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Mord auf der Messe. Uwe Schimunek
Читать онлайн.Название Mord auf der Messe
Год выпуска 0
isbn 9783955520540
Автор произведения Uwe Schimunek
Жанр Зарубежные детективы
Издательство Автор
«Hui, der hat ja ’ne Laune.» Katzmann grinste, nahm seine Brille ab und putzte die Gläser mit einem Tuch aus der Jacketttasche.
«Na ja, eigentlich soll der nur für Bier sorgen. Und nicht für die Gesprächsthemen.»
«Stimmt … Also weiter im Text. Du bist jetzt ein erfolgreicher Photograph in Berlin. So erfolgreich, dass du mich in diesem Laden zum Bier einladen kannst …» Katzmann setzte die Brille wieder auf, zog ein Zigarettenetui aus der Tasche, bot Eggebrecht eine an. «Und … du bist wegen Bernadette La Belle in Leipzig?»
«Wegen der schönen Frau und wegen des großen Geldes.» Eggebrecht hatte den Spruch vorbereitet, zwei Bier lang auf die Frage gewartet. Er nahm die Zigarette und zündete sie an. Katzmann hob die Augenbrauen, wie jemand, der schon bessere Witze gehört hatte. Eggebrecht fuhr fort: «Ich mache für die Berliner Illustrierte Photos von Fräulein La Belle. Und wenn ich schon einmal hier bin, soll ich auch ein paar Impressionen von der Messe einfangen.»
«Die schöne Frau und die Messe. Die scheinen dich für eine Allzweckwaffe zu halten.» Auch Katzmann zündete sich eine Zigarette an. «An La Belle ist bei uns die Kultur dran. Aber auf die Messe können wir gern zusammen gehen. Der ganze Protz mitten in der Krise wird bei uns sehr kritisch verfolgt. Da können wir zusammen nach schillernden Figuren suchen.» Katzmann zwinkerte.
«Das ist eine gute Idee. Du kennst dich in Leipzig inzwischen besser aus.» Eggebrecht bemerkte erst jetzt, dass er nicht wusste, welchen Posten Katzmann derzeit bei der Leipziger Volkszeitung bekleidete. Er hatte den Reporter in den letzten Jahren nur einmal kurz bei einer Recherche an der polnischen Grenze gesehen. Da war Katzmann noch Dresdenkorrespondent. Ansonsten hatten sie per Post Kontakt gehalten, seit Eggebrecht kurz nach dem Kapp-Putsch sein Glück als Photograph in Berlin gesucht hatte. In Briefen berichtete er Katzmann von seinen beruflichen Erfolgen. In den Antworten ging es um Frauen und Kriminalfälle, beides über ganz Sachsen verteilt.
Eggebrecht fragte: «Hast du eigentlich eine Wohnung hier?»
«Souterrain. In der Querstraße, an der Kreuzung zur Dörrien-Straße und Gellert-Straße, gleich hier um die Ecke. Im Augenblick bin ich da zu Hause. Wenn ich nicht gerade unterwegs bin …»
Aha, der Herr ließ sich bitten. Also gut, Eggebrecht fragte nach: «Hat Leistner dich befördert?»
«Chefreporter. Eigener Fernsprecher. Teilnahme an der erweiterten Chefredaktionskonferenz. Wenn ich keine Termine auswärts habe.» Katzmann grinste, lehnte sich zurück, als habe er die Situation mit der Handvoll Wortfetzen umfassend beschrieben. Und in der Tat machte die Faktenparade Eindruck auf Eggebrecht. Ob er die Rede und die Pose danach genauso souverän hinbekommen hätte? Es war die kleine Geste, die den Reporter nicht wie einen Aufschneider wirken ließ, sondern wie einen, der seinen Titel trug, als wäre es ein maßgeschneiderter Anzug.
Kleine Gesten spielten in der Berliner Photographenszene keine herausragende Rolle, umso mehr fielen sie Eggebrecht auf. Aber gut, vielleicht konnte er Katzmanns Verhalten ja unter Provinzialität verbuchen … Nein, dafür erschien es zu gekonnt. Hier kam wieder der geborene Großbürger durch. Eggebrecht trank einen Schluck Bier.
«Wenn du willst, können wir rüber in die Redaktion gehen und auf die Termine in den nächsten Tagen schauen.» Katzmann hob sein Glas. «Das ist vielleicht besser, als hier an der Tränke zu verdursten.»
Auf der Tauchaer Straße wehte Konrad Katzmann die Kälte der Nacht in den Kragen. Am Februarhimmel leuchteten die Sterne. Die klaren Nächte waren so frostig wie die sonnigen Tage mild. Und diese Stille … Vom Gewimmel der Krystall-Palast-Besucher war schon ein paar Meter stadtauswärts kaum mehr etwas zu hören, auch die Kraftwagen schienen alle schon abgestellt zu sein. Sogar Eggebrecht sagte mal nichts, schritt stumm im Funzellicht der Laternen den Bürgersteig entlang. Sicher machten die Erinnerungen ihn andächtig. Katzmann kannte das Gefühl: Schon wenn er nach ein paar Monaten in die Dresdner Antonstadt zu seinem Haus zurückkehrte, hatte er den Eindruck, alle Gerüche und Geräusche kämen aus einem früheren Leben. Wie musste es Eggebrecht nach fünfeinhalb Jahren gehen! Immerhin führte das zu einer Pause im endlosen Gerede vom tollen Leben als Photograph in der weiten Welt.
