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wurden ca. 500 Steiger zum Austritt gezwungen; allen anderen wurde mitgeteilt, dass die Zugehörigkeit zum Steigerverband ein Entlassungsgrund sei. Die Mitgliederzahl dieses Verbandes schrumpfte unter diesem Druck von 1.600 bis zum Ende des Jahres 1911 auf 200.69 Generell verschärft wurde die Konfrontation durch den lange vor 1912 einsetzenden Reichstagswahlkampf.70 Reusch erhielt auf der Jahresversammlung der Deutschen Arbeitgeberverbände im Dezember 1911 einen Vertrauensbeweis, als er demonstrativ in den Ausschuss der Hauptstelle gewählt wurde.71

      Auch außerhalb des Reviers und der Schwerindustrie wurde Reuschs Kampf mit den Verbänden der Angestellten aufmerksam verfolgt. Im folgenden Februar informierte der Geschäftsführer des Vereins der Hamburger Reeder die GHH über einen ähnlich gelagerten Arbeitskampf auf den Schiffen der Hamburger und Bremer Reeder. Diese meinten, beim „Verein Deutscher Kapitäne und Offiziere der Handelsmarine“ eine gefährliche Radikalisierung festzustellen: Die Offiziere hätten sich auf den Schiffen mit den Seeleuten solidarisiert. Wenn sie das hingenommen hätten, wäre den Reedern die Verfügung über ihre Schiffe auf See entzogen worden. Daher hätten die Reeder alle ihre Kapitäne und Offiziere verpflichtet, aus dem Verein auszutreten. Nur ca. 40 Männer hätten sich geweigert und seien deshalb sofort entlassen worden. Der Vergleich mit der See-Schifffahrt und der uneingeschränkten Kommandogewalt des Kapitäns und letztlich der Reederei muss Reusch besonders gefallen haben. Er hatte den Hinweis auf die Verpflichtungserklärung und die Entlassung in diesem Schreiben dick angestrichen.72

      Beim Spitzenverband der Arbeitgeber würde man sich noch sechs Jahre später, im November 1917, an den Konflikt der GHH mit dem Butib erinnern. Woltmann schickte der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände das gedruckte Schreiben der GHH an die Kölner Stadtverordneten.73

      Reuschs Härte im Umgang mit den Angestellten wurde ein Vierteljahr später beim Bergarbeiterstreik erneut auf die Probe gestellt. Die erschreckende Kompromisslosigkeit, mit der er allen gewerkschaftlichen Bestrebungen entgegen trat, mag teilweise darauf zurückzuführen sein, dass er im Vorfeld der Reichstagwahlen gerade die Erfahrung gemacht hatte, dass auch die Gremien der Nationalliberalen Partei sich von den Großunternehmern nicht einfach herumkommandieren ließen. Auch in der Parteipolitik profilierte sich der junge Generaldirektor auf dem äußersten rechten Flügel des politischen Spektrums.

      Reusch sondierte zunächst sorgfältig, wo im bürgerlich-nationalen Lager für ihn als Spät-Starter die besten Profilierungschancen bestanden. Im Alldeutschen Verband dominierte der Chef seiner Konkurrenzfirma Krupp Alfred Hugenberg. Dort wurde Reusch folglich nicht aktiv.

      Auch im „Hansabund“, am 12. Juni 1909 in Berlin gegründet, um die Interessen von Handel und Industrie bei der Reichsfinanzreform gegen die großagrarischen Junker zur Geltung zu bringen, überließ Reusch das Feld den alten Recken der Schwerindustrie. Auf der Liste des Direktoriums finden sich so prominente Namen wie Kirdorf, Springorum von der Hoesch-AG in Dortmund, Franz Haniel und natürlich Hugo Stinnes, nicht aber Paul Reusch.74 Die Mitarbeit der Schwerindustrie in dem gemäßigten bürgerlich-liberalen Hansabund war von Anfang an eher taktisch motiviert. Man wollte verhindern, dass politische Aktivitäten im bürgerlichen Lager bzw. in der Nationalliberalen Partei in ein allzu „links“-orientiertes Fahrwasser gerieten. Sobald jedoch klar wurde, dass sich der Hansabund nicht „als politisches Instrument der Großindustrie … nutzbar machen“75 ließ, kam es, noch vor der Reichstagswahl von 1912, zum Bruch: Die Schwerindustrie beteiligte sich an der Gründung der „Niederrheinisch-Westfälischen Bezirksgruppe zum Schutz und zur Förderung der Interessen von Gewerbe, Handel und Industrie“, einer Organisation, die offen zum Austritt aus dem Hansabund aufforderte. Kirdorf übernahm in diesem Konkurrenzverband den Vorsitz; im geschäftsführenden Ausschuss war die gesamte Crème der westlichen Industrie vertreten; Reusch delegierte seinen Stellvertreter Woltmann in dieses Gremium.76

