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werden, wird von den meisten Medienethikern nicht geteilt.) Und auch die sozialen Instanzen, die für die Rahmung und Kritik der Medien zuständig sind, nämlich (in erster Linie) Gesetzgeber und eben die vielbeschworene Öffentlichkeit, sind Funiok zufolge Verantwortungsträger; zumal dann, wenn sie als »Leserräte«, als »Media-Watch-Initiativen«31 oder als Ethik-Kommissionen institutionalisiert sind. Ob es um gesetzliche Kontrolle geht, um freiwillige Selbstkontrolle der Medienmacher oder um ein medienkritisches öffentliches Bewusstsein der Mediennutzer: Immer müsse das Ziel eine weitgehende »korporative Selbstverpflichtung«32 sein. Diese soll, wie gesagt, in sozialethisch haltbare Verantwortung münden, weil im Zentrum der medienethischen Begründung ja nicht mehr der Begriff der Pflicht steht. Nur ein solchermaßen gerechtfertigtes Handeln könne das nachhaltige Vertrauen schaffen, welches für soziales Handeln unabdingbar ist. »Damit Institutionen sich das Vertrauen ihrer Mitglieder und der Öffentlichkeit erhalten, müssen sie ihre korporative Verantwortung wirklich ernst nehmen«, schreibt Funiok, »z. B. dadurch, dass im Leitbild und in Strategiekonzepten Wertprioritäten formuliert werden, dass neben unternehmensstrategischen auch gemeinwohlorientierte Zielsetzungen Gültigkeit besitzen und klare Verantwortungsbegrenzungen getroffen werden.«33

      Der ›strukturelle und organisatorische Kontext‹ medialen Handelns basiert freilich auf ökonomischen Bedingungen; über deren Vorhandensein ist sich Funiok zwar völlig im Klaren, aber er stellt sie ebenso wenig in Frage wie andere Medienethiker. Diese Grenze kann eine normativistische Handlungsreflexion offenbar nicht überschreiten – auch nicht als sozialethische.

      Ökonomische Bedingungen, die subjektübergreifende Zwänge schaffen, sind sowohl durch konfligierende Interessen der Akteure als auch durch systemische Imperative gekennzeichnet. Der Markt als Ort konkurrierender Angebote zwingt zur Konzentration und Ballung von Macht, zur Oligopol- und Monopolbildung.

      Funioks Fachkollege Christian Schicha konstatiert an diesem Punkt, dass »die Imperative der Ökonomie im Medienwettbewerb eine zentrale Rolle« spielen und »ggf. konträr zu den medienethischen Idealnormen stehen«34 können. Idealnormen könnten aber »keine praktische Hilfe bei konkreten Handlungsentscheidungen liefern«, weil sie »zu allgemein, zu unbestimmt und zu rigide«35 sind. Deshalb müsse man näher an die »Lebenspraxis«36 herankommen und einen »Kompromiss« finden »zwischen den idealen Ansprüchen und der legitimen Anpassung an die faktischen Gegebenheiten«37. Dazu weicht Schicha auf die »anthropologischen und psychologischen Realitäten«38 aus, die man berücksichtigen müsse, um nicht zu rigide und jenseits des Zumutbaren zu argumentieren. Niemand solle überfordert werden, aber andererseits dürfe man sich auch nicht »zu stark an opportunistischen Gepflogenheiten in der Praxis […] orientieren«39. So geht Schicha den Imperativen der Ökonomie, die er gerade eben noch benannt hatte, sogleich wieder aus dem Wege.40

      Funiok wiederum argumentiert traditionell philosophisch – er verlässt sich auf den inneren Zusammenhang von Macht, Verantwortlichkeit und Freiheit. Er meint: Auch wenn die »freie Konkurrenz des Marktes« durch »die hochgradigen Konzentrationsprozesse« weitgehend stillgestellt ist, hätten »Medienunternehmer […] Handlungsfreiheit und […] politische Macht, wirtschaftliche, kulturelle und technologische Macht über die physische Umwelt wie über Individuen.«41 Und weil man sich für Macht ja immer verantworten muss, gilt nach Funiok die Formel: »Je mehr Macht, desto größer sind die Freiheitsgrade.«42 Daher muss man sich für seine Macht nicht nur verantworten, sondern man kann es auch, weil man ja frei ist.

      Diese Lösung erinnert an einen ontologischen Gottesbeweis. So versuchten Philosophen einst, das theologische Ordnungsprinzip gegen aufkommende Kritik zu immunisieren. Sie argumentierten: Wir besitzen den Begriff des allervollkommensten Wesens. Da Vollkommenheit logischerweise auch Existenz einschließt – ein nur gedachtes Wesen wäre ja im Vergleich zu einem real existierenden unvollkommen –, folgt aus dem Begriff von etwas Vollkommenen auch sein wirkliches Sein. Es wäre also widersinnig anzunehmen, dass dieses Wesen nicht auch außerhalb unserer Köpfe existiert.

