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wo sie der Reiseleiter auf dieses Manko aufmerksam gemacht hatte. Trotzdem hatte sie mit ihren Reisebegleiterinnen im Hotel einen Kaffee bestellt und tatsächlich bekamen sie etwas, das wie Kaffee aussah, aber unbeschreiblich schmeckte; sie hatten es stehen lassen. Inzwischen war aus der Sowjetunion wieder Russland geworden, mit einigen Randstaaten ringsum und aus Leningrad Sankt Petersburg. Aber Jelzin, den sie erst mit Sympathie betrachtet hatte, weil er so männlich wirkte, brachte noch nicht einmal genug Brot auf den Tisch, geschweige denn Kaffee. Kein Kaffee, man sah ja, wo das hinführte.

      Sogar die DDR hatte auf den Kaffee nicht verzichten können. Das waren zwar die billigsten Bohnen, die auf dem Weltmarkt zu bekommen waren, aber es war wenigstens Kaffee, für acht Mark das Viertel. Gegen Jakobs Krönung kam er natürlich nicht auf, das sah man an den verklärten Gesichtern in der Werbung, die Hertha regelmäßig sah, obwohl sie gleichzeitig schimpfte: „Die Werbeleute müssen die Zuschauer reinweg für beschränkt halten.“

      So um die Weihnachtszeit herum hatte sie von ihrer Cousine aus Hannover immer ein Päckchen mit Kaffee, Schokolade, Bonbons und Gebäck bekommen, was sie aber, abgesehen vom Kaffee, nie für sich behielt.

      Und dann geschah etwas, das Hertha tatsächlich in die Lage versetzt hatte, aus dem Kaffeesatz den Untergang der DDR vorauszusagen. Das war kein gewöhnlicher Kaffeesatz gewesen, sondern der Bodensatz einer neuen Kaffeemischung, die aus 10 Prozent Bohnenkaffee und 90 Prozent Malzkaffee bestand. Gut fürs Herz, behauptete die Parteiführung, die es leid war, wertvolle Devisen für Kaffee auszugeben.

      „Das ist der Anfang vom Ende“, hatte Hertha entrüstet gesagt, die einen Beutel für zwei Mark gekauft hatte, um ihn dann als ungenießbar in den Müll zu werfen, so sparsam sie auch sonst war. Das war Protest und das Ende nicht mehr weit. Die Führung hatte zwar auf Oma und das Volk gehört und das Gesöff wieder aus dem Verkehr gezogen, was aber den Untergang nicht hatte verhindern können.

      Einmal im Jahr war Oma Hertha zu ihrer Rentnerfahrt in den Westen aufgebrochen. Anfangs hatte sie sich geschämt Geld anzunehmen, aber das kam ja nicht von den Armen, das konnte man sehen. Obwohl sie auch hierin beinahe schwankend geworden wäre, denn bei ihrer ersten Westreise, sie war gerade sechzig geworden, wäre sie mitten auf dem Fußweg beinahe über einen Bettler gestolpert, ein junger Mann! Sie war erschrocken, dass man so etwas duldete. In der DDR wäre der Mann glatt verhaftet und in eine Gleisbaubrigade gesteckt worden.

      Trotz aller Kaffeephilosophie hatte sie durchaus auch ein kritisches Verhältnis zu dem anderen Staat. Vor allem seit dem Tag, als sie der Einfachheit halber nicht nach Hannover zu ihrer Cousine, sondern nach Westberlin gefahren war. Als sie dort in einen Omnibus stieg, erstarrte sie, da waren Hakenkreuze auf die Lehnen geschmiert und an der Rückseite las sie: Deutschland den Deutschen. Hertha lief ohne zu zögern durch den fast leeren Bus und sagte zum Fahrer: „Wissen Sie eigentlich, was Sie für Schmierereien in ihrem Bus spazieren fahren? Sie müssen sofort ins Depot, damit das entfernt wird.“

      Der Fahrer war verdutzt, bisher hatte sich noch kein Fahrgast beschwert und er entschuldigte sich im Voraus, sicher wieder eine pornographische Zeichnung, und ging mit nach hinten, dem anklagenden Finger Herthas folgend.

      „Ach so, das da“, sagte er erleichtert, „das finden Sie überall. Sie sind nicht von hier? Na, dann gehen Sie mal durch die S-Bahn-Stationen, da guckt doch keiner mehr hin.“

      „Na, was hast du diesmal auf dem Herzen?“, fragte Conrad seine Schwiegermutter nach der obligatorischen Umarmung, dabei sah er unauffällig auf die Uhr. Schon nach acht, da musste er sie wieder nach Hause fahren. Er war müde.

