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1. November 1918, exklusiv für die Leipziger Volkszeitung:

      Grünes Gewölbe wird geschlossen

      Sie möchten das Grüne Gewölbe besuchen? Es den Kindern zeigen? Dann bleibt für einen Besuch in der Schatzkammer Sachsens nicht mehr viel Zeit. Das Grüne Gewölbe schließt ab 9. November 1918 seine Türen. Wegen des chronischen Kohlemangels sei es nicht mehr möglich, die Räumlichkeiten ausreichend zu beheizen. Daher sehe man sich gezwungen, diese drastische Maßnahme zu ergreifen. Der Kurator wies darauf hin, die Schließung sei auch eine Reaktion auf eine Reihe von versuchten Diebstählen durch Besucher. Um den einmaligen Schatz nicht zu gefährden, sei es sinnvoll, der Öffentlichkeit bis auf weiteres den Zutritt nicht mehr zu gestatten. Wie lange diese Regelung gelten wird, ist noch nicht endgültig entschieden.

      NACH KURZEM, ABER HEFTIGEM KAMPF mit Schlüssel und Schloss gelang es Katzmann, mit zitternder Hand die Tür zu öffnen, in der anderen hielt er den noch immer schlafenden Hund.

      Die Wohnung war kalt. Sein Atem bildete kleine Kondenswölkchen. Rasch schob er Kohle in den Ofen und heizte ein. Er pellte den Hund aus den verschiedenen Bekleidungsschichten hervor und setzte den Kleinen auf einer Decke ab, bevor er sich eilig der nassen Sachen entledigte.

      «Weißt du was, ich werde dich Harry nennen - das passt ausgezeichnet zu deiner struppigen Frisur. Einem so strubbligen Hund bin ich überhaupt noch nie begegnet», lachte er leise und strich mit dem Zeigefinger über die Nase des Kleinen.

      Seine Gedanken kehrten zu dem seltsamen Mädchen zurück. Alle Achtung, die Kleine hatte sich ohne Rücksicht auf Gesundheit und Leben ins kalte Wasser gestürzt! Mächtig mutig! Er zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass sie herausfinden würde, wo er wohnte. Fast bedauerte er die Tanten, die mit der Aufsicht sicher vollkommen überfordert waren.

      «Abenteuerlust pur! Dein Glück, dass Katja bemerkt hatte, wie du in dem Sack gestrampelt hast.»

      Wenig später war Katzmann umgezogen, der Ofen strahlte behagliche Wärme ab, und der Hund lag satt in die Decke gekuschelt auf dem Sofa und beobachtete genau, wie dieser Mensch die Kleidungsstücke über Stuhllehnen hängte und Papier in die Schuhe stopfte.

      Die beiden waren so mit sich selbst beschäftigt, dass sie heftig zusammenfuhren, als es an der Tür klopfte.

      Katzmann knurrte unwillig über die Störung, warf einen prüfenden Blick auf seinen neuen Mitbewohner, der die Augen jetzt fest geschlossen hielt, als könne man dafür einen Preis gewinnen, und schlurfte zur Tür. «Wer ist da?»

      «Fritz!»

      «Nanu, ist was passiert?», fragte Katzmann und öffnete die Tür.

      «Nein, nein. Deine Mieterin hat mich reingelassen, sie wollte gerade gehen. Und ich weiß ja von den beiden Kindern, also bin ich die Treppe leise raufgeschlichen», erklärte Ganter etwas atemlos und schob sich in die Wohnung. «Ich bin so halb dienstlich hier.»

      «Willst du mich verhaften, weil ich der Familie Ludwig die Wohnung zu billig vermietet habe?», flachste Konrad und nahm dem Freund den schweren Mantel ab. «Mein Vater meint, es sollte da unbedingt eine gesetzliche Regelung geben, die einen festen Mietpreis verbindlich vorschreibt.»

      «Ja, das kann ich mir vorstellen. Das ärgert ihn sicher sehr: Der Sohn lässt im Haus des Großvaters einen Kriegsheimkehrer für ein symbolisches Entgelt wohnen. Weißt du, Konrad, er hat es nicht leicht mit dir!», lachte Ganter.

      «Kriegsversehrt ist, glaube ich, das richtige Wort. Frau Ludwig putzt das Treppenhaus und fegt die Straße. Das ist mir Miete genug. Diese Familie hat nichts zu verschenken.»

      «Bekommt er denn keine finanzielle Unterstützung?»

      «Das ist noch nicht entschieden. Er verhält sich mitunter eigenartig, die Ärzte versuchen noch herauszufinden, woran das liegt», antwortete Katzmann ernst. «Einige denken ja, die Blindheit sei vorgetäuscht und seine Anfälle nur großes Theater. Die halten ihn für einen Simulanten. Die müssten mal sehen, was passiert, wenn er wieder einen Anfall hat! Er sieht ja nicht einmal, wer mit ihm spricht. Die Frau hat es richtig schwer.»

