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die Osteopathie ein Teil der Wissenschaft der Medizin ist. Und die Osteopathie sollte das Wort Medizin in seinem ursprünglichen Sinn beanspruchen, nämlich im Sinne von Heilung. Im Bereich der Wissenschaft der Medizin gibt es drei große Wissensbereiche: Anatomie, Physiologie und Pathologie. Die Anatomie ist die Wissenschaft von der Organisation oder der Struktur des menschlichen Systems. Die Physiologie ist die Wissenschaft vom organisierten Leben in seinen verschiedenen Funktionen und die Pathologie jene, die sich mit den anomalen Zuständen des menschlichen Lebens befasst. Daher bildet die Physiologie die mittlere Wissenschaft in dieser Trinität der Wissenschaften.

      Sie spielt jedoch eine weitaus größere Rolle, als gemeinhin angenommen. Die Physiologie hat nicht nur eine Auswirkung auf den Bereich der Medizin, sondern auch auf den der Psychologie und durch die Psychologie auf den gesamten Bereich der Bildung. Die Physiologie erläutert und erklärt weitgehend psychische Zustände. Denn die wahre Psychologie gründet auf der Physiologie. Die mentalen Zustände und Aktivitäten sind nur insoweit von Wert als sie Veranschaulichungen und Offenbarungen der physiologischen Beziehungen und Zustände sind. Die psychischen Zustände des Lebens werden nicht nur im Bereich der Bildung, bei den Anpassungen an das Studium, sondern auch im Studium und der Diagnose mentaler Krankheiten und bei vielen Nervenkrankheiten dargestellt. Die Physiologie des Gehirns, des Rückenmarks und des gesamten Nervensystems liegt am Fundament jeder wahren Theorie des Lebens. Das gilt zuallererst für das physische Leben bei seiner Erhaltung, Verlängerung und bei der Behandlung von Krankheitszuständen. Und auch im Blick auf das mentale Leben und sogar des höheren moralischen und spirituellen Lebens. Ein korrektes Wissen der Physiologie, das im Bereich der Psychologie angewendet wurde, hat die älteren Anschauungen und Pläne für die Bildung obsolet gemacht und die moderne natürliche Schule entstehen lassen, die so viel dazu getan hat, wahre Pläne für die Bildung und wahre Methoden des Studiums zu entwickeln. Sollen wir im Bereich der Medizin nicht nach der gleichen Reform Ausschau halten, nach einer, die Physiologie in ihren gesamten Auswirkungen so lehrt, dass sie uns jene wahren Funktionen des differenzierten menschlichen Lebens zeigt, die aus einer Anzahl von Organen bestehen, welche alle unabhängig und doch zu einem einzelnen Leben vereinigt sind?

      Betreten wir den höheren Bereich der Psychophysiologie, geht es uns um die Tatsache, dass der Geist die dominierende Kraft ist und dass in einem gesunden physiologischen Körper nichts anderes als ein gesunder Geist diesen kräftigen Zustand des Körpers sicherstellen kann, der von allen so begehrt wird: Gesundheit und Glück. Wir müssen erkennen, dass wir bei der Behandlung anscheinend rein körperlicher Krankheiten nicht die Tatsache übersehen dürfen, dass die Psychopathologie den Bereich der mentalen Krankheit eröffnet und bestimmte Geisteszustände enthüllt, ohne deren Überwindung es unmöglich ist, körperliche Krankheiten zu heilen.31 Dieser weite Bereich steht vor der Osteopathie offen. Und wir glauben, nicht zu viel zu behaupten, wenn wir sagen, dass dieser Bereich nur durch das Tor der osteopathischen Physiologie und Psychologie betreten werden kann. Mit dieser Überzeugung stellen wir eine kurze Zusammenfassung des psychologischen Aspekts des menschlichen Lebens vor und beleuchten die zukünftige Bedeutung des psychopathologischen Aspekts.

      Die Physiologen haben ihre Untersuchungen weitgehend auf die verschiedenen Teile des Zentralen Nervensystems begrenzt, ohne zu versuchen, irgendwelche Pläne bezüglich der systemischen Abläufe im Ganzen zu formulieren. Das hat in der Physiologie eine Tendenz hervorgerufen, die Bedeutung der Spezialisierung der Funktion zu überschätzen. Dabei wird die Tatsache übersehen, dass es eine Solidarität und Einheit der Aktion seitens des gesamten Systems gibt. Es ist wahrscheinlich, dass jede aktive Operation des Nervensystems das gesamte menschliche System beeinflusst. Auf diese Weise muss es eine beständige Aktivität seitens der Nervenzellen geben, die von kontinuierlichen Impulsen begleitet wird, welche in die Zellen eintreten und sie verlassen. So entsteht die Grundlage „[…] der Kontinuität der bewussten Erfahrung.“ Hinter dem Bewusstsein liegt aus einer morphologischen Perspektive zumindest die anatomische Struktur des Nervensystems. Doch bislang war noch niemand in der Lage, das Problem ihrer Beziehung zu lösen. Mit der Entwicklung physiologischer Theorien hat sich – nachdem die sensorischen und motorischen Bereiche lokalisiert worden sind – der Bereich des Bewusstseins immer weiter nach oben bewegt, bis er, wie ein Physiologe es formulierte, seine Zuflucht im einzig verbleibenden Bereich genommen hat, nämlich im anterioren Teil der grauen Substanz des Kortex.

