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Dortmund, an Reusch, 24. 10. 1911, in: RWWA 130-3001038/1b

      Die angedrohten Entlassungen wurden zu diesem Zeitpunkt bereits eingeleitet. Bei dieser Aktion zeichnete sich Direktor Häbich im Werk Sterkrade durch besondere Härte aus. Dieser hatte in einer Konferenz mit den Abteilungsleitern die Vorgehensweise genau festgelegt. Der Nordwestlichen Gruppe des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller teilte er konkrete Details mit: Die Verbandsmitglieder würden in Einzelgesprächen „zunächst mündlich dahin belehrt, dass sie durch ihre Berufsverbände irre geleitet und auf den Weg des Klassenkampfes gedrängt würden“. Man ließ ihnen nur die Wahl zwischen dem Austritt aus dem Verband und der Kündigung. Wenn sie sich weigerten, sofort eine Austrittserklärung zu unterschreiben, folgte die Entlassung. Von 44 so behandelten Technikern blieben nur sechs standhaft. Die Namen der Entlassenen wurden, mit Geburtsdatum, Geburtsort und genauer Berufsbezeichnung, dem Arbeitgeberverband mitgeteilt, damit alle Mitgliedsfirmen unterrichtet werden konnten.41 Bei Einstellungen mussten die Bewerber eine schriftliche Erklärung abgeben, dass sie keinem Berufsverband angehörten. Von Seiten der Firma sei, „zur Pflege der Geselligkeit“, die Gründung eines Beamten-Vereins in die Wege zu leiten.42 Die Direktoren ließen also keinen Zweifel daran, dass zwischen betriebsinterner Wohlfahrtspflege und Disziplinierung ein enger Zusammenhang bestand. Es wurde genau Buch geführt, welche Gehaltszahlungen den „ausgesperrten Technikern“ noch zustanden. Gleichzeitig erhielten sie ihre Beiträge zur Pensionskasse zurück vergütet. Alle Schritte der Sterkrader Werksleitung waren mit der Hauptverwaltung der GHH bis in alle Einzelheiten abgestimmt.43 Die GHH ließ also keinen Zweifel daran, dass eine Wiedereinstellung ausgeschlossen war.

      Der harte Kurs der GHH stieß selbst in Unternehmerkreisen nicht überall auf Beifall. Reusch berichtete über die Maßnahmen seiner Firma bei einer Sitzung des Gesamtverbandes Deutscher Metallindustrieller in Berlin. Kein Geringerer als sein Unternehmerkollege Borsig kritisierte bei dieser Gelegenheit die Entlassungen als zu weitgehend. Er befürchtete negative Rückwirkungen bei den bevorstehenden Reichstagswahlen. Reusch beharrte aber auf seinem Standpunkt; der „Missstimmung in Beamtenkreisen“ glaubte er durch positive innerbetriebliche Maßnahmen entgegenwirken zu können.44

      Die Maßregelung der Angestellten bei der GHH löste einen Sturm der Entrüstung aus. Die „Deutsche Industriebeamten-Zeitung“ erschien am 3. November 1911 mit der Schlagzeile „Der Tag von Sterkrade“ und kommentierte die Ereignisse auf der Titelseite, wie folgt: „Der Tag von Sterkrade ist ein schwarzer Tag in der Angestelltenbewegung. Mit Hilfe eines brutalen Gewissenszwanges hat die Gutehoffnungshütte einer Anzahl Kollegen ihr gesetzlich gewährleistetes Koalitionsrecht abgepresst. … Rücksichtslos, großartig. Bewundernswert, wenn solche Energie einmal für den Fortschritt der Menschen aufgewandt würde; verdammenswert, und alles Edle im Menschen zum Kampfe herausfordernd, wenn, wie hier, von dem Throne eines viele Millionen zählenden Aktienkapitals herunter Menschen, die nichts als ihr bisschen Ehre und Selbstachtung besitzen, auch dieses noch geraubt, die Menschenwürde mit Füßen getreten wird. … Was nun? Was tun?“45 Der Techniker-Verband und der Butib riefen zu großen öffentlichen Protestversammlungen in Köln, Düsseldorf, Elberfeld und Essen, aber auch in weit entfernten Städten wie Hamburg, Breslau oder Nürnberg auf.46

      Eine besondere Wirkung versprachen sie sich von der Versammlung in Köln, da dort die Stadtverordnetenwahlen anstanden und das neue Stadtparlament über den Auftrag für den Bau einer neuen Rheinbrücke würde zu entscheiden haben. Bei der Ausschreibung lag die GHH gut im Rennen. Daher bestand bei den Techniker-Verbänden die Hoffnung, „dass die Versammlung die Kandidaten für die Stadtverordnetenwahlen veranlassen wird, ihr Amt von vorneherein mit dem festen Entschlusse anzutreten, der Gutehoffnungshütte, die das Recht ihrer Angestellten so schmählich mit Füßen getreten hat, den Auftrag auf keinen Fall zukommen zu lassen“.47

