Скачать книгу

an den größten Opernhäusern der Welt.

      Natürlich hat Bertrand de Billy sein Können auch schon mehrfach auf Tonträgern dokumentiert. Mit einigen seiner Projekte ist er sogar in das ureigenste Gebiet der Konkurrenz von der Staatsoper eingedrungen, indem er neben Eugen d’Alberts Tiefland mit einem jungen Sängerensemble auch sämtliche Da-Ponte-Opern von Mozart auf CD eingespielt hat.

      Trotz aller Erfolge hält de Billy immer wieder an seinem Grundsatz fest, keine künstlerischen Kompromisse einzugehen, selbst wenn es seiner Karriere nicht förderlich ist. Diese Erfahrung musste schon Daniel Barenboim machen, als der Franzose im Jahre 2007 die Premiere von Jules Massenets Manon an der Berliner Staatsoper absagte, weil mit ihm nicht abgesprochene Kürzungen in der Partitur gemacht werden sollten. Aus demselben Grund legte er im Jahre 2014 die geplante Premiere von Lohengrin an der Wiener Staatsoper zurück, was sogar so weit führte, dass er unter der derzeitigen Direktion nicht mehr an diesem Haus auftreten will.

      Eine solche Kompromisslosigkeit ist eben auch ein Charakteristikum eines großen Dirigenten.

      FRAGEN AN BERTRAND DE BILLY

       Wenn Sie die Möglichkeit hätten, mit irgendeinem Komponisten, ob tot oder lebendig, einen Abend zu verbringen, mit wem wollten Sie sich treffen und was würden Sie ihn fragen?

      Sicher nicht Monteverdi, Bach oder Mozart, obwohl ich diese drei am meisten verehre. Aber die waren nicht von dieser Welt. Ohnehin glaube ich nicht, dass es einen großen Sinn hat, mit einem Komponisten über sein Werk zu sprechen, da er üblicherweise nicht viel darüber zu sagen hat. Als ich Henri Dutilleux getroffen habe, haben wir fast überhaupt nicht von seiner Musik gesprochen, sondern über so viele andere interessante Themen – das war wunderbar.

      Am liebsten würde ich mit Berlioz zusammentreffen, weil er so eine umfassende Bildung besaß, und einfach mit ihm plaudern.

       In welcher Zeit hätten Sie als Komponist am liebsten gelebt?

      Sicherlich nicht heute, in der Zeit der verkrampften Suche nach neuen Klangeffekten. Wahrscheinlich in der Zeit von Brahms, Bruckner und Mahler, als die Formen sich völlig aufgelöst haben und so viele neue Richtungen entstanden sind.

       Auf der Bühne entfernt man sich immer mehr vom Urtext, während man sich im Orchestergraben diesem immer mehr nähert. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

      Vor einiger Zeit ist die sogenannte „Wiener Fassung“ von Mozarts Don Giovanni herausgekommen. Die Kürzungen, die bei der damaligen Aufführung gemacht wurden, habe ich zwar sofort umgesetzt, doch teilweise wieder rückgängig gemacht, weil Mozart sie offensichtlich nur aus pragmatischen Gründen, etwa wegen einer schlechten Besetzung oder auch wegen der Zensur, gemacht hat. Meine Antwort lautet also: Ja zum Urtext, aber im Endeffekt muss der Dirigent entscheiden dürfen, was er umsetzt. Bei der Regie ist es ganz ähnlich. Solange die Regie die Musik nicht stört, ist alles möglich. Ich habe in Barcelona Don Giovanni mit Calixto Bieito gemacht. Obwohl es fürchterlich brutal war, hat es mich überzeugt. Ein Grundproblem von vielen heutigen Regisseuren liegt allerdings darin, dass sie überhaupt keine Kenntnis mehr von der Musik und dem Libretto haben, und mit denen lehne ich eine Zusammenarbeit ab.

       Seit dem 20. Jahrhundert besteht das Konzertprogramm zu 90 Prozent aus Musik schon längst verstorbener Komponisten. Worin liegt Ihrer Meinung nach die Begründung dafür?