Nein, Katzmann wollte nicht ungerecht sein, und er gönnte Eggebrecht seinen Erfolg. Und klar, der alte Freund durfte stolz sein, hatte den Weg vom Stift zum gemachten Mann aus eigener Kraft geschafft. Ohne Eltern, die ihm hier und da etwas zusteckten.
Andererseits musste Katzmann sich selbst weiß Gott nicht vorwerfen, dass er seine Karriere dem Vater zu verdanken hatte. Auf seinen Posten als Chefreporter der Leipziger Volkszeitung war er gegen den ausdrücklichen Wunsch des alten Reaktionärs gekommen. Und wenn er das Elternhaus in Dresden besuchte, gab es bis heute Streit um seinen Arbeitgeber. Dabei verdiente Katzmann sein Geld inzwischen seit fast acht Jahren bei der LVZ.
Acht Jahre, Wahnsinn! Vielleicht gingen ihm Eggebrechts große Worte deswegen auf die Nerven, weil er sich ertappt fühlte – dabei, es sich auf seinem Bureaustuhl bequem gemacht zu haben. Zwischen der Souterrain-Bude hier und dem Häuschen in der Antonstadt, zwischen den Einzelschicksalen in seinen Sozialreportagen, zwischen den Mädchen, die alle paar Jahre kamen und gingen.
Nein, eigentlich fand er diese Mischung ganz in Ordnung. Solange die Mädchen ihm zuliefen, wenn der Schmerz am größten war, solange er immer einen schönen Text schreiben konnte, wenn er im Alltag zu ersaufen drohte. Vielleicht war ihm einfach zu lange kein Mordfall mehr vors Notizbuch gekommen, dachte er und musste lächeln.
«Na, hörst du den Bureaustuhl rufen?» Eggebrecht schien genau wie er seine Bedächtigkeit abgeschüttelt zu haben und grinste ihn an.
«Das Bureau ist noch ein paar Meter hin. Noch kein Grund, derart in Freude auszubrechen!»
«Wird schon nichts mehr schiefgehen auf den letzten paar Metern.»
«Wenn wir gleich nach Terminen schauen … Wann steht ein berühmter Photograph eigentlich so auf?»
«Wie spät ist es jetzt?»
«Wie?» Katzmann guckte Eggebrecht an. Der hatte den Mantel und das Jackett geöffnet. Die Kette der Uhr funkelte an der Tasche der Weste. Vielleicht hatte er die Frage falsch verstanden.
«Meine Uhr ist stehengeblieben … Aber ich pflege, sechs Stunden, nachdem ich schlafen gegangen bin, aufzustehen …»
Der Herr «pflegt» also, dachte Katzmann. Das klang, als hätte sich Eggebrecht nicht nur neue Anzüge zugelegt. Der Reporter zog seine Uhr aus der Tasche und sagte: «Zehn nach halb elf.»
«Na, dann lass mich rechnen …» Eggebrecht zog beim Sprechen seine Taschenuhr auf. «Wir sitzen jetzt noch eine halbe Stunde rum, dann geht es zu meinen Eltern nach Lindenau … Also, wenn alles normal läuft, kann ich morgen gegen halb acht beim Frühstück sitzen und bin ab neun für jeden Spaß zu haben.»
Auf der linken Straßenseite tauchte das Haus 19–21 auf, die Toreinfahrt war vom Schein einer Laterne erleuchtet. Am Fuß der Laterne lag ein Müllsack. Ungewöhnlich für diese Gegend, dachte Katzmann, und dann noch direkt vor dem Bureauhaus. Oder war das wieder ein Gruß von rechten Witzbolden?
«Da vorn liegt ein Sack.» Eggebrecht zeigte auf den Müll. Er klang nicht entsetzt, eher wie einer, der die Wirkung eines Naturgesetzes konstatiert. Er hätte auch sagen können: «Das Ding ist nach unten gefallen.» Wahrscheinlich kamen an den Straßenrand geworfene Müllsäcke in Berlin öfter vor.
«Gott, verdamm mich!» Jetzt hörten sich die Worte an wie ein Ausruf der Empörung. Ganz so dreckig war Berlin vielleicht doch nicht. «Ein Kopp …»
Katzmann sah zum Sack. Je näher er kam, desto deutlicher zeichneten sich die Konturen im fahlen Laternenschein ab. Der Sack hatte nicht nur einen Kopf, sondern auch Arme, Beine, Lackschuhe … Die Gliedmaßen lagen ineinander verdreht, als habe jemand versucht, die Extremitäten zu verknoten. Wenn der Mann an dieser Stelle gestürzt war, dann musste er zuvor gymnastische Übungen durchgeführt haben – nicht besonders