      Für die Versammlung in der Düsseldorfer Tonhalle liegt ein ausführlicher „Stenographischer Bericht“ vor, wobei offen bleiben muss, auf welchem Weg dieses aufschlussreiche Dokument in die Akten der Konzernleitung der GHH gelangte. Der Hauptredner beschrieb die Vorgänge im Werk Sterkrade höchst anschaulich: „Es lässt der Direktor den Vorsitzenden der dortigen Ortsverwaltung des Deutschen Technikerverbandes zu sich kommen und gibt ihm auf, eine gemeinsame Austrittserklärung seiner Mitglieder einzureichen. Dem Vertrauensmann, dem die Mitglieder dieser Gruppe doch anvertraut sind und der ihre Rechte doch zu wahren hat, dem gibt man so kaltlächelnd den Auftrag, sammel mal die Austrittserklärungen deiner Mitglieder ein (Lachen!), die 22 Jahre dem Bunde angehört haben, ältere Leute, Familienväter, die sich freuen, dass sie versorgt sind, durch die Organisation mit dem ganzen Gros der Deutschen Techniker Fühlung zu haben. Für die Mitglieder des Bundes technisch-industrieller Beamten ging es etwas anders zu, für die hatte man hektographisch vervielfältigte Erklärungen ,Sterkrade, den 25. Oktober 1911. Ich verpflichte mich hiermit, sofort meinen Austritt aus dem Bunde anzumelden.’ Gleich für alle hergestellt.“48 Der „Gauleiter“ und andere Verbandsvertreter seien noch am gleichen Tag nach Sterkrade gefahren. „Wir fanden 37 Kollegen vor, die sich in außerordentlich gedrückter Stimmung befanden und sich immer fragten, was könnten wir tun gegen diese übermächtigen Geldmenschen. Nur 50 Minuten war Zeit zum Verhandeln. … Im Übrigen war allen gesagt worden, dass kein Zappeln etwas helfen würde, die Direktion hat es beschlossen und der Vorstand hat es beschlossen und was der Vorstand beschließt, das geschieht. Es ist ein sehr trauriges Kapitel, dass das alles geschieht. … Die Kollegen sahen sich sehr gedrückt gegenseitig an, sie hatten wenig Hoffnung, der Gutehoffnungshütte gegenüber etwas machen zu können.“49 Nachdem die Verbandsvertreter ihre Unterstützung versprochen hatten, wurde in geheimer Abstimmung beschlossen, dem Druck der Betriebsleitung nicht nachzugeben. 31 Unterschriften standen unter einer entsprechenden Erklärung, die die Verbandsvertreter dem Vorstandsvorsitzenden Reusch übergeben wollten. Der jedoch habe es abgelehnt, sie „zu empfangen“.50 Danach fiel einer nach dem anderen um. „Man holte den jüngsten herein. Man schnauzte ihn an, er unterschrieb. … Die Verhältnisse in diesen Werken sind dazu angetan, Charaktere zu fällen, wer einmal in diesem Betriebe gewesen ist, wer einige Jahre Beobachtungen gemacht hat, der weiß, dass dort Charaktere gebrochen wurden, systematisch, planmäßig. Man hat mit den Jüngsten angefangen, man hat ihnen einfach befohlen, sie haben unterschrieben. Sie fühlen sich nicht berufen, Vorkämpfer für andere zu werden. ,Wir setzen Sie einfach auf die schwarze Liste, und Sie werden nie wieder Arbeit finden’ (Pfui!).“51 Besonders hervorgehoben wurde danach sogleich der Mut der Wenigen, die dem Druck standgehalten hatten und sofort entlassen worden waren. Im Spektrum der gewiss nicht gewerkschaftsfreundlichen Schwerindustrie hatte sich die Konzernleitung der GHH mit dieser Aktion als besonders reaktionär profiliert. „Die Herren von der Gutehoffnungshütte vergessen aber … eins, dass nicht alle Betriebe so sind wie die der Gutehoffnungshütte. Dass nicht in allen Betrieben jener Geist umhergeht, der die Menschen, die Angestellten einander gegenüber misstrauisch macht, der es nicht dazu kommen lässt, sich zu verständigen. So sieht es aus. Aber Gott sei Dank nicht überall, und wo sie hinfassen werden mit tückischer Hand, die Geldleute, da werden sie sich das nächste Mal die Finger verbrennen.“52

      Weitere Redner prangerten die Vorgehensweise der GHH an. In teilweise sehr pathetischem Stil beriefen sie sich auf die Menschenrechte, verlangten das Eingreifen des Staatsanwaltes zum Schutz des Koalitionsrechtes der Angestellten und forderten immer wieder dazu auf, bei der kommenden Reichstagswahl, Kandidaten zu unterstützen, die für die Rechte der Arbeitnehmer eintraten. Kein Redner ließ sich die Gelegenheit entgehen, durch Wortspiele mit dem Namen der GHH zu punkten: „Es ist ein eigentümliches Wort, das sich die Gutehoffnungshütte genommen hat (Lachen). Gute Hoffnung. Die Hoffnung, die wir hatten, dass es endlich im Deutschen Vaterlande anders gehen sollte mit den Menschenrechten, gerade diese Gutehoffnungshütte hat uns die gute Hoffnung und den Glauben daran gründlich versalzen. … Wem liegt nicht daran einzutreten für Menschenrecht, wem liegt nicht daran, für Staats- und Bürgerrecht einzutreten? Diejenigen, die nicht davon überzeugt sind, dass wir uns unser Recht erkämpfen müssen, können gestrichen werden wie die Umgefallenen von Sterkrade, sie gehen heute als Knechte einher und das in einem Werke, das sich Gutehoffnungshütte nennt.“53 Auch wenn man rhetorische Überspitzungen in Betracht zieht, so drängt sich doch der Eindruck auf, dass in den Betrieben der GHH, und dort wiederum

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