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sahen im elektrischen Licht gespenstisch aus, als habe jemand die Farbe herausgesaugt. Heinz Eggebrecht wollte lieber nicht wissen, wie er in dieser Beleuchtung wirkte. Er hatte das Gefühl, aus seinem Gesicht sei die Luft abgelassen worden und nun hänge seine Haut wie altes Leder an den Wangen. Er konnte die Augen kaum aufhalten, dafür drückten die Augäpfel. Vermutlich glich er einem Frosch, nur dass unter den Augen kein breites Maul war, sondern Ringe – schwarz wie Reifengummi. Er hätte das mit der Schnapsflasche in der Kammer bei seinen Eltern sein lassen sollen. Gestern Abend dachte er noch, dass er den Anblick der Leiche aus seinen Gedanken spülen könnte … Falsch gedacht.

      Und dann der Lärm. Keiner im näheren Umfeld sprach besonders laut, aber es schien, als habe sich halb Europa hier unten in der Messehalle versammelt. Und wenn eine Million Menschen in tausend Sprachen in Zimmerlautstärke redeten, konnte einem das in der Summe die Nerven rauben. Das galt insbesondere für jemanden, der einen Kater hatte, ach was, einen Bengaltiger oder ein noch größeres Tier – so wie Heinz Eggebrecht.

      Schon das Drehen des Kopfes fiel schwer. Aber da kam er nicht drum herum, wenn er sich einen Eindruck verschaffen wollte. Die Halle schien kein Ende zu nehmen. Eggebrecht wusste, dass der unterirdische Ausstellungsraum in der Länge knapp hundert Meter maß, aber hier sah alles viel größer aus. Über der Erde bildeten der Eingang zum Untergrundmessehaus auf der Südseite des Marktes und das Siegesdenkmal am Nordende natürliche Enden des Platzes. Da war die Entfernung gut zu überblicken und hatte nichts Bedrohliches. Hier unten aber stand Eggebrecht im Gewimmel kurz vor der Platzangst und konnte kaum Wände sehen. Zwischen schlanken Betonsäulen, die zur Decke ragten, führten immer abwechselnd Gänge und Standreihen in die Tiefe – ins endlose Gewusel des Messeauftaktes.

      «Und, können wir losgehen?» Katzmann wirkte verdächtig wach, wer weiß, was der am Morgen genommen hatte. Dabei strahlte der Reporter eine Ruhe aus, dass es Eggebrecht vorkam, als stehe Katzmann vor einer flimmernden Kinoleinwand, auf der eine Massenszene in doppelter Geschwindigkeit lief.

      «Hm.»

      «Vielleicht fangen wir ganz links an …»

      «Hm. Links. Klar.» Sozi blieb eben Sozi – wenn er links begann, konnte er sich prima nach rechts vorarbeiten, dachte Eggebrecht und musste schmunzeln. Immerhin ein klarer Gedanke, der Tag schien zu beginnen.

      Katzmann ging los, schritt auf das Gedränge zu, wurde von der Masse eingeatmet. Eggebrecht stolperte hinterher, drang ins Gewühl. Die Messegäste trugen Anzüge, deren Farben von dunklem Grau über Anthrazit bis Schwarz variierten. Die Jacketts unterschieden sich kaum, allenfalls in der Anzahl der Knöpfe unterm Revers oder der Kragenlänge. Frauen gab es nicht. So wirkte das Gedränge, als warte eine Geschäftsleute-Armee auf den Beginn der Parade. Aus dem Gemurmel hörte Eggebrecht im Vorbeigehen Satzfetzen, Worte wie Krise, Bereinigung, Sparen, Werben, Abwarten, Weitermachen …

      Katzmann verschwand im Gang. Eggebrecht folgte ihm, quetschte sich zwischen den Geschäftsleuten hindurch, murmelte die Entschuldigungen immer genervter. Er umkurvte eine Gruppe blonder Männer. Deren Haare leuchteten so hell, die Kerle mussten vom nördlichsten Ende Skandinaviens kommen – oder gleich vom Nordpol. Dann endlich der Gang, er sah Katzmann wieder. Der Reporter stand vor der ersten Nische.

      Auch in dem Gang sah Eggebrecht keine Frauen, was ihn verwunderte, weil Nähmaschinen ausgestellt wurden. Zahllose Fabriken befassten sich damit, den Frauen in den neuen Zeiten das Leben zu erleichtern. Welche Geräte die Damen zu ihrem Glück brauchten, entschieden anscheinend die Männer.

      Er schloss zu Katzmann auf, aber der hatte offenbar genug gesehen und lief hinunter in die Tiefe des Gangs.

      «Nun warte doch mal, Konrad …»

      «Was ist denn los? Steckt das Kopfkissen noch in deinem Kragen?»

      «Nein … ich will …» Eggebrecht versuchte sich zu konzentrieren. Warum stand er eigentlich hier? Und lag nicht in seinem Bett? Die Messe würde auch am Nachmittag noch geöffnet haben.

      «Ich bin noch nicht richtig wach … Ich hatte so meine Probleme einzuschlafen.»

