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genau auf den Platz, an dem Caspar gesessen war.

      Isabella wurde übel. Die Blut- und Kaffeeflecken waren frisch, würden sicher Spuren auf dem cremefarbenen Cocktailkleid ihrer Freundin hinterlassen.

      Während Brigit eine der mitgebrachten Weinflaschen öffnete und sich ein Gläschen einschenkte, schnappte sich Isabella den Joint vom Couchtisch und ging in die Vorzimmerküche. Nach zwei tiefen Zügen, machte sie sich daran, den geklauten Räucherlachs aufzuschneiden. Selbst dem schwarzen Afghanen gelang es nicht, sie zu beruhigen. Ihre Nerven spielten nicht mehr mit. Ihre Hände zitterten so stark, dass sie sich in den linken Zeigefinger schnitt. Blut tropfte auf den Lachs. Sie unterdrückte einen Schrei, doch wie ein Echo ertönte ein Schrei aus ihrem Wohnzimmer.

      »Igittigitt, was ist denn das? Mein Gott, das sieht ja aus wie Blut!«

      Isabella stürzte ins Wohnzimmer.

      Brigit stand neben dem Sofa, streckte ihr die blutverschmierten Hände entgegen.

      »Verfluchte Scheiße«, schrie Isabella.

      Verzweifelt suchte sie nach einer Erklärung für das frische Blut.

      »Meine Katze ist gerade verreckt.«

      »Seit wann hast du eine Katze?«

      »Ich habe sie vor kurzem am Naschmarkt aufgelesen. Sie hinkte und tat mir so leid.«

      »Du bist echt verrückt. Und was hast du mit dem Kadaver gemacht?«

      »Hinunter in den Mistkübel gebracht.«

      »Oder in diesen Rucksack gesteckt? Hier stinkt es.«

      Brigit machte ein paar Schritte auf das Schlafzimmer zu.

      Isabella versuchte sie zurückzuhalten, packte ihre Arme. Brigit war stärker als sie, schließlich besuchte sie zweimal in der Woche ein Fitnessstudio. Geschickt machte sie sich los und griff nach der Türklinke.

      »Keinen Schritt weiter!« Isabellas Stimme war nahe am Kippen. »Du willst mir doch nicht den Heiligen Abend versauen.«

      »Sehr witzig. Mein Kleid ist bereits total versaut. Du weißt, ich hasse es, wenn du mich belügst. Was ist in dem Rucksack? Woher hast du ihn?«

      »Ich hab’s dir doch gesagt, Geschenke für dich und Josef. Sobald er da ist, werden wir essen und nachher machen wir die Bescherung.«

      Überraschenderweise begnügte sich Brigit mit dieser Erklärung, ging ins Badezimmer und versuchte, die Flecken aus ihrem Kleid zu entfernen.

      »Hast du noch das schwarze Etuikleid, das ich dir letztes Jahr geschenkt habe? Ich muss mich umziehen«, rief sie. »So kann ich deinem Herrn Anwalt nicht gegenübertreten.«

      Isabella ging rasch ins Schlafzimmer, öffnete den Kleiderschrank. Die silberfarbenen Turnschuhe fielen heraus. Sie stopfte die monströsen Latschen wieder hinein. Fieberhaft suchte sie das Kleid. Im Dunkeln war es nicht so leicht zu finden, denn fast alle Klamotten in ihrem Schrank waren schwarz.

      »Warum hast du kein Licht im Schlafzimmer?« Brigit stand plötzlich knapp hinter ihr.

      »Die Birne ist kaputt.«

      »Mein Gott, du bist wirklich eine Chaotin! Eine neue Glühbirne wirst du dir wohl noch leisten können.«

      »Momentan habe ich andere Sorgen«, murmelte Isabella.

      »Was sind denn das für tolle Turnschuhe? Die hast du sicher wieder irgendwo geklaut, oder?«

      Die Straßenbeleuchtung und der Lichtschein aus dem Wohnzimmer reichten aus, um die silbern leuchtenden Schuhe unten im Schrank hervorblitzen zu sehen.

      »Die sind für Josef, habe ich letztens in einem Outlet-Center mitgehen lassen. – Hier ist dein Kleid. Hoffentlich passt es dir noch.«

      Obwohl Isabella am Rande eines Nervenzusammenbruchs stand, konnte sie sich diese boshafte Bemerkung nicht verkneifen.

      Brigit ignorierte die Anspielung auf ihr Übergewicht, zog sich mit dem schwarzen Kleid ins Badezimmer zurück.

