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nur im Fluss etwas frisch machen, dann kannst du mit mir zusammen Essen. Ich habe einen Bärenhunger.“

      Thurid war ganz verdutzt, glaubte sie doch, dass sie sich gut versteckt hatte und auch still wie ein Mäuschen gewesen war.

      Sie stand auf und lächelte verlegen. „Guten Morgen, Andreas. Ich, ich, … ich mache das eigentlich nie, andere Leute so zu beobachten. Entschuldige, aber der Morgen war schon sehr merkwürdig.“

      „Ist ja schon gut. Ich bin nicht gekränkt, aber was war hier denn merkwürdig?“

      Thurid machte große Augen. „Na du hast doch die Raben gesehen, die auf deinem Dach saßen. Du hast sie ja begrüßt.“

      „Ja, das habe ich. Warte nur einen Moment, ich bin gleich wieder hier.“ Mit schnellen Schritten lief Andreas zum Flüsschen.

      Dort zog er sich nackt aus und tauchte sofort im kalten Wasser unter.

      Der Nebel war inzwischen verflogen und Thurid konnte seinen Körper genau betrachten.

      Thurid zog plötzlich die Unterlippe zwischen ihre Zähne und biss drauf; dort wusch sich ein Krieger, der sehr viele Kämpfe durchgestanden hatte. Thurid sah, dass bei Andreas kaum ein Körperteil ohne Narben war.

      In ihrem Hals stieg etwas hoch; Mitgefühl, Ehrfurcht und auch die Frage: „Wie kann man nach so vielen Kämpfen, bei so tiefem Leid, dass sie ihm gespürt hatte, noch so lächeln und solch eine Güte ausstrahlen?“

      Thurid wusste, dieser Mann ist kein Blender. Seine Bescheidenheit und seine Güte waren wahrhaftig.

      Sie stand noch immer an dem kleinen Zaun und sah, wie Andreas das kühle Wasser sichtlich genoss, da kam ihr eine Blitzidee, und schon sauste sie los. Es waren ja nur wenige Schritte mit ihrem Sprint.

      Obwohl die Sonne schon richtig schien, umfing sie in der Hütte wieder das übliche Halbdunkel und die Stimmer der Mutter: „Thurid, was heckst du grade wieder aus? Erst schleichst du dich wie eine Katze aus dem Haus und nun kommst du wie Wolf zurück gerannt?“

      „Ach Mama, ich mache doch nichts Böses, aber es ist mir wichtig. Ich brauche ganz schnell etwas zum Essen“, und schon begann Thurid in den Vorräten nachzuschauen.

      „Ganz sicher ist es dieser Andreas, für den du etwas zum Essen suchst. Ich habe ja mitbekommen, wie du ihn angeschaut hast, wie du um ihn herumschleichst. Na ja, er scheint ein guter Mensch zu sein, denke ich mal. Seine Augen strahlen Güte aus. In dem Korb dort, liegt noch etwas von dem gestrigen Schweinebraten, nimm davon mit und guten Appetit, euch beiden.“

      „Danke, Mama.“ Schnell war der Braten eingepackt und noch zwei Eier, etwas Brot und ein Krug mit verdünntem Apfelwein.

      Thurid sauste wieder zurück und kam genau in dem Moment an, als Andreas vor seiner Hütte anlangte. Nun sah Thurid ganz deutlich die Spuren der vielen Kämpfe, die Andreas ausgefochten hatte.

      „Warum hat er so viel gekämpft?“, ging es ihr im Kopf herum.

      Andreas sah ihre Blicke, lächelte etwas verlegen und legte ihr dann einen Arm um die Schulter. „Nach und nach werde ich dir alles erzählen, weil ich glaube“, … Da brach der mitten im Satz ab und schaute Thurid direkt in die Augen, dass ihr ganz komisch wurde.

      Sie spürte so etwas wie ein Tasten seines Geistes, etwa so, als wenn sie einen anderen Menschen mit ihrem besonderen Sinn ergründen wollte.

      „Je öfter ich dir in die Augen schaue und höre, was du sagst und sehe, wie schnell du reagierst, je mehr glaube ich wirklich, dass ich hier ganz richtig angekommen bin. Da ist doch Essen in deinem Korb, oder irre ich mich?“

      „Nein, du irrst nicht. Du hast ja vorhin gesagt, dass du einen Bärenhunger hast und da wir Nachbarn sind und du noch nicht so viel in deiner Hütte hast, möchte ich dir etwas abgeben. Na ja und ganz viel fragen möchte ich dich auch.“

      Das Letzte kam nur aus ihr heraus, weil sie sah, wie Andreas Augenbrauen hoch gingen und er sie eindringlich ansah.