      Funiok scheint entsprechend zu argumentieren: Aus dem Konzept einer Verantwortung aus Freiheit folgt, dass sie in der Realität wirkmächtig ist. Gemeint ist natürlich: Wirkmächtig ist die Idee der Verantwortung als handlungsleitendes Motiv, das durchaus kontrafaktisch sein kann. Dagegen ist nichts einzuwenden – die Frage ist nur: Wie weit kommt man, wenn man sich auf das normative Leitbild der demokratischen Öffentlichkeit verlässt?

      Die systemische Rationalität der Medien-Marktwirtschaft (die freilich hinter einen unverkürzten Begriff der Vernunft zurückfällt, weil sie instrumentell auf den Zweck der Vermehrung warenförmigen Reichtums fixiert ist und im Hinblick auf die Zwecke wirtschaftlichen Handelns bewertungsabstinent bleibt) lässt Luhmann mit seinem Verdikt über normative Ethik, wenn man so will, als Punktsieger im Wettstreit mit dem medienethischen Normativismus erscheinen. Wenn man aber bedenkt, dass die Konzentrationstendenz von Märkten kein Naturgesetz ist, sondern ein gesellschaftliches Bewegungsgesetz, dann rückt die Sache in ein anderes Licht: Was schlichte, normfreie Faktizität zu sein scheint, ein soziales Subsystem, welche die Wissenschaft mit ethischen Begriffen allenfalls beschreiben kann, erweist sich als implizit normatives Konstrukt. Dessen ideologischen Charakter erkennt nur ein reflexionsamputiertes Denken nicht.

      Doch was genau heißt »Ideologie«? In der kritischen Sozialphilosophie der Gegenwart werden Ideologien als Theorien verstanden, die normative Aussagen als deskriptive präsentieren und sich selbst als solche missverstehen. Ideologien treten auf, als würden sie nur beschreiben, aber faktisch konstituieren sie soziale und kulturelle Praktiken. Denn Ideologien legen Auffassungen davon nahe, was die Welt ist und wie in ihr gehandelt werden kann.43 Kritische Theorie erklärt diesen falschen Schein aus seiner Verbindung mit dem falschen gesellschaftlichen Sein.44

      Statthalterin der Freiheit ist im medienethischen Konstrukt der demokratische Staat – und zwar nicht nur sein Spielbein, die plurale Meinungsbildung, sondern auch sein Standbein, die Zwangsgewalt. Wenn »die kommunikative Legitimierung von politischer Autorität« als wichtigste Aufgabe der Medien angesehen wird und deren sozialmoralische Normierung als wichtigste Aufgabe der Medienethik, dann ist Öffentlichkeit der Prüfstein für ihre kritische Reichweite.

      Funiok hebt ausdrücklich hervor, dass diese Vorstellung von Öffentlichkeit ein »Leitbild« sei, ein »normatives Konzept«, und er betont: »Die Medienethik kann […] auf diesen normativen Öffentlichkeitsbegriff nicht verzichten.«45 Unschwer sind hier Ähnlichkeiten mit der anthropologischen Theorie der Öffentlichkeit von Hannah Arendt und der diskurstheoretischen von Jürgen Habermas zu erkennen. Nach Arendt sind wir als Privatexistenzen zunächst fremdbestimmte Natur- und Arbeitswesen; erst durch die gemeinsame Praxis des Redens und Handelns in einem republikanischen, öffentlichen Raum werden wir zu freien Menschen.46 Nach Habermas wird der literarische bourgeois in den öffentlichen Räumen, welche die parlamentarischen Demokratien sicherstellen, durch aufgeklärte Meinungsbildung zum politischen citoyen, im Idealfall zum Mitglied einer weltweiten Zivilgesellschaft.47 Solche Vorstellungen unterzieht die dialektische Theorie der bürgerlichen Öffentlichkeit einer – immanent ansetzenden – Ideologiekritik, was ich nun in einem kurzen historischen Rückblick skizzieren möchte.48

      Im 18. Jahrhundert etablierten mündige Bürger eine Medienstruktur für aristokratisch und klerikal unkontrollierte Diskurse über Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Bücher, Zeitungspresse und Theater wurden privatwirtschaftliche Medien einer »räsonierenden« Öffentlichkeit im Sinne von Kant. Ihr Schlachtschiff war die Enzyklopädie, die mit modernen Marketingmethoden (nämlich mit Subskription und Haustürverkauf) in ganz Europa verbreitet wurde. Kaum war sie auf dem Markt, sprach der königliche Rat auch schon ein Publikationsverbot aus: Diderot hatte in seinem Artikel über »politische Autorität« dargelegt, dass politische Herrschaft ohne Zustimmung der Untertanen in einem rationalen Unterwerfungsvertrag nicht legitimierbar sei. Im Zuge der Französischen Revolution wurden politische Streitschriften und Pamphlete bestseller. Die Schrift Was ist der Dritte Stand des Abbé Sieyès wurde 300.000-mal verkauft; dort ging es um Toleranz, Steuergerechtigkeit, Menschenrechte und gerechte Behandlung der Landarbeiter. Inspiriert von der Unabhängigkeitserklärung der USA rief die Nationalversammlung in Paris die Menschenrechte aus: das Recht mündiger, männlicher Bürger auf Eigentum und freie

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