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dass die bedeutenderen Fremdkontakte Mythentraditionen und Erklärungsbedürfnisse für Kulturentstehung geschaffen und hinterlassen haben: Neben den genannten phoinikischen, griechischen und – vielleicht – iberischen findet sich eine indoeuropäische möglicherweise im irischen Leabhar Ghabbála („Buch der Invasionen“), von dem sich sogar im großen Geschichtswerk Th. B. Macaulays, The glorious Revolution, eine Nachricht erhalten hat. Dabei handelt es sich um einen den Sagen von den weltumspannenden Reisen und Taten des Herakles ähnlichen märchenhaften Bericht von einem von hispanischen Kelten (Brath, Breoghán, Bile) abstammenden skythischen Krieger namens Golamh, genannt „Mil von Hispanien“, der 3.500 Jahre nach Erschaffung der Welt über Ägypten nach Hispanien kommt und von dort mit seiner Familie und seinem Gefolge nach Irland gelangt, wo er die Herrschaft erringt. Belegt im frühen Mittelalter, werden hier vage historische Reminiszenzen, vermischt mit Erfundenem, gewissermaßen die durchaus wahrscheinlichen hispanisch– irischen Beziehungen der frühbronzezeitlichen Vorzeit, mythisch überhöht. Phänomene, wie das Kloster Britonia im 7. Jh. n. Chr., eine der frühesten hispanischen Klostergründungen überhaupt, bestätigen den fortdauernden Kontakt zwischen den Britischen Inseln und Gallaekien.

      Mythischen Charakter besitzen auch etymologische Durchstechereien wie Herodotos Erklärung für den Namen der Pyrenäen (2,33,3). Dass es Mythen gibt, die einheimisch-hispanischen Ursprungs sind, wozu nach Auffassung spanischer Forscher die Gargoris-Geschichte gehört, ist, wiewohl denkbar, einstweilen nicht zu erweisen. Ausgeschlossen ist nicht, dass sich einheimische Mythen hinter nicht-einheimischen interpretationes verbergen. Wahrscheinlicher ist, dass hinter den von dem spätantiken Epitomator Iustinus (aus Pompeius Trogus) überlieferten Erzählungen von Gargoris, der die Bienenzucht erfunden habe, und Habis, dem Begründer des Ackerbaus, hellenistische Kulturentstehungs-Fantasien stehen. In heute kaum noch nachvollziehbarer, jeder Quellenkritik spottender Naivität hat Schulten (19502, 130 ff. und passim) aus alledem und mehr sein Tartessos-Konstrukt gefertigt, mit einer Herrscher-Genealogie, die mit „Sol“ beginnt und mit „Arganthonios“ endet, die etruskischen Ursprungs sei und ganz uniberisch – das alles eher ein Märchen aus dem Orient als seriöse Geschichtsschreibung. Und eben darum so schwer los zu werden!

      Griechen entdecken den Westen

       „Die Phokaier waren die ersten Hellenen, die weite Seefahrten unternommen haben. Sie entdeckten das Adriatische Meer, Tyrsenien, Iberien und Tartessos.“

       (Herod. 1, 163)

      Vor allem die Entdeckung der Erde und ihrer zunehmend begriffenen Weitläufigkeit, die Wunder neuer Begegnungen mit Fremdem, Unerhörtem sowie das Bedürfnis insgesamt wenig beweglicher Gesellschaften nach spannender Unterhaltung und exotischen Reizen dürfte der Hintergrund von fantastischen Überhöhungen und Ausschmückungen früher Abenteuer zu Lande und vor allem zu Wasser gewesen sein. Hinter vielen dieser Geschichten stehen handfeste historische Gegebenheiten: So hat es in der Kupferzeit zweifellos Prospektionsfahrten in den mittelmeerischen Westen bis an die portugiesische Atlantikküste gegeben. W-O- und O-W-Handel/​Austausch im 3. Jt. v. Chr. über Land und über See und die Spuren atlantischer Begegnungen zwischen dem hispanischen Nordwesten und Irland sowie der Wessex-Kultur werden im Zuge der Metall- und Elfenbein-Analysen immer konkreter. Der Prähistoriker Thomas X. Schuhmacher hat im Jahre 2004 die vorliegenden frühbronzezeitlichen Fund-Materialien und die sich daraus ergebenden Einsichten in entsprechende Verbindungen schlüssig zusammengefasst und kartiert.

      Notwendigerweise kommen wir am Ende dieser langdauernden Entwicklung zu „Tartessos“! Nicht nur, weil hier die literarische Überlieferung zur Iberischen Halbinsel überhaupt erst beginnt, sondern vor allem, weil es ab jetzt ein gewisses Kontinuum der Schriftquellen gibt.

      Nach Herodotos durchaus glaubhaftem Bericht kamen griechische Seefahrer aus Phokaia im 7. Jh. v. Chr. erstmals mit einer südwesthispanischen Region nebst Handelsplatz (emporion) in Berührung, welchen sie den Namen Tartesos bzw. Tartessos gaben, der sich aus einer einheimischen Wurzel TRT bzw. TRS und einer griechischen Endung zusammensetzt. Dass dieses Emporion, welches zwischen der Mündung des río Guadalete und dem Raum Huelva zu vermuten ist, damals ein längst von Phoinikern besuchter Warenumschlagplatz, ja, von diesen wahrscheinlich erst geschaffen war, wusste Herodotos nicht oder verschweigt es aus nachvollziehbaren Gründen.

