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Schamanismus bei den Germanen. Thomas Höffgen
Читать онлайн.Название Schamanismus bei den Germanen
Год выпуска 0
isbn 9783964260000
Автор произведения Thomas Höffgen
Жанр Эзотерика
Издательство Автор
Weltberühmt sind außerdem die Höhlenmalereien in Frankreich, die zoomorphe Mischgestalten abbilden, man denke an den Mann mit Hirschgeweih und Mann mit Stierhörnern und Mundbogen in der Grotte des Trois-Frères in Montesquie-Avantès:
Im Magdalénien von Mas d‘Azil aber tritt uns ein Mann mit Bärenkopf, in der Grotte von Espélugues bei Lourdes, ebenfalls in Südfrankreich, ein solcher mit Pferdekopf entgegen. Dies waren sicher Maskentänzer, die sich mit einem entsprechenden Fell und Kopf als Bär oder Pferd verkleidet vor einem geplanten Jagdzug auf diese Tiere Zauberkraft zu deren Erbeutung zu verschaffen versuchten.4
Tierverwandelte Ekstatiker begingen hier, im Bauch der Mutter Erde, schamanische Kulte: In der Brillenhöhle bei Blaubeuren (Schwäbische Alb) fand man bei Ausgrabungen einen fast 20.000 Jahre alten Trommelschlägel aus Rengeweih, der stark an diejenigen erinnert, die von den Samí-Schamanen verwendet werden.
Der vielleicht beeindruckendste Beleg für den mitteleuropäischen Schamanismus im Mesolithikum (ca. 10.000-5.000 v. u. Z.) ist die sogenannte „Bestattung von Bad Dürrenberg“, die älteste Bestattung in Sachsen-Anhalt (Deutschland). In dem rund 8.000 Jahre alten Grab fand man das Skelett einer (aufrecht sitzenden) Frau, die zwischen ihren Schenkeln einen Säugling hielt. Das Grab war rund 30 Zentimeter (!) hoch mit rotem Ocker befüllt. Roter Ocker oder „Rötel“ ist ein Zaubermittel, das weltweit in schamanischen Kulturen verwendet wurde und wird. Außerdem fand man über 100 Skelettreste von verschiedenen Säugetieren, über 120 Muschelstücke, unzählige Feuersteinfragmente und die Panzer von mindestens drei Sumpfschildkröten, ein Beil aus Hornblendschiefer mitsamt Fassung aus Hirschgeweih sowie rund 100 Schmuckstücke aus Tierzähnen und -hauern. Kurz, das Grab war voll mit schamanischen Ritualobjekten. Man fand auch die Fragmente einer kultischen Kopfbedeckung aus Schädelknochen mit dem Geweih von Rehen, welche überdeutlich an die Tracht sibirischer Schamanen erinnern. Gewiss waren dies die heiligen Requisiten, die der Schamanin von Bad Dürrenberg dabei halfen, sich in Trance zu versetzen und in ein Tier zu verwandeln.
Den Funden von der Schwäbischen Alb und aus Sachsen-Anhalt nach zu urteilen, mussten vielleicht gar nicht erst die Samí den Germanen den Schamanismus bringen. Warum sollte sich der Steinzeit-Schamanismus nicht bis in die Germanenzeit erhalten haben? Bekanntermaßen gab es auch bei den Germanen Menschen, die zu gewissen Zeiten Fell anlegten, Tiermasken trugen und sich mit Leder, Federn und Gehörn verkleideten – und rituell zum Tier wurden. Handelt es sich bei den germanischen Berserkern, Werwölfen und Geißmännlein nicht um die Urenkel dieser steinzeitlichen Tiermenschen?
