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du auch gern einen Kaffee? Oder lieber Tee?“

      „Das ist mir ziemlich gleich. Hauptsache heiß, denn mir ist kalt.“

      Nili stellt ihren Cross Polo neben Melanies VW-Cabrio in der Tiefgarage ihrer Zweitbleibe im Wohnhaus der Familie Westphal ab. Sie geht hinauf in das Erdgeschoss und läutet an der Wohnungstür der Westphals. Nichts rührt sich. Melanie ist wohl mit ihrem Hund spazieren gegangen, denkt sie. Dann steigt sie eine Treppe höher und betritt ihr jetziges Einzimmerapartment. Nach der Rückkehr von ihrem Südamerikaabenteuer war sie von dem vormaligen Zimmer des verstorbenen Ralph in diese plötzlich frei gewordene möblierte Wohnung im Hause der Westphals umgezogen. Der 18 Quadratmeter große Wohnraum ist behaglich und hell, grenzt an eine winzige Küche und an das schöne Badezimmer mit Duschbad sowie ein separates WC. Die Möbel sind modern, das Bett breit und mollig. Sie öffnet die Balkontür, um etwas frische Luft hereinzulassen. Vor allem im Frühjahr und Sommer ist der Blick vom kleinen Balkon erfreulich, er geht auf den sehr gepflegten Garten an der nach Westen gerichteten Rückseite des dreistöckigen Gebäudes. Jetzt zeigt er sich allerdings saisonbedingt ziemlich trist. Nili schließt die Tür wieder und stellt den Heizungs-Thermostaten höher, denn ein Blick auf das Thermometer zeigt magere 15 Grad Celsius. Sie legt ihren Laptop auf den Schreibtisch und schließt ihn an die Steckdose an. Da sie das Gerät während der letzten Tage nicht benutzt hat, ist der Akku leer und das Hochfahren dauert etwas länger als üblich.

      Plötzlich klopft es an ihrer Tür. „Komm rein, Melanie, ich hatte schon bei euch geläutet. Erst einmal ein glückliches und gutes neues Jahr, meine Liebe!“

      Beide Frauen umarmen sich. Sie kennen sich seit ihrer gemeinsamen Schulzeit am Hamburger Heilweg-Gymnasium, wo sie beide das Abitur gemacht haben und auch danach stets in Kontakt geblieben sind.

      „Hattest du ein schönes Neujahrfest?“, fragt Nili.

      „Na ja, wie man’s nimmt. Zu Hause ist die Stimmung wegen Ralphs Tod noch immer sehr betrübt. Also haben wir, wie schon an Heiligabend, sehr ruhig und besinnlich und mit vielen Tränen in den Augen das neue Jahr in Empfang genommen. Du hattest sicher wieder ’ne tolle Silvesterfeier in Oldenmoor, nicht wahr?“

      Nili seufzt. „Stell dir vor, ich bin erst am Sonnabendnachmittag von hier losgekommen, hatte noch sehr viel zu erledigen. Es regnete Hunde und Katzen und es war ein richtiges Sauwetter zum Fahren. Als ich endlich abends zu Hause ankam, saßen alle schon inmitten ‚Dinner for One‘.“

      „Das war auch das einzig Lustige für uns an diesem Silvesterabend“, bemerkt Melanie.

      „Na ja“, führt Nili fort, „wir hatten den alljährlichen Trubel. Die ganze Familie, Freunde und Nachbarn, sogar meine Cousine Annette aus Berlin ist gekommen. Und dann, plötzlich, als Oma, Mutti und ich in der Küche unsere traditionellen Salteñas aus dem Backofen holten, standen plötzlich Kitt Harmsen und mein Kollege Waldi da. Das war aber eine Riesenüberraschung!“

      „Dein Waldi macht dir ja offensichtlich den Hof, brauchst gar nicht zu erröten, Nili. Dass da was zwischen euch läuft, ist mir schon längst aufgefallen!“, belächelt Melanie ihre Freundin.

      „Ach, Melanie, ich bin wirklich ganz toll verknallt in Waldi! Wir verstehen uns sehr gut und haben eine wunderbare Zeit miteinander. Übrigens, er wurde heute befördert und zum Stellvertretenden Dezernatsleiter ernannt. Er kommt nachher auch noch vorbei, wenn er es irgendwie schafft.“ Mit etwas weniger Begeisterung setzt sie hinzu: „Und auch ich hab eine neue Aufgabe. Ab heute arbeite ich vorübergehend im Dezernat für Wirtschaftskriminalität. Meine Begeisterung hält sich allerdings in Grenzen.“

      „Mensch, Nili, das trifft sich wirklich wunderbar!“, ruft Melanie aus.

      Nili sieht ihre Freundin verwundert an.

      Dann erzählt Melanie von dem Verdacht, den Thomas Greve ihr gegenüber geäußert hat, sowie von seinem mysteriösen Wegbleiben.

