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abschloss.

      Nachdem er bei seinem Großvater, dem berühmten Komponisten Ernó´ von Dohnányi, eine einjährige Fortbildung absolviert hatte, traf er 1952 auf Georg Solti, der sich gerade anschickte, die Leitung der Frankfurter Oper zu übernehmen. Von seinem jungen Kollegen offensichtlich angetan, engagierte ihn der ungarische Maestro als Korrepetitor und Dritten Kapellmeister. In Frankfurt sollte Dohnányi von seinem anspruchsvollen Mentor jede Unterstützung erfahren. Sogar ein selbst komponiertes Ballett durfte er in Frankfurt uraufführen. Ansonsten lagen seine Aufgaben auf dem Gebiet der zeitgenössischen Musik und der Operette. Dohnányi wusste seine Chance zu nutzen und lernte viel von Solti, den er damals als „Idol“ ansah und bis heute als „wunderbaren Chef“ bezeichnet.

      Nach seiner Lehrzeit am Main wurde er 1957 als jüngster Generalmusikdirektor Deutschlands nach Lübeck berufen. 1963 wechselte er an das Staatstheater Kassel und schon ein Jahr später übernahm er darüber hinaus noch die Leitung des Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchesters, wodurch ihm endlich ein breiteres Podium geboten wurde, sodass er seine Stellung in Kassel nach drei Jahren wieder aufgab. Mit den Städtischen Bühnen Frankfurt wurde Dohnányi 1968 erstmals mit der musikalischen Leitung eines großen Opernhauses betraut. Doch damit nicht genug: Vier Jahre später übernahm er dort zusätzlich noch die Intendanz, was er rückblickend als seine „schönste Zeit“ bezeichnet. Das verwundert nicht, konnte der nunmehrige Intendant im Sog der grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen doch das Wagnis eingehen, völlig neue Konzepte zu verwirklichen. Schließlich war das Frankfurt dieser Tage eines der Epizentren des kulturellen Wandels, von dem Deutschland gerade erschüttert wurde. Zudem stand Dohnányi mit dem damaligen Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann und dem Assistenten Gerard Mortier ein streitlustiges Team zur Seite. Junge und experimentierfreudige Regisseure, wie etwa Peter Mussbach, Volker Schlöndorff oder Hans Neuenfels wurden engagiert, zwei Opern, Fidelio und Figaro, inszenierte Dohnányi sogar selbst. Das Opernhaus Frankfurt war unter seiner Leitung zu einem der Hauptzentren progressiver Opernaufführungen geworden. Dennoch verließ er 1977 die Stadt am Main, zu sehr nahmen ihn unterdessen seine internationalen Verpflichtungen in Anspruch.

      Doch 1978 konnte er der Versuchung nicht widerstehen, die Intendanz und die Position des Chefdirigenten an der Hamburgischen Staatsoper zu übernehmen. Wie einst in Frankfurt band er junge Regisseure wie Jürgen Flimm und Luc Bondy an sein Haus, mit dem erklärten Ziel, durch progressive Aufführungen auch im Repertoirebetrieb höchstmögliche Qualität zu garantieren. Ungeachtet einiger szenischer und musikalischer Glanzpunkte war die Euphorie des Aufbruchs der „68er“ inzwischen den nüchternen Kalkulationen einer wirtschaftlich schwereren Zeit gewichen. Als weiterer Wermutstropfen kamen größere Schwierigkeiten mit dem Orchester hinzu, was Dohnányi in seiner Doppelfunktion zusätzlich belastete.

      In dieser unerfreulichen Situation wurde ihm ein Angebot unterbreitet, das er nicht ablehnen konnte. Als Nachfolger Lorin Maazels wurde er 1982 zum „Music Director Designate“ und 1984 zum Musikdirektor des Cleveland Orchestra ernannt, bei dem er erst 1981 debütiert hatte. Bei diesem profilierten Klangkörper der Neuen Welt, wo er „die vielleicht glücklichste Zeit in seinem Leben“ verbracht hatte, blieb er bis 2002, wobei er 1997 wieder einen Brückenschlag nach Europa vornahm, als er die Stellung des Chefdirigenten beim legendären Philharmonia Orchestra London antrat, von dem er sich als Ehrendirigent nach elf Jahren wieder verabschiedete. In den Jahren von 2004 bis 2011 übernahm der Unermüdliche darüber hinaus die Leitung des NDR-Sinfonieorchesters in Hamburg, was er gleichsam als seinen persönlichen Beitrag zur „einmaligen deutschen Kulturlandschaft“ verstand, für die er eine große Verantwortung empfindet: „Wenn wir hier versagen und den Abbau, der überall stattfindet, mitmachen, ist dies ein schuldhaftes Verhalten diesem Land gegenüber“, begründete er diesen Schritt in einem Radiointerview mit seinem neuen Arbeitgeber. Da sich unter seinen Orchestern lange Zeit kein Opernorchester befand, legte Dohnányi stets großen Wert darauf, regelmäßig an den Zentren des Musikdramas in London, Paris und Zürich präsent zu sein. Was kein Wunder ist, empfand Dohnányi doch immer eine große Affinität zur Oper.