      „Also Carl, stell Dir vor, Erika will keine Handnähmaschine, dabei passt die in jede Handtasche, für unterwegs, wenn mal was geflickt werden muss. Stattdessen will sie lieber ihr altes Nähetui mitnehmen. Und dann gibt es auch noch ein Kaffeeservice. Doch wenn Erika durchaus nicht will, dann bekommen das die Mädchen. Aber es gibt auch noch eine Armbanduhr im Militarylook, so steht es im Prospekt, und die habe ich dir zugedacht, Carl.“

      „Nein ich habe doch eine Uhr und du weißt auch, dass ich Pazifist bin.“

      „Dann kriege ich die Uhr“, rief der Junge laut dazwischen, „die ist sicher mit Kompass und Höhenmesser!“

      „Na gut“, entschied Oma Hertha, „so ist mir’s auch lieber, da kommt keines eurer Kinder zu kurz und Gerechtigkeit muss schließlich sein, stimmt’s, Carl?“

      „Ja“, entgegnete dieser, „aber du kennst meine Meinung zu den sogenannten Werbeverkaufsfahrten, da werden den Teilnehmern minderwertige Sachen zu überhöhten Preisen aufgeschwatzt, die sie überhaupt nicht brauchen. Ich rate dir, nimm kein Geld mit, sonst wirst du ausgeraubt.“

      „So ein Unsinn, das sind lauter nette Leute“, widersprach Oma Hertha und ließ sich das Abendbrot schmecken. Aber das Thema beschäftigte sie doch noch: „Ich muss schon so ein günstiges Angebot annehmen, für 16 Mark nach Nürnberg, wo doch mein Sparguthaben halbiert worden ist.“ Sie hatte nie verstehen können, dass bei der Währungsunion der größte Teil ihrer Ersparnisse von 20 000 Mark, der Notgroschen für das Alter, halbiert worden waren, obwohl sie ihr ganzes Leben lang gearbeitet hatte, während zum Beispiel bei ihrer Cousine in Hannover viel mehr auf der hohen Kante lag, dabei hatte diese nur aushilfsweise etwas dazu verdient.

      „Dafür sind wir nicht auf die Straße gegangen“, pflegte sie zu sagen und sie meinte ihre Teilnahme an den Montagsdemonstrationen, in die sie aber mehr zufällig geraten war.

      Oma Hertha war „heilig“, wie ihr Schwiegersohn scherzhaft sagte, weil sie regelmäßig die Kirche besuchte. Früher hatte sie sogar versucht, ihn zu bekehren, ihn, einen waschechten Heiden. Dabei war mancher Missklang aufgekommen, denn ihre Tochter hatte sich auch gänzlich von der Kirche abgewandt, weil weder Kirche noch der liebe Gott all das Elend in der Welt abwenden konnten.

      Und doch hatte die Kirche etwas bewirkt: Sie hatte den Bürgerrechtlern ein Dach über dem Kopf gegeben, ob sie nun glaubten oder nicht. Und die Gläubigen waren bei den Demonstrationen in den vordersten Reihen marschiert und sie hatten Kerzen in der Hand getragen. Mit Kerzen hatten sie einen totalitären Staat besiegt, das war einmalig in der Geschichte und Oma Hertha war dabei gewesen. Nicht gleich freilich, da war sie überhaupt nicht in die Kirche hinein gekommen, überfüllt, bereits Stunden vor dem Gottesdienst, wo hatte es so etwas schon gegeben? Ja sie war überhaupt nicht in die Nähe der Kirche gelangt, sie hätte sich durch die Menschenmassen drängen müssen und das wagte sie sich nun doch nicht. Später dann, nach der ersten Euphorie, war wieder Platz für die Gläubigen.

      Oma Hertha war auch überzeugt, dass diese Montagsdemonstrationen nicht zufällig in Leipzig stattgefunden hatten, sondern dass Gott ein Auge auf diese Stadt geworfen habe, wie es der Pfarrer auch in einer Predigt gesagt hatte. Gott musste auch schon früher die Stadt im Blick gehabt haben, denn hier wurde Napoleon besiegt und nun Honecker. Und sie war der Meinung, dass man noch in mehr als hundert Jahren von den Montagsdemonstrationen reden würde, so wie heute noch über die Völkerschlacht von 1813. Und sie war dabei gewesen!

      Auch wenn Conrad manchmal über die Ansichten von Hertha lächeln musste, hier gab er ihr recht.

       7

      Dabei hatte es ausgesehen, als hätte jedwede Macht, die himmlische wie die irdische, ihre Augen von dieser Stadt abgewandt. Wenn ihre Bürger wirklich von allem verlassen waren, so doch nicht von dem Willen nach Veränderung. Wie, das wussten sie selbst nicht. Der letzte Funke für das Feuer vom 9. Oktober wurde vielleicht zwei Tage vorher geschlagen, ausgerechnet am 40. Jahrestag der DDR. Wie in einer Kristallkugel hatten sich da die 40 Jahre gespiegelt.

      Dieser Gedanke hatte sich Conrad am Abend des 7. Oktober aufgedrängt, als er von früh bis spät die Ereignisse mit der Kamera begleitete. Der Morgen hatte mit Heldenverehrung begonnen. 9 Uhr Kranzniederlegung am Antifaschistischen Ehrenhain auf dem Südfriedhof. Eine verordnete Zeremonie, die politische und staatliche Führung war erschienen, alle, die repräsentieren mussten, alle, die gesehen werden wollten, und auch einige, denen es Bedürfnis war, derer zu gedenken, die unter dem Fallbeil gestorben oder erschossen worden waren. Und da lagen auch viele, friedlich

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