      „Klingt in der Tat eigenartig“, sagt Nili. „Jetzt, wo du mir das erzählst, erinnere ich, dass mich vor etwa zwei Wochen Thomas Greve auf dem Handy angerufen und um ein privates Gespräch gebeten hat. Ich war zu der Zeit noch sehr mit der Aufarbeitung der Reise beschäftigt und wir verabredeten, dass er mich Anfang Januar wieder anrufen sollte, um einen festen Termin zu vereinbaren.“

      „Hat er sich also doch bei dir gemeldet!“ Melanie erzählt von Thomas’ Vermerk in seinem Terminkalender.

      „Habt ihr es schon bei ihm zu Hause versucht?“, will Nili wissen.

      „Wir haben wiederholt bei ihm angerufen, doch er geht nicht ran. Und sein Handy ist ausgeschaltet.“

      „Vermisstenanzeige erstattet?“

      „Nein, wieso denn?“

      „Nun ja, man weiß nie. Thomas und ich kennen uns schon seit unserer gemeinsamen Grundschulzeit. Ich rufe erst einmal bei seinen Eltern an. Die wohnen in Sankt Margarethen, seit Thomas’ Schwester Swantje die Tierarztpraxis des Vaters in Oldenmoor übernommen hat.“ Nili greift zum Handy und wählt die 11833. Eine freundliche weibliche Stimme gibt ihr die gewünschte Nummer und verbindet sie auch gleich mit Thomas’ Eltern. „Hallo, Herr Doktor Greve, hier spricht Nili Masal aus Oldenmoor. Ich hoffe, Sie erinnern sich noch an mich?“

      Als sie das Handy nach dem Gespräch wieder weglegt, sieht sie Melanie besorgt an. „Keine Spur von Thomas, auch die Eltern sind sehr beunruhigt und haben schon überall herumtelefoniert. Sie haben inzwischen mit deinem Vater gesprochen. Es scheint, Thomas ist wie vom Erdboden verschwunden.“ Dann klingelt ihr Handy und sie nimmt Waldis Anruf entgegen.

      „Hallo, meine liebe Schnuggelfrau, ist’s noch okay, wenn ich vorbeischaue?“

      „Sicher, Waldi, komm schnell. Melanie ist bei mir, sie scheint ein Problem zu haben.“

      Eine halbe Stunde später sitzen die drei zusammen bei Georgios Taverna Sirtaki, ihrem Griechen um die Ecke. „Also, Mädels, heute bitte, bitte keinerlei Beschränkungen bei der Bestellung“, kündigt Waldi an. „Ihr seid selbstverständlich Gäste des frischgebackenen Ersten Kriminalhauptkommissars Mohr!“

      „Auf dich, lieber Waldi, und herzlichen Glückwunsch zum Aufstieg!“, zwitschert Melanie.

      Nili erhebt sich, geht um den Tisch herum, zieht Waldi am Revers seines Sakkos hoch und die beiden geben sich einen langen – einen sehr langen – Kuss. „Alles, alles Gute, mein Liebster!“, flüstert sie ihm ins Ohr. Dann holt sie ein kleines Päckchen aus der Tasche und überreicht es ihm. Neugierig öffnet er es und ist begeistert von der hübsch ziselierten, silbernen Krawattenklammer mit dem Relief der beiden Llamatiere. „Ich habe sie in La Paz für dich gekauft, Waldi, und heute ist wohl die richtige Gelegenheit, um sie dir zu überreichen. Der Juwelier schwor mir, er habe sie aus einem von ihm selbst aus Spanien zurückgekauften Barren jenes Silbers gefertigt, das ehemals die von den spanischen Conquistadores gepeinigten Indios mit bloßen Händen aus dem ‚Reichen Berg‘ in Potosí herausgekratzt hatten. Trage sie mit Gesundheit, Waldi!“

      Dieser erwidert sehr gerührt: „Und wie antworten die alten Juden auf diesen guten Wunsch? ‚Und du sollst auch gesund und sehr lange leben, um es mit mir zu genießen.‘“

      „Wo hast du das nun wieder her?“, fragt Melanie. „Es klingt wunderschön.“

      „Eine lange Geschichte“, antwortet Waldi. „Ende 1944 kamen die beiden Familien meiner damals gerade fünf- und zweijährigen Eltern mit einem Flüchtlingstreck aus Oberschlesien nach Schleswig-Holstein und wurden hier, zusammen mit einigen anderen Aussiedlern, auf einem größeren Bauernhof untergebracht. Erst nach der Kapitulation bekam man zu wissen, dass einer der Hofbewohner, den sie nur ‚Jupp‘ nannten, weil er aus Köln stammte, ein bei diesem Bauern versteckter Jude gewesen war. Als die Flüchtlinge auf den Hof gekommen waren, konnte er endlich unentdeckt auftauchen, niemand fragte jetzt noch danach. Seine ganze Familie war nach und nach in verschiedene KZs gesteckt worden und dort umgekommen, nur er hatte überlebt. Er kannte den Bauern, weil er und die Seinen vor der Machtergreifung der Nazis hier alljährlich ihre Sommerferien verbracht hatten. Als Jupp, mit eigentlichem Namen Josef Manasse, im Jahr 1941 über

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