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Katharina Rutschky,66 greift gewollt oder ungewollt auf die Überzeugungen der Frauen und Männer zurück, die 1949 verständnislos den Thesen Beauvoirs gegenüberstanden, und verweist die Frauen an den angestammten Platz der Hüterin des Feuers und der Gebärerin. Der Antifeminismus ist »in«. Ich denke allerdings, dass wir nicht alle Kritik am – wie Katharina Rutschky absichtsvoll sagt – »real existierenden Feminismus« reflexartig und unbesehen zurückweisen sollten. Ein Vergleich etwa mit Frankreich zeigt, dass bei uns der Feminismus wesentlich stärker institutionalisiert ist,67 aber ist er darum auch wirkungsvoller? Die Feministinnen sind in Frankreich eine echte politische Kraft, mit der der Staat rechnen muss, ohne qua Amt dazu verpflichtet zu sein.68 Ich habe manchmal den Eindruck, dass es bei uns eher umgekehrt ist. Wir haben Frauenbeauftragte und Frauenforschungsprofessuren
en masse, aber die politischen Impulse, die in Frankreich von den Frauen ausgehen, spüre ich in Deutschland sehr wenig. Wir müssen uns wohl wirklich davor hüten, dass feministische Veranstaltungen unserer narzisstischen Selbstinszenierung dienen und dass der Feminismus völlig zum reinen Stellenbeschaffungsprogramm und zur akademischen Profilierungsnische degeneriert, die er de facto vielfach ist. Bei manchen Feministinnen klaffen öffentlich proklamierter Anspruch da, wo es nichts kostet und vielmehr Anerkennung und womöglich Geld einbringt, und konkretes Engagement vor Ort da, wo es persönliche Unannehmlichkeiten mit Kollegen nach sich ziehen könnte, stark auseinander.69 Überhaupt scheint die Engagement-These Beauvoirs und Sartres – nicht zu reagieren, ist auch eine Reak- tion, denn man stützt durch Passivität immer diejenigen, die die Macht haben – aus der Mode gekommen zu sein. »Gottseidank«, schrieb mir vor einiger Zeit eine Feministin, als ich ihr von bestimmten Machenschaften berichtete, von Betrug und Vetternwirtschaft, »Gottseidank bin ich nicht zum Mit- oder Gegenpokern gezwungen«. Das heißt: Die Zuschauerposition ist legitim. Wenn es dem »real existierenden Feminismus« nicht so gehen soll wie dem real existierenden Sozialismus, der in Bürokratie erstarrte, dann müssen die Feministinnen eine Phase der Selbstkritik einlegen, um sich von innen zu erneuern.70 Denn solange Männerbünde existieren, die verhindern, dass »gebildete Idiotinnen« ihre Louis XV-Absätze in Terrain bohren, das sie nach wie vor als ihr Jagdgebiet betrachten, ist die Forderung nach Gleichberechtigung weit davon entfernt, überflüssig zu werden.
Bibliografie
Audry, Colette. 1949. »Presseschau«. In: Combat, 22. Dezember.
Beauvoir, Simone de, 1949. Le Deuxième Sexe, I: Les faits et les mythes. II: L’expérience vécue. Paris, Gallimard (dt. Das andere Geschlecht. 1951, Neuübersetzung 1992. Reinbek, Rowohlt).
Beauvoir, Simone de. 1963. La Force des choses. Paris, Gallimard, Bd. I, »Folio«.
Beauvoir, Simone de. 1998. A Transatlantic Love Affair. Letters to Nelson Algren. Compiled and annotated by Sylvie Le Bon de Beauvoir. New York, The New Press.
Gerhard, Ute. 1999. Atempause. Feminismus als demokratisches Projekt. Frankfurt/M., Fischer taschenbuch.
Mauriac, François. 1989. Nouvelles lettres d’une vie. 1906 – 1970. Paris, Grasset.
Mauriac, François. 1993. Bloc-Notes. Bd. 3: 1961 – 1964. Paris, Le Seuil.
Rousseau, Renée. 1983. Les femmes rouges. Chronique des années Vermeersch. Paris, Albin Michel.
Rutschky, Katharina. 1999. Emma und ihre Schwestern. Ausflüge in den real existierenden Feminismus. München, Hanser.
Erschienen in Das Argument Nr. 235 (2000)