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seine Arbeit erledigt hatte, um die alten Tempelanlagen der Griechen, die Barockstädte im Süden (die ihre Entstehung dem großen Erdbeben von 1693 zu verdanken hatten, bei dem etliche Ortschaften komplett zerstört wurden) und die Kirchen der Normannen in Palermo zu besichtigen.

      Er blickte auf seine Armbanduhr. Das Ziffernblatt war hell erleuchtet von der unbändigen Intensität der Sonnenstrahlen, sodass er sein Handgelenk ein paarmal drehen musste, bis er überhaupt die Zeit ablesen konnte. Es war kurz vor eins. In einer halben Stunde würde er sich mit seinem Auftraggeber treffen, doch was würde er ihm berichten?

      Er betrat einen der kleinen Gemischtwarenläden auf der Hauptstraße, der Via Immacolata, und ging direkt auf den Inhaber zu, der hinter seiner mit Feuerzeugen, Postkarten, Heiligenbildern und Süßigkeiten vollgestellten Verkaufstheke stand.

      »Entschuldigen Sie, ich suche nach dem Mann, der Predicatore genannt wird, Sie haben doch bestimmt schon mal von ihm gehört?«

      Der Verkäufer rückte seine große Hornbrille zurecht und nickte dann.

      »Diesen Wanderprediger meinen Sie? Klar, die ganze Stadt spricht von dem«, sagte er und blickte dann auf die blonde Frau, die in diesem Moment den Laden betrat.

      »Und?«, fragte Gaetano.

      »Und was?« Der Verkäufer starrte Carla an, als hätte er noch nie eine Frau gesehen.

      »Na, ob Sie ihn schon irgendwo sichten konnten, wollte ich wissen«, hakte Gaetano nach.

      Schließlich wandte der Verkäufer den Blick von der gut aussehenden Blondine ab, die gerade an einem der zahlreichen Regale, die in dem kleinen Verkaufsraum standen, einen Fotoapparat anschaute, und sah wieder zu Gaetano.

      »Nein, gesehen hab ich ihn noch nie. Aber fragen Sie doch mal den Schwager meines Cousins, der kann Ihnen vielleicht weiterhelfen. Renato heißt er.«

      »Ja, ja, schon gut.« Gaetano gab sich geschlagen. »Sagen Sie, haben Sie eigentlich auch Batterien?«

      »Batterien? Letztes Regal, hinten rechts.«

      Der Verkäufer machte eine Handbewegung, die Gaetano nicht zu deuten wusste, er hatte aber davon gelesen, dass die Sizilianer in den Jahrhunderten der Fremdherrschaft eine ausgeklügelte Zeichensprache entwickelt hatten, mit der es sogar möglich war, sich ganz ohne Worte zu verständigen. Nur für den Außenstehenden waren die Gesten meist nicht zu verstehen. Gaetano ging aber davon aus, dass sein Gegenüber eine abfällige Bewegung gemacht hatte, um seinen Unmut zum Ausdruck zu bringen, dass Gaetano nicht mehr Interesse an seinen Informationen aufgebracht hatte.

      Gaetano drehte sich um und lief an Carla vorbei, die mit dem Fotoapparat in der Hand auf die Theke zusteuerte. Im Augenwinkel sah er, wie sie bezahlte, als er sich durch eine Plastikschale mit Batterien in den unterschiedlichsten Größen wühlte.

      »Sagen Sie, können Sie mir Informationen über den sogenannten Predicatore geben?«, fragte Carla den Verkäufer.

      Gaetano war sofort hellwach. Er stellte sich hinter eines der Regale in der Mitte des Raumes, von wo aus ihn der Verkäufer und Carla nicht sehen konnten und er in aller Ruhe zuhören konnte.

      »Wissen Sie, ich bin eine Reporterin vom Cronaca Meridionale«, log Carla den Mann an.

      »So ein Zufall, der junge Mann dort hinten hat mich eben dasselbe gefragt.« Er zeigte in die hintere Ecke des Raumes, in der jetzt niemand mehr zu sehen war. »Nanu, wo ist er denn hin? Na, so was!«

      Carla sah sich um, auch sie konnte niemanden entdecken.

      »Vielleicht hätten Sie sich mit ihm zusammentun können, ich kann Ihnen nämlich auch nicht weiterhelfen«, sagte der Verkäufer.

      »So … Wissen Sie denn, warum der Mann den Predicatore sucht? Ist er auch von der Presse?« Sie steckte die Kompaktkamera und die vier Filme, die sie gekauft hatte, in ihre Handtasche.

      »Von der Presse? Das weiß ich nicht. Mag sein, er hatte auch einen Fotoapparat bei sich«, antwortete der Verkäufer.

