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geschrieben, und die letzten Texte trudeln dann um die Osterzeit herum beim Herausgeber ein. So sitze ich nun an diesem Osterfest des Jahres 2014 und formuliere ein Vorwort für ein Buch, das die Zeit um Weihnachten herum zum Inhalt hat. Und die Osterkerze, das Osterlicht, das in der Nacht von Ostersonnabend auf Ostersonntag vielerorts entzündet und in die Kirchen getragen wird und dadurch Licht bringt in die Finsternis, erinnert an die vielen Kerzen, die in den Advents- und Weihnachtstagen entzündet werden und für Licht und Gemütlichkeit in dunkler Jahreszeit sorgen. Damit schließt sich dann auch ein Kreis. Denn ohne Weihnachten kein Ostern. Ohne die Geburt des Gottessohnes kein Tod und keine Auferstehung von Jesus Christus. Jedes Jahr neu wird dieser theologische Zyklus bedacht.

      Und nun liegen wieder 24 Texte von tollen Autorinnen und Autoren vor mir, die sich Gedanken darüber gemacht haben, inspirieren ließen und in ihren Texten aufgeschrieben haben, was in und durch so eine Weihnachtswundernacht alles passieren kann, was auf einmal möglich wird. Fiktive Geschichten, auch einige persönlich erlebte Storys oder Impulstexte. Zum dritten Mal. In vielen unterschiedlichen Facetten und Stilen.

      Ist Ihnen das Kaleidoskop noch ein Begriff, liebe Leserin, lieber Leser? Dieses optische Gerät, das häufig als Kinderspielzeug verwendet wird und in viel früheren Jahren wohl auch des Öfteren als Geschenk unterm Weihnachtsbaum lag? Ein ausgefeiltes Guckrohr, in dem sich die Gegenstände mehrfach spiegeln, sodass ein schönes symmetrisches farbiges Muster sichtbar wird. Und jedes Mal, wenn man so ein Kaleidoskop nur ein wenig weiterdreht, entsteht ein neues, wunderbares Muster. Obwohl sich der Inhalt nicht verändert hat, nichts hinzugetan wurde, nichts weggenommen wurde. Aber die Bewegung, der neue Blick ergibt etwas Neues. Kaleidoskopmäßig.

      Die Texte in diesem Buch sind für mich manchmal so wie mit einem Kaleidoskop. Jedes Mal, wenn ich hineinschaue, wird ein kleines Stück vom Weihnachtswunder sichtbar, das vor ungefähr 2000 Jahren seinen Anfang nahm. Und wenn ich dann daran drehe, also die Seiten umblättere oder an einer anderen Stelle erneut hineinschaue, zeigt sich manchmal ein völlig anderes Teil, ein anderer Aspekt dieser Wundernacht. Mal ist es einfach eine schöne Geschichte, die unterhält, mal fordert der Text einen persönlich heraus.

      Alle Autorinnen und Autoren dieses Buches eint die Hoffnung und Sehnsucht, einen besonderen, einen speziellen Advent zu erleben und eine Weihnachtszeit, die voller Wunder steckt, die es zu entdecken gilt. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die mitgemacht haben und die sich jetzt zwischen zwei Buchdeckeln auf literarischem Wege begegnen. Ihnen als Leserin und als Leser wünsche ich wieder anregende Momente während unseres gemeinsamen literarischen Weges durch die Advents- und Weihnachtszeit. Gesegnete Adventstage und -wochen, eine frohe Weihnachtszeit und zumindest ein echtes Weihnachtswunder.

      THOMAS KLAPPSTEIN Duisburg / Hamburg, Ostern 2014

      Es schneite mit großen, nassen Flocken, die im Scheinwerferlicht durch die Nacht taumelten, auf den Straßen schmolzen und einen schmierigen Belag hinterließen.

      Philipp schaltete die Scheibenwischer an und sah auf die beleuchtete Uhr vor sich. Dann drückte er das Gaspedal stärker durch. Er wollte nicht zu spät kommen. Aber die Reifen seines Autos hatten etwas gegen die neue Geschwindigkeit und ließen das Auto schlingern.

      Philipp erschrak, lenkte dagegen und fuhr langsamer weiter. Als er das Radio anstellte, hörte er einen Kinderchor irgendetwas Weihnachtliches singen.

      Na ja, dachte er, die Welt wird nicht untergehen, wenn ich nicht ganz pünktlich bin. Aber es war ärgerlich, Tante Berta warten zu lassen, die seine Frau und ihn zum Abendessen erwartete. Und vorher musste er ja auch noch seine Frau abholen.