      Als sie wieder ins Wohnzimmer kam, hatte Isabella das Sofa notdürftig gereinigt und eine alte Decke drübergelegt.

      Brigit bevorzugte nun verständlicherweise den Vintage-Sessel aus den Fünfzigerjahren, den Isabella erst vor kurzem bei einem Altwarenhändler geklaut hatte, der leichtsinnigerweise einige seiner Möbel auf den Gehsteig gestellt hatte.

      In dem schwarzen Cocktailkleid bekam Brigit kaum Luft. Ihr Anblick erinnerte Isabella an eine verbrannte Blutwurst. Sie versuchte, ein Kichern zu unterdrücken.

      »Was findest du so lustig?«, fuhr Brigit sie an.

      »Nichts, nichts, ich finde, du siehst in deinem Kleid sehr sexy aus, und habe mir gerade vorgestellt, wie Philip dich lüstern anstarren wird.«

      »Du weißt, er ist nicht mein Typ«, beteuerte Brigit. Sie wirkte jedoch sogleich etwas entspannter.

      Als Isabella den Lachs und die beiden Döschen mit Ersatzkaviar und das Baguette ins Wohnzimmer brachte, läutete es wieder.

      »Philip!«

      Isabella empfing ihren alten Freund mit einer stürmischen Umarmung. Noch nie war sie so froh gewesen, ihn zu sehen. Er würde Brigit auf andere Gedanken bringen und sie daran hindern, weiter herumzuschnüffeln.

      Philip brachte außer dem Heizöl einen Plastikweihnachtsbaum von einem chinesischen Billig-Blumenladen und einen Strauß roter Rosen für sie mit.

      Der Anwalt sah trotz seines Alters heute verdammt gut aus, hatte sich für den Heiligen Abend richtig was angetan, war rasiert, beim Friseur gewesen und hatte einen halbwegs passablen dunkelblauen Anzug an. Zu seinem altrosa Hemd trug er eine witzige Donald-Duck-Krawatte. Außerdem war er ausnahmsweise einmal nüchtern. Keine wässrigen Augen, keine unklare Artikulation …

      Brigit machte sich sofort an ihn ran, tätschelte seine von Altersflecken übersäten Hände und redete auf ihn ein.

      Isabella war überrascht, dass sie plötzlich so etwas wie Eifersucht verspürte.

      Sie sehnte sich nach einem zweiten Joint und ging ins Schlafzimmer, während die beiden miteinander schäkerten.

      Erschöpft ließ sie sich auf das Ehebett ihrer Eltern fallen, das jetzt ihr Bett war und unter dem sich ein toter Mann befand. Sie nahm ein Sackerl aus Caspars Rucksack, drehte sich noch einen Joint. Nach dem ersten Zug bereits fühlte sie sich ruhiger. Ihre Nervosität, ihre Schuldgefühle und ihre trüben Gedanken verflüchtigten sich mit jedem weiteren Zug. Wie in einem dichten Bühnennebel sah sie die Szene, in der sie Caspar erschlagen hatte, vor ihren Augen. Schemenhaft, ja beinahe unwirklich erschien ihr plötzlich alles. Es war nur ein böser Traum, dachte sie. Die Realität holte sie wieder ein, als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte.

      Philip blickte sie verzweifelt an, während Brigit seine Oberschenkel streichelte und ihm etwas ins Ohr flüsterte.

      Isabella legte »Born to Be Wild« von den Steppenwolf auf und sang mit. Ihre Stimme war zwar nicht mehr die beste, aber für diesen Song reichte sie.

      Philip schaute sie bewundernd an, machte sich von Brigit los, erhob sich und forderte Isabella auf, mit ihm zu tanzen.

      Während sich die beiden in immer wilder werdenden Verrenkungen der Musik hingaben, saß Brigit in ihrem Blutwurst-Kleid mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Vintage-Sessel, stopfte Lachs- und Kaviarbrötchen in sich hinein und schaute ihnen missmutig zu. Plötzlich sprang sie auf und ging ins Schlafzimmer.

      Isabella hatte beim Tanzen die Augen geschlossen und bemerkte das Verschwinden ihrer Freundin zu spät.

      »Was treibst du da?«, schrie sie, als Brigit ihnen den geöffneten Rucksack vor die Füße warf und sich die wertvollen Säckchen am abgetretenen Parkettboden ausbreiteten.

      »Du rauschgiftsüchtiges Luder! Mir reicht’s! Ich werde jetzt die Polizei rufen. Du bist eine Gefahr für die ganze Menschheit. Verscherbelst Drogen an Schulkinder, nehme ich

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