      „Komm rein und lass uns zusammen essen. Mal sehen was du da mitgebracht hast. Ganz arm bin ich ja nicht, denn vom gestrigen Fest habe ich auch einige Reste mitnehmen dürfen. Komm rein, ich bin auch schon ganz auf dich gespannt“ – und Andreas schob Thurid mit sanftem Druck in seine Essecke, wo zwei Schemel standen. Zusammen mit dem, was Andreas noch auf den Tisch stellte, war es ein üppiges Mahl und beide langten kräftig zu.

      Als sie mit dem Essen fertig waren und Andreas den Becher Apfelwein sichtlich genossen hatte, schaute er Thurid wieder wie vorhin in die Augen und sagte: „Ich ahne ja, was du hören willst, und ich will dir auch von mir erzählen.“

      Er erzählte so viel, dass es in Thurid Kopf zu schwirren begann: Aufgewachsen im Frankenland, an einem schönen Fluss, mit Namen Rein.

       Sie waren drei Brüder. Der ältere erbte das Land und die vielen Leibeigenen.

      Thurid überlegte: „Was waren denn Leibeigene?“

       Er und sein jüngerer Bruder Martin mussten ins Kloster gehen, wurden Mönche und schließlich Ritter des Ordens. Sie kämpften mit dem Schwert für ihren Glauben, aber Andreas merkte irgendwann, dass an ihrem Kampf etwas oberfaul war.

       Sie missionierten die Menschen mit dem Schwert; wer sich nicht beugte, nicht taufen ließ – Kopf ab.

       Ein kleines Kind, das ihn mit großen Angst erfüllten Augen ansah und fragte: „Warum macht ihr das? Hat dir dein Gott gesagt, dass du meinen Vater töten sollst?“, brachte ihn letztendlich zum Nachdenken.

       Martin blieb bei dem Orden, weil er sich seinem Eid mehr verpflichte fühlte, als seinem Gewissen.

       Aber der Eid war falsch, denn nirgendwo in der Bibel befiehlt Gott die Andersgläubigen zu töten und ihren Besitz zu rauben.

       Er wollte nicht mehr töten, aber vor allem nicht mehr in die Augen dieser Menschen sehen, die sie „tauften“ sollten.

      Thurid rief plötzlich: „Andreas halt ein, das verstehe ich alles nicht. Mir schwirrt ja schon der Kopf. Ich weiß nicht, was das für ein Fluss ist, dieser Rhein. Was ist die Bibel, oder das Taufen?“

      Andreas lächelte. „Ich denke, wir werden noch viel Zeit miteinander verbringen und ich werde alle deine Fragen beantworten.“

      Nach einer kleinen Pause, in der er Thurid intensiv in die Augen schaute, fuhr er fort: „Lass es mich kurz zu Ende bringen, dann kannst du mich alles fragen.

      Ich verließ also diese Truppe. Ich desertierte und wenn sie mich erwischt hätten, würden sie mich aufgehängt haben. Mir blieb bloß eine Weg offen, nach Norden, ins Land der Barbaren oder Heiden, wie sie euch oft nannten. Dann landetet ich irgendwann in Haithabu und lernte deinen Vater kennen. Ich habe selten einen so großzügigen und freundlichen Händler gesehen. Wir tranken manchen Becher von eurem köstlichen Apfelwein und aus Ernirs Erzählungen wusste ich, wie ihr hier lebt und in mir wuchs der Wunsch, hier bei euch leben zu dürfen. Mit diesen Gedanken im Kopf, trieb ich mich mehrere Monate in der Nähe von Haithabu herum, beschützte Händler und buckelte auch ihre Waren im Hafen. Dann, vor etwa einem Monat, traf ich deinen Vater ein zweites Mal und auch deinen Bruder, Falki. Er ist ein ganz toller Junge und beide haben mir von dir erzählt. Aber ich kannte auch andere Leute aus eurem Volk, Dänen und Schweden. Die auf Wikingfahrten waren, die mit dem Wort Odin auf ihren Lippen anderen Menschen Verderben brachten, sie ausraubten und selber in den Tod rannten. Ich weiß aber auch soviel von ihnen, dass es nicht der Glaube war, der sie zu solchen Fahrten antrieb, sondern Abenteuerlust und die Gier nach Reichtum und Ruhm. Überall in der Welt läuft es nach den gleichen Gesetzen ab; die Reichsten sind die Mächtigsten und befehlen dem Volk für sie zu morden, damit sie noch mächtiger und noch reicher werden. Ich wollte und konnte das nicht mehr mitmachen. Der Glaube war für die, die uns befohlen haben, immer nur ein Vorwand, denn sie kannten niemals Gnade oder wirkliches Mitgefühl für den Nächsten. Ihr hier in Björkendal und noch einige andere, abgelegene Dörfer, ihr seid wohl die einzigen Menschen, die

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