      Katzmann schob die Brille am Bügel in Richtung Stirn und sagte: «Komm schon, denk nicht mehr an tote Ober, Zettel oder Banden. Jetzt ist Messe. Arbeiten hilft.» Katzmann drehte sich zur nächsten Nische. Hier bot ein Mann Zubehör für die moderne Näherin an: Fäden auf Spulen, Nadeln, Metalldinger, deren Namen Eggebrecht nicht kannte und deren Funktion er allenfalls erahnen konnte. Die Waren lagen in Holzkästen, es mussten Hunderte auf dem Präsentationstisch stehen, schätzte Eggebrecht.

      «Guten Tag, Hemmann-Textilzubehör, Hemmann mein Name. Sie sind Einzelhändler, hoy?» Der Mann in der Nische sang das Sächsische der Erzgebirgsvorländler, er kam sicher aus der Chemnitzer oder Zwickauer Ecke, vielleicht sogar aus dem Vogtland. Er trug eine Halbglatze und schien das fehlende Haupthaar mit seinem struppigen Schnurrbart kompensieren zu wollen. Vielleicht sollte der Bart auch verhindern, dass der Händler beim Blick nach unten ständig seinen gewaltigen Bauch sehen musste. Eggebrecht überlegte, was er täte, wäre er ähnlich fett. So ein Oberlippengestrüpp käme für ihn nicht in Frage.

      «Eggebrecht und Katzmann. Wir sind von der Presse.» Katzmann übernahm das Gespräch, er war offenbar wach genug.

      «Da wollen Sie nichts bestellen, hoy?»

      «Wie laufen die Geschäfte denn?»

      «Es sind ja erst ein paar Stunden. Ich bin erst heute ganz zeitig aus Reichenbach angereist.» Er machte eine kurze Pause und sagte: «Wenn die Damen kein Geld für Kleider haben, nähen sie selber, hoy? Und wenn’s dann wieder bessergeht, wollen sie öfters ausgehen und müssen mehr nähen, hoy?»

      Ein Kaufmann, der nicht jammerte. Eggebrecht konnte es kaum fassen.

      «Nur wenn die Geschäfte in den Städten pleitegehen, ist das schlimm, hoy? Ich kann ja nicht überall sein und meine Waren selber verkaufen, hoy?»

      Na immerhin, da bekam die Krämerseele noch die Kurve, dachte Eggebrecht.

      Katzmann lächelte freundlich. «Herr Hemmann, wenn es Ihnen nichts ausmacht, würden wir Sie in den nächsten Tagen noch mal besuchen. Dann würden wir Sie gern zu Ihren Messeerfahrungen befragen.»

      «Aber nehmen Sie doch bitte Platz.» Theodor Stötzenau wies auf zwei Sessel, die hinter einem kniehohen Tisch standen.

      Katzmann setzte sich und beobachtete Eggebrecht dabei, wie er um den Tisch herumtrottete und in den anderen Sessel fiel. Inzwischen war es fast Mittag, und der Photograph schien nicht wach werden zu wollen. Also würde er auch bei diesem Gespräch keine große Unterstützung sein. Katzmann betrachtete den Gastgeber. Theodor Stötzenau saß im Vorstand mehrerer Aktiengesellschaften, die Messehäuser in der Innenstadt verwalteten, bei der Neuen Leipziger Messehäuser AG fungierte er als Prokurist. Vielleicht konnte Katzmann das Interview für einen Artikel verwenden.

      «Einen Cognac?» Stötzenau stand an einem Sekretär, holte eine Flasche und drei Gläser heraus.

      Eggebrecht brabbelte eine Zustimmung, bevor Katzmann auch nur den Mund öffnen konnte. Er fragte sich, ob neuer Alkohol dem Photographen helfen würde. Katzmann hatte vor ein paar Wochen einen Artikel über die Heilpraktiker-Bewegung nach den Lehren des alten Leipzigers Samuel Hahnemann geschrieben. Diese Homöopathen versuchten, Menschen zu heilen, indem sie Gleiches mit Gleichem bekämpften. Allerdings verabreichten sie die Mittel in winzigsten Dosen. Stötzenau schien beim Füllen der Gläser eher nach der Maxime zu verfahren: Viel hilft viel.

      Stötzenau kam mit dem Tablett voller Schnäpse zum Tisch. Nicht schnell, aber auch nicht besonders langsam. Alles an diesem Mann war durchschnittlich: Er war mittelgroß, mit einem Bauchansatz, ohne gleich dick zu sein. Die Haare waren zu kurz, um in Strähnen auf dem Kopf zu liegen, und zu lang, um als Borsten vom Kopf abzustehen.

      «Also, was führt die Herren zu mir?», fragte Stötzenau.

      «Nun, die Messe.» Katzmann machte eine kurze Pause, wollte sehen, ob Stötzenau auch ohne Frage etwas zu erzählen hatte.

      «Dieses Jahr läuft es nicht so gut. Die Krise.» Stötzenau schaute in die Runde, runzelte

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