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Doch davon wussten ihre Eltern nichts. Für einen Moment lauschte sie wieder den Erzählungen ihrer Mutter und bemühte sich um eine heitere Miene, doch hinter ihrer Stirn tobte ein wahrer Sturm. Was sollte sie nur tun? Sie wusste nun, dass Elric seine Drohung nicht vergessen hatte und sie wusste auch, dass er sehr unbeherrscht sein konnte, wenn er nicht bekam, was er wollte. Um ihre Eltern und sich selbst zu schützen, blieb ihr nur ein Ausweg – sie musste das Dorf verlassen. Nur wie sie das bewerkstelligen sollte, wusste sie noch nicht. Ihr Blick fiel auf das Schwert, das immer noch auf der Sitzbank lag und plötzlich hatte sie die rettende Idee. Sie konnte ihr Verlangen, etwas über sich herauszufinden vorschieben und musste vielleicht gar nichts von Elric erzählen.

      »He Mädchen. Träumst Du?«, wurden ihre Gedanken von der tiefen Stimme ihres Vaters unterbrochen. »Du musst noch die Pferde versorgen, bevor du dich schlafen legst. Ich bin zu müde.« Horace stemmte sich in die Höhe und gähnte ausgiebig.

      »Vater, Mutter …«, begann Emily mit zittriger Stimme. »Hört mich bitte an.«

      Horace setzte sich wieder und schaute seine Tochter erwartungsvoll an. Auch Maude richtete sich ein wenig auf, eine leise ungute Ahnung beschlich sie.

      »Ihr habt immer gut für mich gesorgt und ich glaube ganz fest, dass keine Tochter so sehr von ihren Eltern geliebt wurde wie ich von Euch. Aber ihr habt mir heute etwas gegeben …«, sie nahm das Schwert und legte es vor sich auf den Tisch.

      »Ihr habt mir dieses Schwert gegeben und so schwer es mir auch fallen mag von Euch fortzugehen, glaube ich, ist es an der Zeit und mir kommt das Schwert wie ein Zeichen vor, mich auf die Suche nach meinen Wurzeln zu begeben. Ich will nicht undankbar erscheinen, aber ihr habt immer gewusst, wie wichtig mir das ist zu erfahren, wer ich wirklich bin.« Emily schluckte, hielt ihren Blick starr auf das vor ihr liegende Schwert gerichtet und wartete auf eine Reaktion ihrer Eltern. So entging ihr der Blick, den sich Horace und Maude zuwarfen. Sie hatten damit gerechnet, aber insgeheim gehofft, es würde sich noch hinauszögern. Dass Emily schon bald würde aufbrechen wollen …

      Horace räusperte sich. »Nun Tochter …« Er räusperte sich noch einmal, um den Kloß in seinem Hals loszuwerden. »Deine Mutter und ich haben natürlich schon darüber gesprochen, dass du dich auf die Suche nach deiner Herkunft machen wirst, sobald du irgendeinen Anhaltspunkt für deine Suche bekommst. Das Schwert scheint das für dich zu sein und wir akzeptieren deine Entscheidung, wenn es uns auch sehr, sehr schwer fällt, dich gehen zu lassen …«

      Er verstummte und ergriff die Hand seiner Frau. Maude nickte nur stumm, während ihr die Tränen übers Gesicht liefen. Emily sprang auf und umarmte ihre Eltern verzweifelt. Sie wusste, wie weh sie ihnen tat, aber sie hatte begonnen und musste es nun auch zu Ende führen.

      »Ich habe Euch so lieb«, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme. »Aber ich muss gehen – noch heute.« Sie rannte aus dem Haus und lief in den Stall, um zu tun, was sie tun musste. Sie versorgte den alten Gaul, den sie für die Feldarbeit brauchten und den großen, schwarzen Hengst ihres Vaters mit Heu und frischem Wasser. Ihrer eigenen Stute legte sie nach dem Füttern Zaumzeug an und sattelte sie. So brauchte sie nur noch einmal ins Haus zurück, um ihre Sachen zu holen und konnte dann ohne weitere Verzögerung aufbrechen.

      Tief in ihre Arbeit versunken und sich immer wieder die Tränen abwischend, hört sie das leise Knarren der Stalltüre nicht. Sie schrak erst auf, als ein Schatten über ihre Hände fiel. Hinter ihr stand Horace. Er hielt ihr das Schwert und einen Beutel hin.

      »Hier. Das wirst du brauchen. Deine Mutter und ich dachten uns zwar, dass du uns irgendwann verlassen würdest, aber nicht, dass es so überstürzt sein würde. Auf jeden Fall solltest du nicht ohne vernünftige Kleidung und Proviant gehen. Deshalb hat deine Mutter schnell etwas eingepackt. Es sind auch einige Kräuter dabei. Und das …«, er wühlte ein wenig in dem Beutel herum und zog seinen eigenen Schwertgurt heraus, »… wirst du auch gut gebrauchen können. Wie du mit einem Schwert umzugehen hast, weißt du ja. Deine Mutter kommt nicht, um sich zu verabschieden, denn sie weint zu sehr und sie sagt, du kommst eines Tages wieder zurück. Aber sie gibt dir ihren Segen. Und meinen bekommst du natürlich auch.« Tränen trübten die grauen Augen, die sonst klar unter den dichten Augenbrauen funkelten. »Warum auch immer du nun so plötzlich von uns fort willst, es muss sehr wichtig für dich sein«

      Er nahm die nun heftig schluchzende Emily noch einmal kräftig in die Arme und hob sie dann in den Sattel. »Leb wohl, Kind. Und komm gesund wieder. Das ist alles, was ich von dir verlange.« Horace schlug der Stute auf die Seite und sie jagte mit Emily in die Nacht hinaus.

