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Kreisen, fällt auf. Es ist auf einem großen Steinblock (im Park bezeichnet mit Nr. 6) abgebildet. Was überrascht: Der Vierbeiner scheint ein Halsband zu tragen. Ein seltener Bildbeleg für die frühe Domestizierung eiszeitlicher Wildtiere?

      VOM SUMPF ZUM HEILIGTUM

      Bevor es in der Alpenwelt zu ersten künstlerischen Impulsen kommen konnte, hatten sich gigantische Eismassen über Jahrmillionen durch das Val Camonica geschoben. Mit dem Einsetzen milderer Klimaverhältnisse und dem damit verbundenen Ende der letzten Eiszeit zogen sich die Gletscher zurück und hinterließen entlang der Berghänge riesige Steinmassive. Mutter Natur hatte die Felsen aus dunkelgrauem Permasandstein in flache, glatt polierte Tafeln verwandelt!

       Val Camonica war das prähistorische Kreativzentrum der Alpenwelt. Was war die Triebfeder?

      Wirklich einladend, um dauerhaft sesshaft zu werden, kann es in jenen Zeiten dort nicht gewesen sein. Das Eis war zwar weg, aber dafür prägten Schlamm und Morast noch Jahrtausende das Gesicht des Tales. Trotzdem siedelten sich prähistorische Menschen in der unwirtlichen Sumpflandschaft an, errichteten eigentümliche Pfahlbauten, die teilweise aus mehreren Stockwerken konstruiert waren, und begannen, Jagdtiere, symbolische Gebilde und geheimnisvolle Gestalten auf Felsplatten zu meißeln. Praktische Experimente zeigen: Die Gravierungen entstanden durch direkte Schläge mit Steinwerkzeugen, etwa Feuerstein, später durch Metallmeißel, seltener durch das Ritzen mit einem spitzen Instrument.

      Wieso aber umspannt die kreative Tatkraft der Talbewohner einen ausgedehnten Zeitraum von Abertausenden von Jahren? Stile, Motive und Technik der Kunstfertigkeit hatten sich zwar laufend verändert, aber die Beständigkeit, mit der die Tradition der Felsbildkunst an einem Ort von Generation zu Generation weiter gepflegt wurde, ist außergewöhnlich. Was war die treibende Kraft für dieses beharrliche Kritzeln und Klopfen? Wozu diente die Felsbild-Galerie?

      Es gibt keine einzige Gravur, die den Vorgang der Felsbildgestaltung darstellt. „Wir wissen nichts über die Einzelheiten der Zeremonien, die Momente, die aktiven und passiven Teilnehmer, die Autoren“, räumt der Archäologe Alberto Galbiati freimütig ein. Der Gründer des Nationalparks Archeocamuni in Capo di Ponte vermutet, dass das Tal einst ein „heiliger Kultplatz“ war, bei dem die mysteriöse Bildsprache nur von „Eingeweihten“ zu „bestimmten rituellen Festen“ ausgeübt wurde. Die wahre Bedeutung solcher Riten liegt aber genauso verborgen im Dunkel der Geschichte wie der anfängliche Grund und Zweck des rastlosen Arbeitseifers. „Heiliger Platz“ schön und gut: Aber wer oder was machte Val Camonica zum vorzeitlichen Heiligtum?

      Denkt man an die größten christlichen Wallfahrtsorte wie Guadalupe, Lourdes oder Fatima, dann weiß man, warum seit vielen Generationen jährlich Abermillionen gläubige Menschen immer wieder zu diesen Stätten pilgern. Es sind Erscheinungsorte des Überirdischen! Den historischen Überlieferungen zufolge soll an diesen heiligen Plätzen die Gottesmutter Maria höchstpersönlich erschienen sein und Wunder bewirkt haben. Welch himmlisches Mirakel könnte also in der Steinzeit das fortlaufende Bedürfnis ausgelöst haben, eine gigantische Ansammlung archaischer Zauberzeichen auf Felsbildern einzukratzen?