      In der Folgezeit unterband der GHH-Chef jeglichen Kontakt seiner Firma zum liberalen Hansabund, selbst wenn dieser sich für die Interessen der Schwerindustrie einsetzte, so z. B. während des Bergarbeiterstreiks im März 1912, als der Hansabund Maßnahmen zum besseren Schutz der „Arbeitswilligen“ ankündigte und zur Vorbereitung um Material zu diesem Thema aus den betroffenen Firmen bat. Reusch vermerkte auf diesem Schreiben lediglich: „nicht antworten!“77. Nach dem Streit über die Reichsfinanzreform, bei der die konservativen Adeligen im Bündnis mit dem Zentrum jegliche Ausdehnung der Erbschaftssteuer hatten abblocken können, näherte sich die Schwerindustrie den großagrarischen Junkern wieder an und trat gemeinsam mit ihnen für Schutzzölle und die Abschaffung des allgemeinen Wahlrechts ein. Dies war offenbar ganz in Reuschs Sinn: Schon 1910 und 1911 hatte es die GHH abgelehnt, Beiträge für den Wahlfonds der Nationalliberalen Partei oder des Hansabundes zu leisten. In schroffem Ton ließ Reusch dem Präsidenten des Hansabundes mitteilen, „dass die Gutehoffnungshütte keine Veranlassung hat und sich nach Lage der Verhältnisse nicht entschließen kann, für den Wahlfonds des Hansabundes irgend welche Beiträge zu leisten“.78

      Reusch selbst war schon im März 1909, noch vor der Gründung des Hansabundes, der erz-konservativen und stramm nationalen „Deutschen Vereinigung“ beigetreten. Dort stand ihm keine der prominenten Gestalten der Schwerindustrie im Wege, so dass er bereits zwei Jahre später Mitglied des Reichs-Vorstandes werden konnte.79

      Die „Deutsche Vereinigung“ (DV) war 1907 von katholischen Gegnern der „ultramontanen“ Ausrichtung des Zentrums gegründet worden. Das Zentrum, so der Vorwurf der nationalistischen Kritiker, sei „immer mehr ins demokratische Fahrwasser“ geraten, habe sich den „dringendsten nationalen Forderungen“ der Reichsregierung verweigert und sich im Wahlkampf 1907 „teils offen auf die Seite der Sozialdemokratie gegen das Bürgertum“ gestellt.80 1907 war das Jahr der sogenannte „Hottentottenwahl“, die durch die ungezügelte nationalistische Agitation der Rechts-Parteien geprägt wurde. Es kennzeichnet die Mentalität der Konzernherren der GHH wenn der Aufsichtsratsvorsitzende Franz Haniel und der langjährige Generaldirektor Carl Lueg in dieser nationalistisch aufgeheizten Stimmung den Gründungsaufruf der „Deutschen Vereinigung“ mit unterzeichneten. Ihre Unterschrift stand neben der von 32 Rittergutsbesitzern, 58 Gutsbesitzern, 25 Kommerzienräten, 4 Bankiers, 57 Fabrikanten, 56 Kaufleuten, 16 Offizieren und 326 Beamten.81

      Reusch hatte sich zuvor genau erkundigt und dabei erfahren, dass sich die Rechtskreise von der „Deutschen Vereinigung“ die Abwerbung national denkender Katholiken vom Zentrum erhofften.82 Die Satzung legte als Hauptzweck die „kraftvolle Förderung der vaterländischen Interessen“ fest. Dem dienten die „Sicherung und Stärkung der politischen und wirtschaftlichen Machtstellung des Deutschen Reiches, … die Pflege des christlichen und deutschen Charakters unseres Staats- und Volkslebens, … der Ausgleich der konfessionellen Gegensätze, … die Erhaltung eines lebens- und leistungsfähigen Mittelstandes“ und „die Bekämpfung der Sozial-demokratie“.83 In direkter Konfrontation mit dem Zentrum agitierte die DV in ländlichen Regionen vor allem des Ostens gegen das Koalitionsrecht der Landarbeiter und für die Unterdrückung der Polen.84 Diese Themen spielten naturgemäß in der Industrieregion an der Ruhr nur eine untergeordnete Rolle.

      Das Aufblühen der Deutschen Vereinigung machte gleichzeitig den „Reichsverband gegen die Sozialdemokratie“ überflüssig. Paul Reusch blieb zwar vorerst Mitglied in diesem „Reichsverband“, zahlte aber nur einen Beitrag von 20 Mark im Jahr und akzeptierte, dass die meisten leitenden Angestellten der GHH ihren Austritt erklärten. Bergassessor Kellermann führte genau Buch darüber.85

      Reusch war nach seinem Beitritt zur „Deutschen Vereinigung“ intensiv bemüht, in Oberhausen eine eigene Ortsgruppe ins Leben zu rufen. Am 15. Januar 1911 waren mehr als 100 sorgfältig ausgewählte Honoratioren zur Gründungsversammlung ins Beamten-Gesellschaftshaus der GHH eingeladen. 109 Anwesende trugen sich in die Mitgliederliste ein. Kein Arbeiter war darunter und natürlich keine Frau. Es wurde ein 15-köpfiger Vorstand gewählt mit Reusch als 1. Vorsitzendem.86

      Zwei Monate später

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