      Kapitel 2

      Emily ritt, als wenn der Teufel persönlich hinter ihr her wäre. Sie hatte ihr Heimatdorf schon weit hinter sich gelassen, als sie ihre Stute endlich zum Stehen brachte und sich aus dem Sattel gleiten ließ. Auch wenn sie eine gute Reiterin war, so hatten ihre Ausritte doch immer im umliegenden Land ihres Dorfes und vor allem bei Tage stattgefunden. Nun war Emily in einer ihr völlig fremden Gegend und es war tiefste Nacht. Hin und wieder lugte der Mond hinter hoch aufgetürmten Wolken hervor und erhellte für kurze Zeit die Wege, bis er wieder verschwand und dunkle unheimliche Schatten hinterließ. Emily sank am Stamm einer großen Eiche auf den Boden und fragte sich, ob dieser plötzliche Aufbruch wirklich so eine gute Idee gewesen war. Auch wenn ihre Eltern ihre Zustimmung gegeben hatten, wusste sie doch, dass sie sich solange Sorgen machen würden, bis sie wieder heil und gesund nach Hause gekommen war. Und was würden sie denken, wenn Elric morgen bei ihnen auftauchen und nach ihr verlangen würde?

      ›Was mache ich überhaupt hier‹, dachte sie und schluchzte auf. ›Ich bin weit fort von zu Hause‹. Sie schluchzte noch einmal und spürte ein heißes Brennen in ihren Augen.

      »Ich bin ganz allein«, schluchzte sie laut und Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie merkte nicht, wie sich die Rinde des Baumes an den sie sich lehnte, in ihren Rücken drückte, so beschäftigt war sie damit sich selbst zu bemitleiden. Doch im nächsten Moment schreckte sie hoch, denn etwas Großes, Haariges blies ihr seinen warmen Atem ins Gesicht. Ihre Stute stand vor ihr und stupste sie mit ihrem Maul zärtlich an, als wenn sie sagen wollte: »Hey, du bist nicht allein. Ich bin doch da.« Doch das war zuviel für Emily. Sie brach in Tränen aus und umklammerte den Hals ihrer Stute und weinte und weinte und weinte. Als sie sich endlich wieder ein wenig beruhigt hatte, rappelte sich Emily mühsam auf und sattelte ihr Pferd ab. Gemächlich trabte die Stute los und riss gierig Grasbüschel ab. Emily war zu erschöpft, um zu essen und lauschte nur dem Mahlen der kräftigen Zähne. Nach geraumer Zeit ließ sich das Pferd dicht bei Emily nieder und Emily kuschelte sich an den warmen Pferdekörper, der ihr soviel Trost und Wärme spendete. Unruhig war ihr Schlaf. Immer wieder schreckte sie hoch, geweckt durch ungewohnte Geräusche – sei es der Wind, der durch die Baumkronen rauschte und die Äste aneinander reiben ließ, oder Tiere, die durchs Unterholz huschten. Hier und da schrie ein Käuzchen, piepste eine Maus oder schuhute eine Eule. Emily war es nicht gewohnt im Freien zu schlafen und schaute sich immer wieder um, doch sie konnte nichts erkennen, so finster war die Nacht. Für kurze Momente schlummerte sie wieder ein, nur um bald erneut aufzuschrecken. Sie hatte sogar das Gefühl beobachtet zu werden, aber von wem oder was wusste sie nicht zu sagen. So grub sie ihr Gesicht in die Mähne ihrer Stute und versuchte, Schlaf zu finden.

      Der Morgen kam viel zu früh. Wie erschlagen fühlte sich Emily, als sie aufstand und ihre schmerzenden Glieder reckte. Lustlos kaute sie an einem Stück Brot, während sie darüber nachdachte, wohin ihre Reise nun gehen sollte. Sie wusste nicht, wo sie war, aber wenn sie dem Weg folgen würde, den sie in der Nacht geritten war, würde sie bestimmt irgendwann zu einem Dorf gelangen. Sie rief nach ihrer Stute, die sich auf einer Wiese die Beine vertrat und mit Tau bedecktes Gras fraß. Auf den Ruf Emilies hörte sie nicht. Emily schnalzte mit der Zunge, stieß einen leisen Pfiff aus und rief abermals, aber die Stute reagierte nicht.

      »Na schön«, seufzte Emily und ging langsam auf ihr Pferd zu. Ganz offensichtlich wollte ihr Pferd einen Namen. Jetzt lag es an ihr, den richtigen zu finden. Emily betrachtete die Stute einen Moment. Auf der ausgestreckten Hand einen Apfel balancierend, blieb sie vor ihr stehen. »Rubina«, sagte Emily leise. Die Stute zuckte mit den Ohren. »Rubina«, wiederholte Emily lauter. Schnaubend

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