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bzw. „orientalisierend“ und später als westphoinikisch–karthagisch dominiert bezeichnet werden. „Orientalisierend“, weil das einheimische Kunsthandwerk wesentliche Techniken und Stilmerkmale, aber auch ideologische und möglicherweise mythisch-religiöse Motive von ostmediterranen Vorbildern übernahm. Die spätere südiberisch-turdetanische Kulturentwicklung insgesamt basiert weitgehend auf diesem Einfluss und seiner Perzeption, wofür der Grabturm von Pozomoro [Abb. 7] ein faszinierendes Beispiel bietet. Gleichzeitig bergen die vielfältigen auf uns gekommenen Zeugnisse für die Altertumsforschung die große Gefahr falscher Historisierung von Mythen und vordergründig-naiver Interpretation von Quellen, deren Zielsetzung und Glaubwürdigkeit selten oder unzureichend hinterfragt werden. Dafür bietet die vor einigen Jahren von einem namhaften spanischen Prähistoriker behauptete Existenz einer „tartessischen Literatur“ ein warnendes Beispiel. Strabon (3,1.6) berichtet, dass die Turdetaner, die er für die „weisesten aller Iberer“ hält, eine eigene Schrift besäßen, ferner Chroniken und Poesie aus alter Zeit sowie Gesetze in Versform, die 6.000 Jahre alt seien. Nun befand sich die Iberische Halbinsel in dieser Zeit erst im entwickelten Mesolithikum. Ackerbau und Viehzucht sind noch nicht erfunden und die Entwicklung zur einer TRT/​TRS – Gesellschaft liegt in weiter Zukunft. Um 600 v. Chr. dagegen wären kulturelle Phänomene wie Musik, Rezitation, Tanz gut vorstellbar; es gibt auch frühe südiberische Schriftzeugnisse. Eine im eigentlichen Sinne „tartessische Literatur“, die sich aus der zitierten Strabon-Stelle, der archäologisch erwiesenen Existenz von Musikinstrumenten oder der Relation zwischen einheimischer Plastik und präsumtiv einheimischen Mythen herleiten ließe, gibt es freilich nicht!

      Hierhin gehört auch – im Vorgriff auf später Auszuführendes – die Erledigung des von Schulten konstruierten und bis heute in der spanischen Forschung virulenten „Endes von Tartessos“. Es gibt sowenig ein „Ende von Tartessos“ wie es ein „tartessisches Modell“ oder gar eine „Krise des tartessischen Modells“ gibt (Celestino Pérez 2011 – 12, 302). Was archäologisch tatsächlich beobachtet werden konnte, ist im 5. Jh. v. Chr. ein Zerstörungshorizont im „orientalisierten“ Süden, welcher, wenn er nicht Folge innerer Zwistigkeiten unter den einheimischen populi ist, indoeuropäischen raids oder dem Einfluss des sich gegen Ende des 6. Jhs. v. Chr. zunehmend in Tarschisch engagierenden Karthago zuzuschreiben sein dürfte – davon später.

      Im 7. Jh. v. Chr. – wie gesagt – kommen die Griechen zumeist von den ägäischen Inseln und den Küsten Kleinasiens. Sie können sich aber anscheinend gegen die phoinikische und zunehmend karthagisch-punische Konkurrenz nicht dauerhaft behaupten. Einige Generationen später werden sie von ihrer Gründung Massilia aus nach Süden vorstoßen und die hispanische Ostküste in bescheidenem Maße kolonisieren, mit den küstennahen Iberern Freundschaft schließen und diesen Schrift und handwerkliche Techniken beibringen, was in Plastik und Toreutik zu einzelnen Werken von wunderbarer Schönheit gediehen ist [Abb. 8]. Der griechische Einfluss endete, wo die phoinikisch-punische Kontrolle der südlichen Zone ihm Einhalt gebot: Am bereits mehrfach erwähnten terminus Tartesiorum (s. S. 24), den wir uns an der Südostküste im Raum Los Nietos/​Cabo de la Nao zu denken haben. Von dort nach Norden zeigen die epigrafischen Zeugnisse rechtsläufige Schrift. Südlich davon im gesamten punisch kontrollierten Gebiet gibt es den linksläufigen Schrift-Duktus, auf Münzen aus HaGadir (Cádiz) und Malaca bis weit in römische Zeit belegt. Im 6. – 5. Jh. v. Chr. werden griechischer Einfluss von Nordosten und der orientalisierende Kulturstrom von Westen sich im iberischen Raum zwischen Albacete, Jaén und der Mittelmeerküste treffen. Der kulturelle Einfluss vor allem des massaliotischen Griechentums an der hispanischen Ostküste wird dessen reale Präsenz lange überdauern: Die politische Entwicklung, vor allem das Auftreten des aufstrebenden Karthago im südwestmediterranen Raum, machte dem dortigen Griechentum den Garaus; soweit es dort griechische Pflanzstädte gab, verschwinden sie oder gehen im Iberischen auf.