      Deutlich erhellt aus Herodotos Erzählung der bereits aus I Kön 10, 21 f. bekannte Silberreichtum dieser Zone, der alles Weitere zur Folge hat: Das großherzige Geschenk des „tartessischen Königs Arganthonios“, dessen angegebenes Alter von 120 Jahren bereits die Tendenz zur Legende verrät, an die Phokaier, nämlich die Finanzierung einer Verteidigungsmauer gegen die expandierenden Meder, mag einen historischen Kern besitzen – die Erzählung selbst ist in erster Linie ‚Seemannsgarn’.

      Erstaunlich ist freilich, in welchem Maß die „Entdeckung“ des fernen Silberlandes in der zeitgenössischen Literatur Griechenlands ihren Widerhall findet. Dieser gleicht durchaus dem Echo, das mehr als 2.000 Jahre später die Entdeckung Amerikas und seiner Schätze auf der Iberischen Halbinsel auslöste. Die griechische Tartessos-Rezeption, einschließlich der Einbeziehung der Iberischen Halbinsel in den Sagenkreis des Herakles-Mythos, entstammt dem 7./​6. Jh. v. Chr., der ersten großen Phase griechischen Ausschwärmens nach Westen, wobei nicht auszuschließen ist, dass bestimmte Informationen schon früher aus phoinikischen Quellen nach Ionien gelangt waren. Die archäologische Forschung hat besonders im Raum Huelva ein starkes Anwachsen griechischer Importe aus dem 6. Jh. v. Chr. verzeichnen können (Domínguez Monedero – Sánchez Fernández 2001), was allerdings nicht automatisch auf die Präsenz griechischer Händler weist, da die Phoiniker selbst alles im Sortiment hatten, was im Ostmittelmeerraum produziert wurde, aber gelegentliche Begegnungen mit solchen nahelegt. Dass die Griechen, die aus verschiedenen Räumen und unterschiedlichen Dialektzonen stammten, in trt/​Tarschisch auf einen Markt mit „orientalisierenden“ Tendenzen trafen, ist eindeutig, wird aber bezeichnenderweise nirgendwo vermerkt. Dabei ist keineswegs zu unterstellen, dass die in späterer Zeit historisch bedeutenden Rivalitäten schon jetzt eine Rolle gespielt hätten. Sprechend ist allerdings die Tatsache, dass es im „tartessischen“ Raum keine nachhaltige griechische Kolonisation gab: Bis in römische Zeit bleibt der Küstensaum zwischen Huelva und dem terminus Tartesiorum, wie in der Ora maritima des Avienus die Nordost-Grenze von Tarschisch bezeichnet wird, von phoinikisch-punisch-karthagischen Siedlungen dominiert.

      Zum veritablen Mythos wurde „Tartessos“ durch eine Monografie des Erlanger Althistorikers Adolf Schulten, zuerst 1921 erschienen und vielfach übersetzt sowie nachgedruckt. Dieser Gelehrte, der wie mancher Deutsche vor und nach ihm zeitlebens der Iberischen Halbinsel verfallen war, hatte mit kaiserlicher Unterstützung im Raum Numantia gegraben, unter anderem über den lusitanischen Nationalhelden Viriatus und den vermeintlichen römischen Hispanienfreund Sertorius gearbeitet, ferner die erste Landeskunde des antiken Hispanien verfasst sowie, zusammen mit Robert Grosse, die Fontes Hispaniae Antiquae (FHA) als erste Sammlung hispanienbezogener antiker Schriftquellen geschaffen. Dies war nach Emil Hübners Sammlung der iberischen (MLI) und der lateinischen Inschriften Hispaniens (CIL II) die dritte deutsche Großtat zum Nutzen der althistorischen Forschung auf der Halbinsel, die es de facto bis in die 1930er-Jahre noch gar nicht gab.

      Schulten, in Deutschland wenig beachtet und zeitlebens dem Wilhelminismus verhaftet, ehrgeizig, eitel und von der Zustimmung so vieler Spanier gewaltig ‚erhoben’, gab dem durch den Schock der militärischen Niederlage gegen die USA von 1898 und den daraus resultierenden Verlust des Kolonialreiches tief verunsicherten Land etwas von seinem ehemals stolzen Selbstbewusstsein zurück. Als er schließlich mit „Tartessos“ ein aus Elementen des platonischen Atlantismythos, der herodoteischen „emporion Tartessos“ cum „Arganthonios“-Erzählung, der Mythografie des Iustinus, dem unendlichen Mineralreichtum des Landes und den in der Tat erstaunlich qualitätvoll-exotischen frühen Fundmaterialien nicht ohne pathetische Fantasie und suggestives Geschick sein Tartessos-Märchen kompilierte, legte er den Grundstein zu jener Projektion von einem protohistorischen „tartessischen Großreich“ auf vergleichsweise hohem zivilisatorischen

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