      Die antiken Philosophen begrenzten den Geist nicht auf das Gehirn. Mit der Morgendämmerung der modernen Psychologie wurde das Zentrum der bewussten mentalen, emotionalen und volitionalen Phänomene mit der Medulla oblongata verbunden, in jüngerer Zeit werden sie weithin im frontalen Bereich des Kortex lokalisiert, weil dies der einzige Teil des Gehirns ist, der für ihre Lokalisierung frei geblieben ist. Sogar dann, wenn wir alle Veränderungen, die in diesem Bereich stattfinden, verstehen könnten, wären wir unfähig, die Kluft zwischen dem rein Subjektiven und dem Objektiven zu überbrücken. Noch viel weniger wären wir dazu in der Lage, die mentalen Phänomene in ihre vorausgehenden Ursachen aufzulösen. Die Physiologie hat sich hauptsächlich in zwei Schulen geteilt: Die eine materialisiert die mentalen Phänomene, indem sie ihnen ausschließlich physiologische und physische Ursachen zuschreibt, und die andere idealisiert sie, indem sie ihnen bildliche Bezeichnungen verleiht, die in Wirklichkeit keine Erklärungen der Phänomene selbst sind. Durch die Kombination beider Anschauungen besitzen wir eine fundamentale, physische und physiologische Grundlage für die ideale Interpretation dieser Phänomene. Wenn wir den Bereich des Transzendentalen betreten und hinter allen diesen Phänomenen, seien sie nun physisch oder mental, die Existenz einer metaphysischen Essenz voraussetzen, wird die Erklärung klarer. Denn diese Phänomene des Geistes und des Körpers sind schlicht Offenbarungen dieser inneren, tieferen und wahreren Existenz. Die Schwierigkeit hierbei ist, dass eine derartige Essenz, welche die Metaphysik mit der Seele identifizieren würde, in keiner Weise durch die Wissenschaft bewiesen werden kann. Bestenfalls ist es eine metaphysische Konzeption.

      Auch ohne den Versuch zu unternehmen, diese Frage zu lösen, bleibt es eine wichtige physiologische Frage, ob die Physiologie irgendeinen Grund dazu hat, das Bewusstsein und die gesamten psychischen Phänomene im frontalen Bereich des Gehirns zu lokalisieren. Sofern wir die Tatsachen der vergleichenden Physiologie zutreffend interpretieren, beruht diese Theorie nicht auf harten Fakten. Die Physiologen lokalisieren im Gehirn die Sinnesempfindung. Mit anderen Worten: Hier münden all jene Impulse, die in Bewusstsein resultieren. Doch die anderen Teile des Nervensystems, welche die Impulse zu diesem Sensorium übertragen, können ebenso viel mit dem Bewusstsein zu tun haben wie das Sensorium selbst. Bei den niederen Tieren, deren Gehirnentwicklung sehr einfach ist – sie besitzen keine jener charakteristischen kortikalen Gehirnwindungen, die mit den mentalen Phänomenen beim Menschen verbunden sind –, stellen wir Bewusstsein fest. Diese Sichtweise basiert auf der vollkommenen Einheit des Körpers und insbesondere des Nervensystems. Diese Vorstellung beleuchtet die Schwierigkeit der vollständigen Lokalisierung verschiedenster, von der modernen Physiologie hervorgebrachter Funktionen.

      In den frühesten Stadien der Zellentwicklung bemerken wir bereits die Stimulationsfähigkeit der Zelle, sobald sie bestimmten molekularen Veränderungen ausgesetzt ist. Diese Veränderungen führen zum Aussenden von Impulsen an andere Zellen und ebenso entlang der Nervenbahnen zur Oberfläche des Körpers. Wenn die funktionell mehr oder weniger ausdifferenzierte Ausgangszelle aufgrund ihrer Fähigkeit, Impulse zu empfangen und zu übermitteln, durch kontinuierliche Stimulation vollständig spezialisiert ist, sodass ihre Veränderungen an diese besondere Art der Stimulation angepasst werden, um auf derartige äußere Stimuli besser zu reagieren,32 treffen wir auf die ersten Anfänge des Bewusstseins und ebenso des Gedächtnisses. Bewusstsein ist auch hier nicht das Ergebnis von Veränderungen, die in den Zellen stattfinden, denn nicht einmal das Wissen um alle inneren Veränderungen würde Bewusstsein entstehen lassen, weil Bewusstsein nur im Kontext auch äußerer Offenbarungen auftritt. Einige haben dies unter der Annahme erklärt, dass Materie und Bewusstsein verbunden seien. Doch dies kann nicht sein, weil wir kein verbindendes Glied zwischen der physischen Materie und dem psychischen Bewusstsein finden. Mithin stellen wir zwei anscheinende Gegensätze fest, von denen keiner die Ursache des anderen oder von ihm verursacht ist. Die Verbindung wurde von einigen vervollständigt, die eine Energie irgendeiner Art mit der Verursachung des Bewusstseins äquivalent gesetzt haben. Energie ist jedoch eine physikalische Eigenschaft, wodurch eine bestimmte Materie oder Materien, die

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