      Neben zahlreichen Aufführungen bei den Salzburger Festspielen, am Opernhaus Zürich und in Wien, wo er 1992/1993 an der Staatsoper etwa den gesamten Ring des Nibelungen aufführte, umfasst seine umfangreiche Diskografie zahlreiche Einspielungen der verschiedensten Bühnenwerke. Mit den Wiener Philharmonikern nahm er etwa Wozzeck, Lulu, Fidelio,

      Der fliegende Holländer und Salome auf, mit dem Cleveland Orchestra, als dessen Ehrendirigent er fungiert, Das Rheingold und Die Walküre. Selbstverständlich für einen Dirigenten seines Rufs hat er auch sämtliche Symphonien von Beethoven, Brahms und Schumann sowie zahlreiche andere Werke des symphonischen Repertoires eingespielt.

      Christoph von Dohnányi ist auch heute noch keineswegs von Altersweisheit beseelt, noch immer gleicht er dank seines messerscharfen Verstands zuweilen einem Agent Provocateur, etwa wenn er sich so explizit wie kaum ein anderer über die Originalklangbewegung auslässt. Obgleich er einräumt, einiges durch die historische Spielpraxis gelernt zu haben, glaubt er, dass diese Rückbesinnung auch zum Teil einem „Marktlücken“-Denken entspringt.

      Und in seiner Begründung dafür blitzt in einem Interview mit Joachim Reiber wieder der „Bilderstürmer“ aus Frankfurter Zeiten in ihm auf: „Retrospektive kann nur interessant sein im Sinne der Gegenwart … Wenn man aus Geschichte lernen kann für heute – ja. Aber Geschichte wiederherstellen – nein!“

      Doch auch bezüglich der modernen Musik hat er Unerwartetes zu vermelden. Obwohl er, durchaus berechtigt, als analytischer Vertreter seiner Zunft gilt und ihm dadurch auch der Ruf eines Dirigenten der Moderne vorauseilt, ist er unterdessen der Meinung, dass nach dem Zweiten Weltkrieg „nur sehr weniges geschrieben worden“ ist, wovon er glaubt, „dass es einen wirklich großen Bestandsfaktor beinhaltet, aber da kann man sich sehr irren“, wie er gegenüber Dieter David Scholz sagte. Dennoch ist er der Meinung, dass „heute … leider sehr wenig komponiert [wird], und noch weniger Großes“.

      Anlässlich seines 85. Geburtstages antwortete er in einem Interview mit der „Presse“ auf die Frage, ob er seinen Beruf als „Altersjob“ empfände: „Wenn ich nicht immer wieder etwas Neues in der Musik entdeckte, würde ich nicht mehr dirigieren, dann hätte ich Besseres zu tun.“

      FRAGEN AN CHRISTOPH VON DOHNÁNYI

       Wenn Sie die Möglichkeit hätten, mit irgendeinem Komponisten, ob tot oder lebendig, einen Abend zu verbringen, mit wem wollten Sie sich treffen und was würden Sie ihn fragen?

      Bach, um ihm dieselbe Frage zu stellen.

       In welcher Zeit hätten Sie als Komponist am liebsten gelebt?

      Ich kenne, oder glaube, sie ein bisschen zu kennen: in unserer Zeit.

       Auf der Bühne entfernt man sich immer mehr vom Urtext, während man sich im Orchestergraben diesem immer mehr nähert. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

      „Urtext“ – meist doch nur Wörter oder Notenköpfe. Zwischen den Zeilen findet man den „Urtext“.

       Seit dem 20. Jahrhundert besteht das Konzertprogramm zu 90 Prozent aus Musik schon längst verstorbener Komponisten. Worin liegt Ihrer Meinung nach die Begründung dafür?

      Erstens stimmt das nur regional und zweitens: Geschäft, Geschäft, Geschäft …!

       Es gibt immer mehr sehr gute Orchester und immer weniger herausragende Dirigenten. Woran liegt das?

      Persönlichkeit ist die Sache.

       Welche gesellschaftliche Aufgabe hat die Musik in der heutigen Zeit?

      Die, die sie wohl immer hatte. Primär Unterhaltung, für wenige etwas anderes.

       Wären Sie kein Dirigent geworden, welchen Beruf hätten Sie ergriffen?

      Wenn man in einer Partnerschaft glücklich

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