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Redaktion

      Im Sommer 2013 veröffentlichte Edward Snowden Einzelheiten über die Überwachungspraktiken US-amerikanischer Geheimdienste und löste damit in vielen Ländern Debatten über das Vorgehen und die Befugnisse dieser staatlichen Organisationen aus. Mit einer Mischung aus Staunen, Unglauben und Schock nahmen Bürger und Intellektuelle in den westlichen Demokratien zur Kenntnis, dass in der digital vernetzten Welt staatlichen Stellen die privaten Verhältnisse jedes Individuums in einem zuvor für unmöglich gehaltenen Maß bekannt sind. Und da offensichtlich auch private Firmen wie Google und Facebook beträchtliches Wissen über unsere Lebensgewohnheiten angehäuft haben, lag es für die Redaktion der ZkT nahe, in gesellschaftstheoretischer Perspektive die folgenden Fragen nach der möglichen Veränderung des Verhältnisses von Öffentlichkeit und Privatheit zu stellen: Wie sind die neuen Phänomene zu beurteilen? Reichen die klassischen Auseinandersetzungen über das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit zur Analyse der jüngsten Entwicklungen noch hin?

      Im 20. Jahrgang der ZkT initiierte die Redaktion deshalb eine Umfrage zum Thema »Öffentlich? Privat?«; die Einlassungen stehen ganz im Zeichen der Antworten. Nach dem Einladungstext drucken wir die vier bislang eingegangenen Debattenbeiträge ab: Frigga Haug geht von den Erfahrungen der Frauenbewegung aus und bezieht diese auf die neueren Auseinandersetzungen über die Grenze zwischen dem Privaten und dem Politischen. Abstrakt und für sich genommen taugten beide – weder das Private noch die staatlich bestimmte Öffentlichkeit – als Hort des Utopischen. Vielmehr gehe es um deren Wechselbeziehung und um die Grenzbestimmung, die in den je aktuellen Kämpfen neu reflektiert und hergestellt werde. – Samuel Salzborn vergegenwärtigt die Ambivalenzen des bürgerlich-aufgeklärten Freiheitsversprechens in Bezug auf das Öffentliche und das Private, um einerseits die vielfältigen Defizite bei der Realisierung von Freiheit aufzuzeigen und andererseits auf die Überfrachtung der Idee der Öffentlichkeit hinzuweisen, der zugetraut worden sei, dass durch sie ohne die Änderung der materiellen Produktions- und Reproduktionsverhältnisse, lediglich über Kommunikation, Freiheit hergestellt werden könne. Demgegenüber erinnert Salzborn an die Rolle des Staates als notwendigen Garanten der Freiheit und kritisiert, dass der Kampf um die Privatheit in zahlreichen aktuellen Diskussionen um die staatlich-geheimdienstlichen Abhörpraktiken der USA als antiamerikanischer Feldzug geführt werde. – Tatjana Freytag fragt, ob die scheinbar so revolutionären Veränderungen in der Welt der ›new social media‹ nicht in eine alte Grundmatrix der Moderne hineinpassten, nämlich dem Streben nach Individualität in einer kapitalistischen Massengesellschaft, die den Einzelnen eben diese Individualität strukturell immer schon verwehre. Die aktuellen Enthüllungen des Privaten diskutiert sie auf verschiedenen Ebenen: Einerseits kann sie das Erstaunen über die geheimdienstlichen Tätigkeiten (›Handy der Kanzlerin‹) nicht teilen, denn das Aufdecken des Abgeschirmten sei deren genuine Aufgabe, andererseits reflektiert sie auf die freiwilligen Selbstenthüllungen von Privatleuten auf den Plattformen der ›new social media‹. – Janne Mende macht geltend, dass die Grenze ›öffentlich-privat‹ gesellschaftlich produziert und deshalb dauernd im Wandel sei. Sie zeigt, wie ihre wechselseitige Beeinflussung die beiden Sphären im Innersten betrifft. Mit der Wendung von der ›Privatisierung der Privatsphäre‹ analysiert sie außerdem das zunehmende Eindringen der Privatwirtschaft in den Bereich des Privaten. Sie plädiert für öffentliche Debatten um das Recht auf Privatsphäre, die aber nur fruchtbar sein könnten, wo die Vorstellungen von einer dichotom abgegrenzten, einfach gegebenen oder verlorenen Privatsphäre überschritten würden.

