) sein. In der germanischen Mythologie gibt es neun Welten, so weissagt die Seherin der Edda:
neun Welten gedenk ich, neun Ästen
des herrlichen Weltenbaums unter der Erde.
(Völuspa 3)
Zwar ist an keiner Stelle genau überliefert, wie sich die neun Welten Yggdrasils konstituieren. Doch werden in der germanischen Mythologie verschiedene Weltennamen genannt und kontextualisiert, die sich durchaus sinnvoll zusammenfassen lassen. Von einem ‚genormten Weltenbaum‘ ist bei den Germanen ohnehin nicht auszugehen, sondern von stammgebundenen individuellen Ausformungen (Varianten) ein und derselben Sache (Mythologem). Bei der folgenden Darstellung handelt es sich um eine Rekonstruktion der neun Welten Yggdrasils unter Einbezug der Ausführungen von Snorri Sturluson:
OBERE WELT
1. Asgard heißt die prunkvolle Wohnstätte des Göttergeschlechtes der „Asen“, zwölf Himmelsburgen aus Gold und Silber, umgeben von gigantischen Mauern. Hier hat Odin seinen Hochsitz. Hierhin kommen die Helden – die Einherjer – nach dem Tode: Zu Odin (Walhall) oder Freyja (Folkwang). Die Regenbogenbrücke Bifröst reicht von Asgard in die Menschenwelt Midgard.
2. Wanenheim ist der Name der Wohnstätte der Wanen, des zweiten Göttergeschlechtes der Germanen. Hier haben die Geschwister Frey („Herr“) und Freyja („Herrin“) ihren Sitz, alte, vielleicht vor-indoeuropäische Fruchtbarkeitsgötter. Freyja ist auch die Göttin der Liebe und der Magie, die ‚Venus des Nordens‘.
3. Lichtalbenheim ist der Ort, an dem die Lichtalben leben, also das Feenreich. Alben bzw. Elfen sind Naturgeister, die in den Phänomenen erscheinen, in Pflanzen, Steinen oder Bächen. Sie sind lieblich-zarte Lichtwesen, die an Sonnenstrahlen erinnern und im Morgentau tanzen. Beim „Álfablót“ brachten die Germanen ihnen Opfer dar.
MITTLERE WELT
4. Midgard heißt die Menschenwelt, die Welt, wie wir sie kennen. Midgard ist zugleich die Bezeichnung für die Hecke, die das germanische Gehöft vom Wald abgrenzt, bezeichnet also den vom Menschen kultivierten Lebensraum im Gegensatz zur Wildnis. Im mythologischen Bewusstsein der Germanen wird Midgard von der Midgardschlange umschlungen.
5. Jötunheim ist das Reich der Riesen, Elementarwesen, die die Naturgewalt verkörpern. Jötunheim wiederum liegt in Utgard, das ist die „Außenwelt“, die Welt außerhalb von Midgard. In der Volksdichtung werden Riesen in Zusammenhang gebracht mit den wilden Leuten, also Menschen, die aus rituellen Gründen den vertrauten Lebensraum verlassen und „aus-Midgard-heraus-treten“.
6. Muspellsheim liegt im Süden, wo das Feuer dominiert; hier leben die Feuergeister und Feuerriesen. Die Funken des Feuerlandes sind die Gestirne am Firmament: Sonne, Mond und Sterne. Das Feuer ist aber auch ein Symbol für die Erkenntnis und die Wesensschau, den Geistesblitz, man denke nur an die Erfindung des Feuermachens mit dem Feuerstein.
UNTERE WELT
7. Schwarzalbenheim wird die Wohnstätte der Zwerge, Kobolde und Erdgeister genannt. Diese Wesen leben unterirdisch in Höhlen und Gebirgen oder unter Bäumen, sind zauberkundig und kräftig und manchmal etwas eigenwillig. Sie lieben (Edel-)Metalle und Waffen und sind vorzügliche Schmiede. Schwarzalben sind nicht ‚schwarz‘ im Sinne von ‚bösartig‘, sondern ‚erdverbunden‘.
