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Haben Sie mit einem meiner Kollegen ein Interview per Telefon geführt?«

      Der Wirt sah nicht auf, als er ihr antwortete, und wischte weiter den Zapfhahn ab. »Das glaub ich kaum, ich geb nämlich keine Interviews. Wenn Sie reden wollen, dann gehen Sie doch zu dem Kellner da draußen. Der redet eh viel zu viel.«

      Carla drehte sich um und entdeckte durch die Schlitze in dem Vorhang einen weiteren Kellner, der vor dem Café Plastikstühle und Plastiktische aufstellte. Sie drehte sich wieder zu dem Besitzer. »Sie können mir also nicht weiterhelfen?«

      Der Barkeeper schüttelte gelangweilt den Kopf. Carla nahm ihre Sonnenbrille ab, schob sie zwischen ihre Haare und drehte sich um. Dann schritt sie durch den Ausgang auf den vermeintlichen Informationsträger zu.

      »Entschuldigen Sie, ich bin Journalistin. Kann es sein, dass Sie mit meinem Kollegen ein Telefonat geführt haben?«

      »Das war ich nicht, das war Antonio.« Der Kellner nahm einen weiteren Stuhl vom Stapel und stellte ihn an einen der Plastiktische.

      »Und wo finde ich diesen Antonio?«

      »Er arbeitet heute nicht. Aber wenn Sie wollen, kann ich Ihnen auch weiterhelfen. Sie sind auf der Suche nach dem Predicatore, nicht wahr?«

      Sie schaute ihn erstaunt an – endlich schien sie jemanden gefunden zu haben, der etwas wusste und bereit war, mit ihr zu reden. »Woher wissen Sie das?«

      »Signora, ich bin Kellner. Wir bekommen eine Menge mit bei unserer Arbeit. Ich kenne alle Menschen in diesem Dorf und ich kenne ihre Geschichten – und Antonio, den kenne ich auch. Er hat mir von Ihrem Kollegen erzählt.«

      Sie lächelte.

      »Und der Predicatore – was ist mit dem? Kennen Sie ihn auch?«

      Der Kellner ließ sich nicht von seiner Arbeit ablenken und nahm den nächsten Plastikstuhl vom Stapel herunter.

      »Keine Angst, Signora. Wenn Sie es wollen, dann werde ich Ihnen helfen, ihn zu finden.«

      Carla war begeistert. »Natürlich will ich das! Sagen Sie mal, stimmt es, was die Leute sich erzählen, ich meine, dass er Zeichen und Wunder vollbringt? Sogar mehr noch als Padre Pio? Und dass selbst die Statuen der Heiligen echte Tränen vergießen, wenn er an ihnen vorbeiläuft?«

      Sie kramte einen Notizblock und einen Kugelschreiber aus ihrer Handtasche. Der Kellner verharrte für einen Augenblick, als er ihren Fragen zuhörte, atmete tief durch und ließ einen langen Moment der Stille vergehen. Dann antwortete er ihr: »Ja, das erzählen sich die Menschen. Aber wenn ich Ihnen einen Ratschlag geben darf – glauben Sie nicht alles, was die Leute sagen.«

      Er drehte sich langsam zu ihr um und konnte die Enttäuschung auf ihrem Gesicht ablesen.

      »Sie meinen, das ist alles nur erfunden?«, fragte sie ihn vorsichtig.

      Er lächelte sie an. »Keine Angst. Das mit den Statuen stimmt vielleicht nicht, es gibt aber immer noch genügend Wundersames und Spannendes über den Predicatore zu berichten. Setzen Sie sich doch.« Er zeigte auf einen der Tische.

      »Ich werde Ihnen alles erzählen, was Sie wissen müssen, um die Geschichte Ihres Lebens zu schreiben.«

      Carla blickte auf ihre Armbanduhr, dann sah sie wieder zu dem Kellner auf.

      »Aber ich habe nicht viel Zeit! Können Sie mir nicht einfach sagen, wo ich den Predicatore finden kann?«

      Der Kellner lächelte immer noch. »Ich weiß, dass Sie es eilig haben. Doch glauben Sie mir, es ist nicht so einfach, ihn zu finden, wie Sie sich das vorstellen. Lassen Sie mich Ihnen helfen, dann können Sie ihn selber finden«, sagte er zu ihr und zeigte mit ausgestreckter Hand auf den Bistrotisch.

      Carla zögerte einen Moment, setzte sich dann aber doch. Sie zündete sich eine Zigarette an und wartete ab, was er ihr zu bieten hätte. Wenn er keine sachdienlichen Hinweise lieferte, dann könnte sie jederzeit aufstehen und gehen. Schließlich wusste sie, dass sie nicht viel Zeit hatte – auch wenn sie nicht ahnen konnte, wie wenig Zeit ihr in Wirklichkeit noch blieb.