      Jedes Mal machte Tante Berta ein Theater, wenn man nicht pünktlich erschien. Entschuldigungen galten bei ihr nicht. „Du musst immer ein Zeitpolster einbauen“, pflegte sie zu sagen, „dann kommst du nie zu spät.“

      „Zeitpolster!“, murmelte er ärgerlich. Er hasste dieses Wort und sah eine Uhr vor sich, die in ein flauschiges, abgewetztes hässliches Polster eingenäht war. Er fand es viel reizvoller, sich vorzustellen, dass seine Uhr mit allen Uhren auf der Welt verbunden wäre. Und wenn er dann bei seiner Uhr die Zeit zurückstellte, würden alle anderen Uhren auch zurückgehen. Geradezu genial wäre das. Und wenn er dann …

      Sein Handy klingelte. Sollte er für das Gespräch anhalten? Aber dann käme er noch später an. Er drückte auf den grünen Knopf.

      „Ja?“

      „Sind Sie das, Herr Mangold?“

      „Ja.“

      „Gut, dass ich Sie erreiche, dann kann ich meine Beschwerden direkt bei Ihnen loswerden …“

      Philipp seufzte unhörbar und hörte sich den Redeschwall eines Kunden an, der mit dem Einbau der Küche nicht zufrieden war. Eine Schublade wurde von dem „Softeinzug“ nicht mitgenommen, und an einer Stelle sah das Design nicht so aus, wie es aussehen sollte. Das Muster wirkte, als ob es leicht verschoben sei.

      Philipp wollte schon fragen, ob er eine Lupe mitbringen sollte, aber er beherrschte sich und sagte, dass er so bald wie möglich …

      „Sie müssen morgen kommen. Herr Mangold! Morgen! Verstehen Sie? Ich habe einen großen Bekanntenkreis, und es würde Ihrer Firma sicher schaden, wenn ich denen erzähle, dass …“

      Philipp hätte am liebsten die Augen geschlossen, aber das ging nun mal nicht beim Autofahren.

      Er sehnte sich nach einem ruhigen Ort, wo die Uhren alle falsch gingen und die Telefone aus Marzipan waren. Dann würde er bei einem unangenehmen Gespräch einfach das Telefon aufessen.

      Sie kamen wie erwartet zu spät, und natürlich fiel in den ersten Minuten auf dem Flur das Wort „Zeitpolster“. Das Abendessen zog sich mit einer quälenden Langsamkeit in die Länge, und seine Frau und er kamen müde zu Hause an. Eine Müdigkeit, die wie Blei in den Knochen lag. Die einzige positive Überraschung an diesem Abend bot ihnen der Schnee. Es war abends kälter geworden, die Flocken waren inzwischen liegen geblieben, und eine dicke, weiße Schicht hüllte jetzt alles ein.

      Als Philipp später vom dunklen Wohnzimmer nach draußen blickte, kam es ihm so vor, als ob die Ruhe wie ein weißes Tuch über den Häusern der Stadt lag, denn der Neuschnee sah aus wie eine Bettdecke, die die Stadt zum Schlafen einlud.

      Noch waren die Räumfahrzeuge nicht durch die Stadt gefahren, sodass die Straßen unberührt dalagen und ebenfalls auszuruhen schienen. Und noch war der Schnee auf den Dächern nicht ins Rutschen gekommen, sodass die Häuser weiße Schlafmützen trugen, aus denen die Schornsteine wie kleine Verzierungen herausragten.

      Der Eindruck der völligen Ruhe war so stark, dass es Philipp vorkam, als lägen die Häuser im Tiefschlaf und atmeten langsam ein und aus.

      Er sah auf seine Uhr: halb zwölf. Zeit, ins Bett zu gehen. Seine Frau war schon schlafen gegangen. Aber er konnte sich plötzlich von dieser gewaltigen Schneeruhe nicht losreißen. Und so öffnete er die Glastür, die zur Terrasse führte, und trat einen Schritt nach draußen.

      Kalte, feuchte Luft umfing ihn. Es tat gut, den Schneegeruch einzuatmen, der nach frischer Wäsche roch, nach längst vergangenen Schneeballschlachten aus Eis und Schweiß und nach etwas, das man nicht erklären konnte. Vielleicht nach Polarluft?

      Die Scheinwerfer eines Autos zuckten kurz über die Häuserwände, und das Brummen eines Motors war zu hören. Aber es klang seltsam gedämpft und nahe, als sei die ganze Stadt in ein großes Wohnzimmer mit weichen Teppichen verwandelt worden und als säßen die Leute in der Straße dicht gedrängt auf einer riesigen Couch.

      Irgendwo weit weg rauschte ein Zug vorbei. Und diesmal hörte sich sein Rattern sogar lauter an als sonst. Der Schnee hatte die gewohnten Geräusche und Entfernungen durcheinandergebracht und eine neuartige, lebendige Stille geschaffen.

      Philipp spürte, wie die Kälte seine Schultern erfasste. Aber anstatt nach drinnen zu gehen, die Tür zu schließen und sich aufzuwärmen, zog er sich den Mantel an und trat wieder auf die verschneite Terrasse,

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