      In erster Linie tragen wir daran die Schuld. Die wenigsten Dirigenten sind dazu bereit, ein neues Stück zu lernen. Und wie sollen wir das Publikum von der Qualität eines Stückes überzeugen, wenn wir es selbst nicht wollen. Es ist unsere Aufgabe UND PFLICHT als Dirigent, den Veranstaltern, den Musikern und dem Publikum zu zeigen, dass es auch gute zeitgenössische Musik gibt. Und das erfordert viel Mühe. Dabei ist die Angst vor der neuen Musik nicht angeboren. Als meine Frau „Donna Elvira“, Schönbergs Erwartung und Bergs Wozzeck gesungen hat, sang meine siebenjährige Tochter in der Badewanne alle drei Stücke mit der gleichen Begeisterung.

       Es gibt immer mehr sehr gute Orchester und immer weniger herausragende Dirigenten. Woran liegt das?

      Man braucht als Dirigent nicht gut zu sein, man muss nur besser sein als die anderen, was allerdings nicht unbedingt bedeutet, dass man gut ist. Einmal saß ich beim Dirigentenabschlusskonzert an der Wiener Musikuniversität – da war niemand, der einmal ein guter Dirigent werden wird! Niemand scheint mehr neugierig zu sein. Ich habe mit den jungen Leuten über die „Erste“ von Mahler geredet und nicht einer kannte die Aufnahme von Bruno Walter, der schließlich noch mit Mahler zusammengearbeitet hatte. Die Studenten hätten in Wien die Möglichkeit, alle großen Dirigenten bei der Probe zu erleben und mit ihnen zu sprechen, doch niemand geht hin. Das ist jedoch nicht nur in Wien so. Als ich vor 20 Jahren Georges Prêtre zum ersten Mal wegen einer Neueinstudierung der Perlenfischer traf, sagte er mir, dass ich der erste Student sei, der sich jemals bei ihm gemeldet hat.

      Allerdings muss man auch sagen, dass mit Ausnahme von Daniel Barenboim die wenigsten Dirigenten ihre Verpflichtung erkennen, ihre Erfahrungen an die jungen Kollegen weiterzugeben.

       Welche gesellschaftliche Aufgabe hat die Musik in der heutigen Zeit?

      Das Ziel eines Konzerts sollte darin bestehen, im Publikum ein positives Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen, das die Menschen einander näherbringt.

       Wären Sie kein Dirigent geworden, welchen Beruf hätten Sie ergriffen?

      Entwicklungshelfer.

       Welcher Dirigent ist Ihr Vorbild und warum?

      Daniel Barenboim, weil er nicht nur ein großer Musiker, sondern auch ein großer Geist ist. Toscanini wegen seiner Energie und rhythmischen Präsenz. Ebenso Fritz Reiner und Erich Kleiber, dessen Mozartaufnahmen auch heute noch ihre Gültigkeit haben. Der Grandseigneur Bruno Walter, weil man seine natürliche Autorität, die aus Wissen und Können resultierte, noch heute in seinen Aufnahmen spüren kann. Und so viele andere wie Klemperer, Mitropoulos, George Szell, Pierre Monteux, Charles Munch, Istvan Kertesz …

       Was war Ihr bewegendstes Musikerlebnis?

      Bachs h-Moll-Messe unter Carlo Maria Giulini in Paris. Er hat uns alle zwei Stunden lang in den Himmel geführt.

       Womit verbringen Sie am liebsten Ihre Freizeit?

      Mit meiner Familie.

       Was hören Sie in Ihrer Freizeit?

      Sehr viel Jazz und sicher niemals meine CDs! Zur Entspannung auch Gregorianik.

      Wenn ich etwas Neues einstudiere, höre ich mir nach dem Studium sehr viele Aufnahmen davon an, aber im Moment gibt es keine Freizeit mehr.

       Sind Interpretationsschemata dem Zeitgeist unterworfen?

      Ja. Alles ist, sofern es überzeugend dargebracht wird, legitim, schließlich lebt man auch als Dirigent in seiner Zeit und wandelt sich zusammen mit ihr.

       Welche Art von wissenschaftlicher Forschung würden Sie unterstützen?

      Die Forschung nach alternativer Energie.

       Würden Sie noch einmal geboren, was würden Sie anders machen?

      (lacht) Nicht zunehmen! Mehr auf den Ausgleich zwischen Körper und Geist achten.

       Welche drei Dinge würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen?

      Meine Familie, Der kleine Prinz von Saint-Exupéry und eine Flasche Dom Pérignon 1996.

       Welches Motto steht über Ihrem Leben?

      Ernst bei der Sache, nicht allzu ernst bei sich selbst.

Скачать книгу