      Der Friedhof von Cattolica lag ein gutes Stück oberhalb des Städtchens auf einem Hügel. Gaetano lief schnaufend den schmalen Feldweg hinauf. Er musste sich beeilen, um rechtzeitig zu dem Treffen mit seinem Auftraggeber zu erscheinen, er wollte nicht als unpünktlich oder gar unzuverlässig angesehen werden.

      Nach ein paar Minuten konnte er endlich den Parkplatz und kurz darauf die Mauer des Friedhofsgeländes erkennen. Der Platz war beinahe leer, nur ein einziges Auto parkte einsam im Schatten eines Mandelbaumes. Gaetano öffnete das schwere Eingangstor zum Friedhof und schritt bedächtig den staubigen Weg entlang, der in die Mitte des Areals führte.

       Totenstill hier. Jetzt kann ich verstehen, warum dieser Treffpunkt ausgewählt wurde. Ist ja keine Menschenseele unterwegs um die Uhrzeit. Aber vielleicht ist es ja auch die sakrale Atmosphäre, die der feine Herr so liebt.

      Die Miniaturhäuser, die über jede einzelne der Grabstätten gebaut und mit kleinen Altären ausgestattet waren, auf denen Bilder der Verstorbenen standen, beeindruckten Gaetano, der begeistert feststellte, dass die Architektur auf diesem kleinen Dorffriedhof alles in den Schatten stellte, was man auf Großstadtfriedhöfen auf dem Festland zu sehen bekam. Auf seinem Weg zählte er drei Engelsstatuen, bis er den großen Engel aus Marmor entdeckte, der in der Mitte des Friedhofs stand. Von Weitem erkannte er bereits den feinen Herrn (er hatte ihn zuvor einmal in Rom getroffen), der, wie er es angekündigt hatte, einen weiteren Mann mitgebracht hatte. Die beiden hatten sich, wie auch Gaetano, in schwarze Anzüge gehüllt. Sie standen etwas abseits des Weges im Schatten eines alten Baumes und verschränkten simultan die Arme hinter ihren Rücken.

       Gefügig, der kleine Neue. Macht immer das, was der Ältere ihm vormacht. Schrecklich so etwas.

      Selbst die Sonnenbrillen, die die beiden Männer trugen, schienen das gleiche Modell zu sein. Gaetano trat hinter sie und verharrte stillschweigend. Dann griff er in eine seiner Anzugtaschen und reichte ein Blatt Papier zwischen den beiden Männern hindurch, das der Ältere entgegennahm, ohne auch nur einen Moment hinter sich auf den Beauftragten zu schauen. Er sah sich die Zeichnung kurz an, faltete sie aber schon nach ein paar Sekunden wieder zusammen und gab sie an Gaetano zurück, ohne etwas zu sagen.

      »Das ist ein Phantombild des Predicatore, das ich mithilfe von Aussagen verschiedener Einwohner anfertigen konnte«, sagte Gaetano leise, beinahe flüsternd.

      »Sieht aus wie ein Hippie mit den wuscheligen Haaren – nicht wahr?«, sagte der Alte, worauf der Kleine kurz lachte, aber sogleich wieder verstummte, als er merkte, dass sein Begleiter ernst wurde und keine Miene verzog.

      »Vorhin habe ich eine Reporterin im Dorf gesehen. Sie war auch hinter dem Wanderprediger her«, sagte Gaetano.

      »Welche Zeitung?«, fragte der Alte.

      »Cronaca Meridionale

      »Wahrscheinlich harmlos … die sollte keine Bedrohung für Ihre Mission werden. Sicherheitshalber sollten Sie sich trotzdem darauf vorbereiten, wie Sie die Frau zum Schweigen bringen können.«

      »Natürlich kann ich das.«

      »Ich weiß. Dafür bezahle ich Sie schließlich.« Jetzt lachte auch der Alte.

      »Wie soll ich mit dem Predicatore weiter vorgehen? In drei Tagen ist es mir kein einziges Mal gelungen, ihm über den Weg zu laufen«, sagte Gaetano.

      »Ich vertraue auf Sie. Ich bin mir sicher, dass Sie nicht versagen werden. Wir verstehen uns doch?«, fragte der Alte und drehte sich zum ersten Mal während dieses Treffens zu Gaetano um.

      Dieser nickte. »Ich bin mir sicher, ich werde heute noch herausbekommen, wo sich der Predicatore aufhält.«

      »Bravo.« Der Alte lächelte. »Und wenn Sie ihn gefunden

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