       Im ganzen Val Camonica zahlreich verewigt: Strichmännchen in Stein

      EINE CHRONOLOGIE DER MEISTERWERKE

      Die Entwicklung der Felskunst im Camonica-Tal erstreckt sich über mehr als zehn Jahrtausende. Die offizielle Zeitfolge nennt mehrere Schaffensperioden:

      Altsteinzeit (um 8000 v. Chr. und eiszeitliche Epochen davor) Hier liegen die Ursprünge der Val-Camonica-Kunst. Aus dieser Periode sind einige hundert Darstellungen bekannt. Sie zeigen hauptsächlich naturgetreue Wiedergaben von Tieren, aber auch geometrische Einkerbungen wie Schlangenlinien und Kreise, die als Teil „magischer Riten“ interpretiert werden. Felsbildforscher gehen davon aus, dass das Tal zu dieser frühen Zeit bereits als „Kultort“ diente, aber noch nicht besiedelt war.

       Mittelsteinzeit (um 8000 v. Chr. bis 5000 v. Chr.)

      Gruppen nomadischer Jäger ziehen ins Tal und werden sesshaft. Die naturalistische Tradition der Felszeichnungen wird mit vereinfachten Formen und Symbolen fortgeführt.

       Von der Altsteinzeit bis zur römischen Eroberung: unermüdliches Klopfen, Kratzen und Gestalten

       Jungsteinzeit (um 5000 v. Chr. bis 2800 v. Chr.)

      Technologische Neuerungen verändern das Leben der Bevölkerung. Es erfolgt der Übergang vom Jäger und Sammler zum Bauern und der Beginn der Landwirtschaft. Die Felskunst wird abstrakter. Ins Zentrum der Gestaltung rücken „betende“ Menschen mit erhobenen Armen, „anthropomorphe“ Mischwesen sowie „Götter-“ und „Sonnensymbole“. Viele Bilder zeigen Verwandtschaft zu den Megalithkulturen, etwa durch typische „Zickzack-Muster“, „konzentrische Kreise“ oder „Spiralen“.

       Kupfersteinzeit (um 2800 v. Chr. bis 2000 v. Chr.)

      Die Metalle werden entdeckt und deren Verarbeitung beginnt. Die Graffiti werden „symbolischer“, „schematischer“ und „komplexer“. Szenen vermitteln gesteigert einen erzählenden Charakter. Aus dieser Zeit stammen imposante Menhir-Steine mit astronomisch und religiös deutbaren Gravuren, darunter erste Abbilder von Wesen mit helmartigem Aufputz und „Strahlenkränzen“.

       Bronzezeit (um 2000 v. Chr. bis 1000 v. Chr.)

      Geräte, Webstühle, Waffen und Schmuck werden hergestellt, der Handel nimmt zu. Erstmals werden Pfahlbauten errichtet und auch in den Zeichnungen dargestellt. Die Felskunst offenbart neue Formen, darunter topografische Karten und netzartige Geometrie. Es finden sich zunehmend illustrierte „Mischwesen“, die als Verehrung von „Geistern“ und „Göttern“ interpretiert werden.

       Eisenzeit (um 1000 v. Chr. bis zur römischen Eroberung)

      Der Kontakt zu eingewanderten Völkern wie den Etruskern, Rätern und Kelten beeinflusst die Kunstwerke. Es ist die kreativste Schaffensphase mit den umfassendsten Zeichnungen. Neben realistischen Szenen des Alltags überwiegt die „magisch-mythologische“ Symbolik. Fast alle Felsbilder, die mit „Raumfahrern aus dem Kosmos“ assoziiert werden, stammen aus der frühen Eisenzeit.

       Christi Geburt bis Mittelalter

      Im Val Camonica entstehen nur mehr vereinzelte Felsbilder. Daneben finden sich einige römische Gravuren mit lateinischen Inschriften. Im Zuge der Christianisierung wurden viele prähistorische Zeichnungen mit christlichen Symbolen ergänzt oder überschrieben. Im Spätmittelalter war Val Camonica als „Valmasca“ (Hexental) gefürchtet. Eine Legende erzählt von „furchtbaren Kämpfen zwischen Hexen, Dämonen und Klosterleuten“.

       Die meisten Graffiti entstanden in der Eisenzeit. Vereinzelte Motive stammen aus jüngerer Zeit, es gibt auch folkloristische Erinnerungen aus dem Mittelalter.

       Folkloristisches Überbleibsel

      Aus dieser finsteren Epoche hat sich ein seltsamer Brauch bis in die

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