8. Niflheim liegt im Norden, wo das Eis ist. Ein Wolkenschleier zieht sich über diesen Ort: Niflheim heißt „Nebelheim“. Volkstümlich wird der Herbst- bzw. Winternebel mit dem Erscheinen der Geister assoziiert. Doch nicht nur kalter Nebel steigt hier auf, sondern auch kochend-heißer Dunst: In Niflheim entspringt die heiße Quelle Hvergelmir („brodelnde Quelle“), die alle Flüsse speist.
9. Hel ist sowohl der Name des unterirdischen Totenreichs, als auch von dessen Herrscherin. Eine goldene Jenseitsbrücke – eine Schamanenbrücke – führt die Seelen der Verstorbenen zu diesem Ort. „Hel“ ist verwandt mit dem Wort „Hölle“. Doch mitnichten droht hier ewige Verdammnis; diese Vorstellung ist christlich. Vielmehr heißt „Hel“ (indogerm *kel) „verhüllen, verbergen, schützen“.
Kultbäume der Germanen
Über eine Rolle Yggdrasils im Kult sei nichts bekannt, heißt es in der einschlägigen Forschungsliteratur. Dies gilt es anzuzweifeln. Zwar fällt im Kontext eines Kultes nirgendwo der Name „Yggdrasil“, aber warum auch, wenn der Baum woanders in Germanien ganz anders heißt? Tatsächlich scheinen die mittelalterlichen Nordgermanen aber ihre Heiligtümer und Naturdenkmäler explizit mit Yggdrasil assoziiert zu haben. So berichtet der Theologe Adam von Bremen im 11. Jahrhundert in seiner Hamburgischen Kirchengeschichte, dass die Heiden unweit ihres Tempels in Uppsala (Schweden) einen „sehr großen Baum“ verehren, „der seine Zweige weithin ausbreitet und im Winter, wie im Sommer immer grün ist. Welcher Art derselbe ist, weiß niemand“. Am Fuße dieses Baumes, an einer „Quelle“, kamen die heidnischen Germanen zum Kult zusammen und brachten „Opfer“ dar. Wer denkt bei der Beschreibung nicht an die immergrüne Esche Yggdrasil mit ihrer Schicksalsquelle?
Sicher belegt ist, dass die Germanen gewisse Bäume ihren Göttern weihten. Dies waren meist besonders alte Bäume, die an exponierter Stelle in den Hainen standen und in deren Schatten der jeweilige Stamm über hunderte von Jahren sich zum Thing versammelte. Die südgermanischen Chatten beispielsweise, die alten Hessen, huldigten dem Gewittergott Donar unter einer mächtigen Eiche unweit des heutigen Dörfchens Geismar – der „Donareiche“. Ein jähes Ende fand dieser Kult jedoch, als Bonifatius, der sogenannte „Apostel der Deutschen“, die heidnischen Hessen zwangschristianisierte und im Jahre 723 die Donareiche niederhauen ließ.
Die alten Sachsen verehrten einen Weltenbaum in stilisierter Form als kunstvoll gefertigte Ikone unter dem Namen „Irminsûl“ im Sauerland. Traurige Berühmtheit erlangte die Irminsûl im Jahre 772, als der Christenkönig Karl der Große in das Sachsenland einfiel und das Heiligtum zerstörte. Die einzige nähere Beschreibung dieses Weltenbaumes stammt aus dem Jahre 863 vom Mönch und Missionar Rudolf von Fulda:
Sie verehrten auch unter freiem Himmel einen senkrecht aufgerichteten Baumstamm von nicht geringer Größe, den sie in ihrer Muttersprache ,Irminsul‘ nannten, was auf lateinisch columna universalis bedeutet, welche gewissermaßen das All trägt.13
Wie die Irminsûl tatsächlich aussah, ist unbekannt. Ein ernstzunehmender Hinweis findet sich indessen an den Externsteinen im Teutoburger Wald. Die Externsteine sind eine markante Sandsteinfelsformation, die nachweislich schon in der Altsteinzeit von Menschen aufgesucht wurde. Nicht unwahrscheinlich, dass hier die Germanen einen Kultplatz hatten. An einer Seite dieses Felsens findet sich jedoch ein christliches Relief, das die Kreuzabnahme Christi zeigt. Schaut man genau hin, erkennt man etwas weiter unterhalb ein weiteres Symbol, nämlich einen abgeknickten