      »Na gut, können Sie mir sagen, wo sich das Caffè della Vita befindet?«, fragte Carla.

      »Das Vita? Da müssen Sie gerade die Straße hinunterlaufen, über die kleine Piazza rüber, durch die kleine Verbindungsstraße und dann auf die große Piazza, da ist es. Wissen Sie, wir haben hier im Ort zwei Piazze, aber natürlich sind die direkt nebeneinander.« Er nutzte seine Hände, um ihr die Ausmaße der einzelnen Piazze anschaulich zu machen.

      »Vielen Dank«, sagte Carla und verließ das kleine Geschäft.

      Als sie aus der Sichtweite der Schaufenster war, trat Gaetano hinter dem Regal hervor, ging zum Tresen und legte die Batterien und einen Fünfeuroschein auf die Theke.

      »Da sind Sie ja auf einmal wieder. Ich hätte schwören können, Sie hätten sich in Luft aufgelöst.« Der Verkäufer sah erstaunt auf.

      »Sie müssen das nächste Mal einfach nur besser hinsehen«, sagte Gaetano und nahm das Wechselgeld entgegen.

      Der Verkäufer erzählte noch eine Geschichte von einem seiner Neffen oder vielleicht auch von jemandem mit einem ähnlichen Verwandtschaftsgrad, doch Gaetano hörte ihm schon nicht mehr zu. Er dachte über die Journalistin nach und ob sie zu einer Gefahr für ihn werden könnte. Zum Glück gab es keine Gefahren, denen er sich nicht stellte, und wenn sie ein Problem darstellen sollte, wenn sie zu neugierig werden würde, würde er die Angelegenheit mit Freuden lösen. Wenn die Reporterin eine Schlagzeile will, dann helfe ich ihr, dass sie selbst zur Schlagzeile wird: »Reporterin des Cronaca Meridionale auf Geschäftsreise verschollen«.

      Ob er noch einmal zurück zur Pension gehen sollte, um seine Beretta zu holen, bevor er sich mit dem Auftraggeber traf? Nein, dafür reichte die Zeit nicht mehr.

      Er steckte die Batterien in seine Kameratasche und steuerte auf die Ausgangstür zu, als der Ladenbesitzer ihm hinterherrief: »Sagen Sie mal, sind Sie jetzt eigentlich Reporter oder nicht?«

      »Reporter?«

      Gaetano stand in der bereits geöffneten Tür und sah noch einmal kurz zu dem Mann hinter der Theke.

      »Nicht wirklich«, sagte er und verschwand auf die Via Immacolata.

      Der Wirt des Caffè della Vita, der zugleich der Barkeeper war, dafür aber nicht der Besitzer des Etablissements, gehörte kaum zu den Menschen, die man gemeinhin als gesprächig oder gar geschwätzig bezeichnen würde. Das Café führte er zusammen mit seiner Frau, die auch das Geld investiert hatte, und ähnlich wie in ihrer Ehe waren auch im Geschäftsleben die Aufgabenbereiche klar verteilt: Er war zuständig für das Arbeiten, sie für das Reden. Das Reden, das sie ununterbrochen und selbstverständlich laut zu tun pflegte, konnte bei ihr oftmals auch ohne Weiteres in ein unangenehmes und, was die Gespräche mit ihrem Mann betraf, zumeist anklagendes Schreien übergehen. Deshalb hatte der Wirt irgendwann fast gänzlich aufgehört zu sprechen, er sprach mittlerweile sogar weniger, als er es vor der Hochzeit getan hatte. So fristete er sein Dasein und war froh, dass er wenigstens während der Arbeitszeit seine Ruhe hatte, da seine Frau nur selten im Café vorbeikam, und wenn, dann in der Regel nur, um sich über irgendeine Nichtigkeit aufzuregen, zum Beispiel, dass der Spiegel in der Cafétoilette schon wieder entwendet worden sei und dass ihr Mann sich wieder einmal von irgendwelchen dahergelaufenen jugendlichen Vandalen auf der Nase hatte herumtanzen lassen.

      Carla rückte ihre Bluse zurecht und ging über die große Piazza geradewegs auf das kleine Café zu.

      Sie betrat den Hauptraum mit der Theke durch einen bunten Plastikvorhang und sah sich um. An der Wand hingen Neonreklamen aller möglichen Bier- und Getränkemarken in allen möglichen und unmöglichen Farben. Das Surren der Eistruhe war beinahe lauter als der Schlagersong, der aus dem Kofferradio dröhnte. Sie ging auf die Theke zu, die mit einer marmorierten Plastikfolie überzogen war, und sprach den Wirt an, der gerade mit einem Lappen den Zapfhahn abwischte.

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