Heilige Ekstase
Als Begründer der modernen Schamanismus-Forschung gilt der rumänische Religionswissenschaftler Mircea Eliade. Er betrachtete den Schamanismus als eine rituelle Praxis, mittels derer der Schamane bewusst (nämlich durch bestimmte Techniken, die tranceartige Zustände hervorrufen) außerkörperliche Erfahrungen induziert. Ziel der Praxis sei es, den gewöhnlichen Bewusstseinszustand zu verändern und die subjektive Wirklichkeit zu transzendieren, um mit den Göttern oder Geistern – das heißt: gewöhnlich unsichtbaren Entitäten – in Kontakt zu treten. „Eine allererste Definition dieses komplexen Phänomens“, schreibt Eliade, „wäre: Schamanismus = Technik der Ekstase“.5
Von der jüngeren Forschung wurde diese Definition übernommen:
Die wichtigste, schlechthin unabdingliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Séance aber war, daß der Schamane in Trance fiel, genauer: in Ekstase geriet, das heißt ganz Seele wurde und sich so vom Leib befreien und ins Jenseits begeben konnte. Dazu hatten Schamanen in aller Welt eine Fülle von ‚Techniken‘ entwickelt.6
Das altgriechische Wort ἔκστασις (ekstasis: „Ekstase“) bezeichnet das „Aus-sich-Heraustreten“, die „Begeisterung, Verzückung“. „Als Ekstase wird das in höchster Form von Erregung stattfindende ‚Heraustreten der Seele‘ aus den Körpergrenzen bezeichnet“.7
Ekstase ist ein Bewusstseinsphänomen, bei dem die Grenzen zwischen Ich und Nicht-Ich durchlässig sind und das mitunter als Verzückung, Rausch, Trance, Besessenheit, Enthusiasmus oder Begeisterung beschrieben wird. Psychische Zustände des Außersichseins können durch halluzinogene Stoffe, durch Drogen und Alkohol, aber auch durch asketische Übungen oder rituellen Tanz hervorgerufen werden. […] Berichte über ekstatische Erlebnisse handeln von Reisen in die Ferne, zu Göttern, Geistern und in den Himmel. Schamanen beziehen ihre Kraft und Erkenntnisse über medizinische Mittel häufig aus ekstatischen Reisen zu den Geistern, die für die Heilung der Menschen zuständig sind.8
Der Begriff „Ekstase“ ist insbesondere im Kontext der vorchristlichen Mysterien im antiken Griechenland gebräuchlich (Eleusis, Delphi, Dodona etc.). Ein bestes Beispiel für diese heidnischen Ekstasekulte der Hellenen sind die Dionysien, rituelle Festspiele und Verkleidungskulte zu Ehren des Rauschgottes Dionysos, die fest in der griechischen Kultur verwurzelt waren. In archaischer Zeit bestanden die Dionysien aus wilden Umzügen, bei denen die Teilnehmer unter Trommelrhythmen und Obertonmusik freudentaumelnd durch die Wälder brausten. Die weiblichen Kultanhängerinnen des Dionysos nennt man „Mänaden“; sie hüllen ihre nackte Haut in Hirschkalbfelle, werfen tanzend ihre Köpfe in den Nacken und empfinden keinen Schmerz – ihr Name deutet auf den Schamanismus (μανία [mania]: „Raserei“). Die männlichen Kultanhänger nennt man Satyrn; sie sind Mischwesen aus Mensch und Tier und transzendieren die Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis – „Ekstase“ bedeutet immer auch „das Aus-der-Kultur-Heraustreten“. Die Dionysien dienten als eine Art „Ventil“ und Ausgleich zur gesellschaftlichen (apollinischen) Ordnung; sie waren die gezielt eingeleitete Erfahrung des ‚ganz Anderen‘. Zwar waren die griechischen Mänaden und Satyrn wohl keine Schamanen im engeren Sinne, doch lässt sich am Beispiel der archaischen Dionysien vorzüglich festmachen, wie eine schamanisch strukturierte Kultur aussehen kann.
Hinter dem Schleier der Natur
„Die gesellschaftliche Funktion des Schamanen war es, als Dolmetscher und Vermittler zwischen dem Menschen und den Mächten hinter dem Schleier der Natur zu wirken“9, schreibt Joseph Campbell. Hier gilt es zu beachten, dass der Schamanismus per defintionem in Kulturen vorkommt, die von einer Art Allbeseelung oder Alldurchgeisterung des Kosmos ausgehen (Animismus): Die ganze Natur wird als heilig und belebt empfunden, und mit allen Dingen lässt sich – im ekstatischen Bewusstsein – kommunizieren. Denn hinter (besser: in) der materiellen Welt existiert eine dem gewöhnlichen Bewusstsein verborgene Welt der Geister, in der gleichsam die metaphysischen Ursachen für die physischen Zustände und Ereignisse liegen. Als Meister der Ekstase ist es der Schamane, dessen Aufgabe es ist, mit den kosmischen Entitäten in Kontakt zu treten, um Einfluss auf die Wirklichkeit zu nehmen und für das Wohlergehen des Stammes zu sorgen. Ihrer Funktion entsprechend erscheinen ihm die Geister der Natur in personifizierter Form: als Mutter Erde, Herr der Tiere, Himmelsherrscher, Berg-, Baum- oder Flussgeist. In Trance verhandelt der Schamane mit den Geistern, einige sind persönliche Verbündete, andere gefährliche Feinde, und arrangiert sich mit ihnen, um die Heiligkeit und Harmonie des Kosmos zu erhalten.
Auch heute noch wird Schamanismus praktiziert, nämlich überall dort, wo Menschen noch in einer traditionellen, vermeintlich primitiven Kulturform leben.