      In den ABHANDLUNGEN fragt Gerhard Schweppenhäuser nach dem Leistungsvermögen und den Grenzen der Medienethik. Dort werde die Logik des Marktes mit dem Postulat einer Ethik der ›Selbstverpflichtung‹ konfrontiert, in der die Konzepte ›Öffentlichkeit‹ und ›Verantwortung‹ als normative Begründungskonzepte zirkulär aufeinander verweisen. Der Autor geht der Dialektik im Begriff der bürgerlichen Öffentlichkeit nach und diskutiert die Ambivalenz des Verantwortungsbegriffs. Medienethiker, so seine These, sind sich über die ökonomischen Bedingungen medialen Handelns im Klaren, aber ihre normativistische Handlungsreflexion stellt diese nicht grundsätzlich in Frage. Solange Medienethik sich jedoch lediglich am Leitbild der demokratischen Öffentlichkeit orientiere, könne sie der impliziten, aber höchst wirkmächtigen Normativität der medialen Märkte wenig entgegensetzen. – William E. Scheuerman untersucht, wie stichhaltig und haltbar der Versuch von Habermas zu Beginn der 1980er Jahre war, Kapitalismuskritik in die Kritik der Verrechtlichung umzuwandeln. Der Autor weist die theoretischen Defizite dieses Ansatzes nach und zeigt, inwiefern die gegenwärtige Entwicklung des Kapitalismus dazu zwingt, den Ansatz entschieden zu modifizieren. Kritische Theorie müsse als Kritik der politischen Ökonomie aktualisiert werden; nur dann würden die gesellschaftlichen ›Pathologien‹ begreifbar und könnten legislative wie juridische Reformen in Angriff genommen werden, welche es durch neue sozialstaatliche Regulierung ermöglichen könnten, den ›Kapitalismus zu humanisieren und eine ökologische Krise zu vermeiden‹. – Wolfram Ette stellt anhand einer neuen Lektüre von Platon und Adorno Überlegungen zu den Bereichen Darstellung, Konstellation, geistige Erfahrung und Praxis vor. Die These lautet, dass Adorno ebenso wie Platon gegen die philosophische Fixierung der Erkenntnisobjekte durch klassifikatorische Identifikation angehe. Beide ermöglichten den Rezipienten ihrer Texte philosophische Erfahrung als Platzhalter für richtige Praxis. Und zwar, indem sie durch ihre Darstellungsweise eine Offenheit der Begriffsarbeit erzeugten, welche anderen Philosophen fehle. Dies legt der Autor im Detail anhand folgender Motive dar: Vortrag, Diktat und schriftliche Durcharbeitung bei Adorno einerseits und die Verbindung von empirisch-historischer Ebene und begrifflicher Reflexion bei Platon andererseits. – Erika Benini erhellt das Leib-Motiv bei Adorno im Zusammenhang seines materialistischen Konzepts des Subjekts, indem sie deutlich macht, dass der Begriff des Leibes die systematische Voraussetzung sowohl für ein Verständnis der Möglichkeit moralischer Praxis als auch für einen reflektierten Begriff der Intersubjektivität ist. Sie zeigt, wie Adorno sich entlang der Begriffe ›Materie‹, ›Subjekt‹ und ›Geist‹ an Kant und Husserl ebenso abarbeitet wie an Nietzsche und Freud. Adorno kritisiere die Trennung zwischen ungeschichtlicher Triebnatur und geschichtlich geformter Ich-Identität und begreife die nichtidentische Materialität des Leibes selbst als Geschichtliches. Indem er die Kategorie des Subjekts gleichsam re-historisiert, könne er »negativ eine neue Form der dialektischen Subjektivität entwerfen«. Beninis These: Adornos Philosophie ist aufgrund ihrer materialistischen Grundlegung per se praktisch. Dies gebe ihr eine aporetische Gestalt; eine ›positive‹ Moral sei gegenwärtig unmöglich, doch eben deshalb werde Moralität zur Pflicht des Denkens. – Michael Städtler rekonstruiert die Begründung für Adornos Übergang von Philosophie in Gesellschaftstheorie, die bei diesem selbst nicht immer ausdrücklich erfolgt. Und er zeigt, warum kritische Gesellschaftstheorie durch ästhetische Erfahrung ergänzt werden muss, wenn sie ihren Gegenstand nicht bloß im Ist-Zustand beschreiben, sondern im Hinblick auf sein normatives Potenzial kontrafaktisch konstruieren will. Dies wird aus einer Entfaltung der Begriffe Natur, Kritik, Geist, Wert, Gattung, Subjekt und Moral hergeleitet. Adornos ›ästhetische Wendung‹ ist Städtler zufolge notwendig, um Erfahrungen in die Theorie hineinzubringen, die weder durch methodische Standardisierung noch durch stringente Arbeit an Begriffen und den Aufweis ihrer Widersprüche gewonnen werden könnten. Versöhnung und Erlösung sind gleichsam Folien für die Erfahrung des Leidens daran, dass das in der Gattung angelegte Potenzial vernünftiger Vergesellschaftung nicht erreicht bzw. verfehlt wird. Dies belegt der Autor durch Verweise auf Adornos Verfahren und durch eine Interpretation des ›Brot-und-Wein‹-Motivs bei Hölderlin. – Hendrik Wallat nimmt die Spannung zwischen dem Bedürfnis nach Schönheit und ästhetischer Phantasie als Impulsen der Revolte und dem Programm eines post-utopischen ›wissenschaftlichen Sozialismus‹ zum Anlass, erneut über die libertär-ästhetische Kritik am ›nihilistischen Moment der Revolution‹ nachzudenken. Er arbeitet die Nähe der Überlegungen heraus, die Wilde, Camus, Adorno und Marcuse zu politischer und autonomer Kunst sowie zu Emanzipation und sozialer Befreiung angestellt haben. »Die Beschädigung des Lebens durch die Herrschaft zwingt zur Revolte«, lautet sein Fazit; die Vorwegnahme der Erfahrung sinnlichen Glücks in der ästhetischen Erfahrung und die Auflehnung gegen Herrschaft und Tod gleichermaßen werden als paradoxe Konstellation beschrieben, in der sich die Sehnsucht nach Schönheit und Glück mit der nach dem Tode verbindet.

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