      Ganter schnupperte mit hoch in die Luft gereckter Nase. «Bei dir riecht es eigentümlich. Nach feuchten Klamotten und nassem Hund.»

      «Dir kann so schnell keiner was vormachen, wie?» Konrad führte den Besucher in sein Wohnzimmer. «Ich war heute mit einem Mädchen und einem Hund in der Elbe baden.»

      «Aha. Muss ich mir jetzt Sorgen um deine geistige Gesundheit machen? Weder ist das die richtige Jahreszeit, noch hast du elementare Grundregeln beachtet: Die Kleidung behält man beim Baden nicht an!»

      «Ich fürchte, du hast recht, aber ich hatte keine Badebekleidung zur Hand. Wie wäre es mit einem Glas Wein?»

      «Aus Großvaters Weinkeller? Gern!», freute sich Ganter. Nachdem Flasche, Gläser und Kekse aus der Küche geholt und auf dem Tisch verteilt waren, schenkte Konrad ein und prostete dem unerwarteten Besucher freundlich zu.

      «Mensch Konrad, wir sollten mal wieder in die Bierschenke gehen! Gemütlich ist es dort, nicht so trist wie sonst in der Stadt. Vielleicht gibt es in diesem Jahr auch Elefantengulasch.» Fritz leckte sich die Lippen bei der Erinnerung. «Das wäre doch eine großartige Sache!»

      «Unwahrscheinlich», konterte Konrad. «Zum Glück muss Sarrasani nicht in jedem Jahr einen seiner Elefanten töten. Sonst wäre der Zirkus sicher schon längst Geschichte.»

      «Mag sein. Löwensteak? Giraffengulasch? Ich wäre da nicht wählerisch. Im Augenblick bekommen ohnehin alle lächerlich wenig Fleisch. Aber das war schon exotisch, so etwas wie Elefantenbraten mit Soße an Kartoffeln auf einer Dresdner Speisekarte zu finden», schwärmte Ganter weiter mit leuchtenden Augen. «Und lecker war es außerdem!» Er sah sich um. «Hast du inzwischen alle Bände deines Lieblingsautors?»

      Katzmann lachte leise. «Nein. Aber lang dauert es nicht mehr. Es ist nur noch wenig Platz in meinem Karl-May-Regal frei, wie du siehst. Den füllen die beiden fehlenden Bände dann aus.»

      Der Freund registrierte eine Bewegung unter der Decke auf dem Sofa. «Was hast du denn da?»

      «Nichts, was man essen wollte! Das ist der nasse Hund, der zu den nassen Kleidern passt. Weißt du, es gibt Tage, an denen passieren einfach unglaubliche Dinge. Und das war ein echtes Abenteuer - auf Leben und Tod!»

      Ganter schmunzelte amüsiert über die dramatische Pose, die der Freund eingenommen hatte. So war Konrad immer schon gewesen: leichtsinnig und in irgendwelche Abenteuer verstrickt. Zu Schulzeiten war er dadurch oft in Schwierigkeiten geraten. «Wenn man mit Hund und ohne Schirm in einen heftigen Regen gerät, ist das für mich nichts, was ich als Abenteuer bezeichnen würde!»

      «Aber Fritz! Heute hat es gar nicht geregnet! Bei den Temperaturen wäre das auch nur schwer möglich. Es hätte geschneit», widersprach Katzmann gut gelaunt.

      «Na los, erzähle!»

      «Es hat schon gestimmt: Ich war mit einem Mädchen und diesem Hund in der Elbe baden. Natürlich nicht aus Spaß. Jemand hat einen Sack übers Geländer der Augustusbrücke geworfen, ich wollte nachsehen, was es war. Plötzlich hörte ich Hilfeschreie aus dem Wasser. Na, du kennst mich ja …»

      «Also bist du voller Angst weggelaufen», neckte der Freund.

      «Ich rein ins eisige Wasser. Und was finde ich da?»

      «Einen sprechenden Hund. Toll! Mit dem kannst du ab sofort im Zirkus auftreten. Vielleicht fällt dann ab und zu mal einen Löwensteak für dich ab. Das teilst du dann hoffentlich mit deinem besten Freund.»

      «Quatsch. Ein Mädchen hatte die Aktion mit dem Sack auch beobachtet und wollte ihn aus dem Wasser ziehen. Am Ende musste ich beide aus der Elbe retten, Mädchen und Beutel. Der Hund hier war drin. War gar nicht so einfach. Ich hatte die Temperatur über- und die Strömung an der Stelle unterschätzt.»

      «Konrad, du Held!» Fritz hob sein Glas, blinzelte dem Reporter zu und nahm einen kräftigen Schluck. «Es ist wie früher, nicht wahr? Du bringst dich noch immer in brenzlige Situationen.

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