      Über dem Zeitraum zwischen der realen phoinikischen Kolonisation in Tarschisch im 8. Jh v. Chr., von der Jesaja spricht, der griechischen Tartessos-Berührung vermutlich im 7. und dem Auftreten der Seemacht Karthago auf der Halbinsel im 6. Jh. v. Chr. liegt ein seltsames Halbdunkel, obgleich es sich um eine Phase entscheidender Veränderungen im Süden und Osten gehandelt haben muss. In dieser Zeit mutiert, vom orientalisierten Tarschisch ausgehend und durch griechische und andere Importe unterstützt, der orientalisierte Kulturraum zum Turdetanisch-Iberischen, wie wir die intensive Rezeption kultureller (auch religiöser) Einflüsse aus dem Osten in Ermangelung einer glücklicheren Bezeichnung nennen müssen. Das Ergebnis ist eine kaum differenzierbare ostmittelmeerisch-einheimische Mélange, zu der Rechteckhäuser und ummauerte stadtartige Siedlungen ebenso gehören wie die Entstehung einer bemerkenswert originellen Großplastik in der oben beschriebenen südöstlichen Konvergenzzone zwischen semitischer und griechischer Einflussnahme. In diese Zeit gehört auch die Entstehung der (linksläufigen) südiberischen Schrift, für die sich vor einiger Zeit eine Art Musteralphabet gefunden hat. Zweifellos ist dies die Zeit lokaler und regionaler Herrschaftsbildungen, von denen die Historiografie erst viel später berichten wird, die sich aber seit geraumer Zeit archäologisch immer deutlicher abzuzeichnen scheinen.

      Darüber, was in dem Zeitraum zwischen dem ersten Auftauchen der Phoiniker an den Küsten der Halbinsel, dem Vordringen griechischer Seehändler in den Südwesten und an die Ostküste im Rest des großen Landes geschieht, der immerhin fast 2/​3 des Ganzen beträgt, schweigen die Schriftquellen. Gleichzeitig ist deutlich, dass im 6. Jh. v. Chr. Karthago eine wichtige Rolle auf der Halbinsel zu spielen beginnt und bis in die Zeit des Zweiten Krieges mit Rom den hispanischen Süden, den afrikanischen Nordwesten und auch die hispanische Atlantikküste kontrolliert, wie archäologische Funde, aber auch punisch konnotierte Kultstätten in Küstennähe belegen. Herodotos Hinweis auf Kelten im Westen (2,33,3) bleibt geografisch vage, so sehr sich die Forschung auch bemüht hat, die Stelle „Die Donau kommt aus dem Land der Kelten von der Stadt Pyrene her und fließt mitten durch Europa. Die Kelten wohnen jenseits der Säulen des Herakles und sind Nachbarn der Kynesier, des westlichsten Volkes von allen Europäern“ aus ihrer ex-post-Kenntnis stimmig zu machen. Die Vorstellungen des ‚Vaters der Geschichte‘ vom westlichen Europa sind eine Mischung aus Wissen, Hörensagen und möglicherweise falsch verstandenen Nachrichten aus Seefahrer-Kreisen. Deutlichere geografische Vorstellungen gewinnt man erst im 4. Jh. v. Chr., aber auch sie bleiben oberflächlich und sind ausschließlich aus der Seefahrer-Perspektive gewonnen.

      Die ethnografische Karte der gewaltigen Landmasse zwischen der Küstenkordillere im Osten, der Sierra Morena im Süden, den Pyrenäen im Norden und dem atlantischen Ozean im Westen gleicht einem Flickenteppich buntester Art. Die Forschung ist weit davon entfernt, die Gemengelage aus potentiell vorindoeuropäischer Bevölkerung, zahllosen Zuwanderungen aller Art und Quantität (und zu unterschiedlichsten Zeiten), unquantifizierbaren Binnenwanderungen bis weit in römische Zeit sowie die ethnischen Mischzonen an den östlichen und südlichen Rändern durchsichtig gemacht und in eine zuverlässige regionale und zeitliche Ordnung gebracht zu haben. [s. Abb. 2] Die antiken Quellen behalfen sich damit, Phoiniker, Perser, Griechen, Kelten, Punier und Römer

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