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Die Masche funktionierte erstaunlicherweise. Vielleicht sind die Menschen dort besser. Meine Theorie ist aber auch, dass es in Rio einfach zu viel Armut gibt und die Leute dort schon immun dagegen sind. Nicht alle natürlich. Mittlerweile hat sich das Verhalten in Brasilia vielleicht auch geändert. Mit dem Geld kamen wir eine Weile über die Runden. Dort waren keine Todesschwadronen oder Polizisten, die Jagd auf kleine Kinder machten und wir schliefen unter einer Brücke an einem Lagerfeuer mit anderen Obdachlosen. Die waren sehr nett zu uns, teilten ihr Essen und Wasser. Sie hörten sich unsere Geschichte an und zeigten aufrichtiges Bedauern. Oftmals fühlte ich mich bei ärmeren Leuten besser aufgehoben und verstanden als bei anderen. Rafael und ich konnten jedenfalls eine Weile gut leben, wir hatten warme Mahlzeiten und einmal schenkte uns ein reicher Tourist eine große Summe, auch wenn er gar nicht unsere Sprache verstand. Wahrscheinlich machten wir so einen mitleidigen Eindruck auf ihn, dass es sein Herz rührte. Einige haben jedenfalls ein Gewissen und andere wiederum nicht. Diesem Touristen aus Europa bin ich jedenfalls noch heute dankbar dafür. Eine große Summe, wir konnten zwei Monate davon leben und wir teilten es uns ein. Natürlich erzählten wir niemandem davon und versteckten das Geld in unseren Schuhen. Nach allem, was Rafael und ich zusammen erlebt hatten, vertrauten wir uns blind und keiner musste Sorge haben, dass der andere sich aus dem Staub machte. Wir wollten zusammenbleiben und uns gegenseitig unterstützen. Hast du gute Freunde? Das tut mir leid. Genau wie ich. Man kann sich auf kaum jemanden verlassen und gute Freunde sind selten und kostbar. Von Brasilia nahmen wir einen Bus nach Ilhéus im Bundesstaat Bahia. Ja, die meisten Romane von Amado handeln dort und in Salvador und auf den Kakaoplantagen. Du hast ja doch was gelesen. Wir zahlten das Geld für die Busfahrt und erzählten dem Schaffner irgendwas vom Pferd. Keine Ahnung, ob er uns die Geschichte abnahm oder nicht, aber für den zählte die Knete und damit war die Messe gelesen.

      Die Fahrt dauerte ziemlich lange und der Busfahrer hielt oft an. Aber wir konnten wunderbar schlafen. Die Sitze im Bus fühlten sich für uns an wie ein Bett. Sonst schliefen wir ja nur in Feldern oder auf der harten Erde. Bahia ist einer der schönsten Bundesstaaten von Brasilien. Die Menschen sind herzlich und froh, aber auch etwas schwermütig. Auf alle Fälle waren wir beide glücklich, als wir in Ilhéus ankamen. Wir hatten Kohle und wir verbrachten die Zeit am Meer. Und wir liebten das Essen dort. Vieles wird in würzigem Kokosnussöl gebraten und meistens Fisch, Meeresfrüchte und Bohnen dazu serviert. Acarajé, das sind Bällchen aus Bohnenmus und Krabben, Moqueca ist ein Eintopf aus Fisch mit Knoblauch, Paprika, Tomaten und Petersilie. Und das wird mit einer scharfen Pfeffersause und Reis serviert. Ich komme ins Schwärmen. Vielleicht können wir mal zusammen dorthin fahren. Manchmal frage ich mich, warum ich dort nicht geblieben bin, vielleicht hätte sich dann alles anders entwickelt. Aber auf der anderen Seite hätte ich dann auch nie João getroffen und du könntest meine Geschichte nicht aufschreiben. Ich wundere mich sowieso, wie du das alles behalten willst, du hast kein Aufnahmegerät und niemand kann doch so vieles im Kopf behalten. Na gut, ist mir auch egal, wie du das machst, wahrscheinlich wird dann irgendwie eine Geschichte draus. Aber bitte füge nichts hinzu, was ich nicht erzähle. Ich habe in meinem Leben viel gelogen und bin nicht stolz darauf, außer wenn es darum ging, meinen Hunger zu stillen. Ich erzähle dir aber die ganze Wahrheit, damit ich reinen Tisch machen kann und auf eine Weise finde ich es befreiend. So wie ein Orgasmus. Kannst du gerne so in dein Buch schreiben, mein Freund! João hab ich schon aufgeklärt, heutzutage sind die Kinder ja frühreifer als wir. Aber in Brasilien beginnt alles früher. Er hat mich ein paar Sachen gefragt und ich habe ihm ehrlich geantwortet. Man soll Kindern gegenüber ehrlich sein, finde ich.

      Die ersten zwei Wochen in Ilhéus lümmelten wir nur rum, wir genossen das Wetter, jeden Tag blauer Himmel und keine Wolken, schwammen im Meer und schlemmten das leckere Essen hinunter. Wir kauften meistens bei einem kleinen Imbissstand einer Mulattin, die uns gleich ins Herz schloss. Sie wollte ein paar Mal gar kein Geld von uns haben, ist das nicht lobenswert und nobel? Ja, du bist genauso, aber glaub mir, die wenigsten interessiert das Schicksal von zwei kleinen Jungs. Irgendwann ließ Gabriela uns bei sich schlafen, sie hatte keinen Mann mehr, aber zwei Kinder, mit denen wir uns anfreundeten und spielten. Es war das erste Mal, dass wir glücklich waren. Wenn wir nur dort geblieben wären! Sie kümmerte sich liebevoll um uns und versorgte uns sogar mit neuen Kleidern. Die hatten wir auch bitter nötig, denn wir trugen fast nur noch Fetzen, als wir in Ilhéus ankamen. Nein, sie machte uns keine Vorschriften und wir konnten kommen und gehen, wann wir wollten. Sie gab uns ein paar Ratschläge, dass wir nicht jedem trauen sollten, der freundlich sei, denn manchmal steckten unlautere Absichten dahinter. Was wir beide ihr nie vergessen werden, ist, dass sie uns bei einem Arzt untersuchen ließ. Wir bekamen ein paar wichtige Impfungen, die habe ich auch João geben lassen. Tetanus und so was. Ilhéus ist eine kleine Stadt und sehr charmant. Vielleicht ziehe ich doch bald dahin, ich vermisse die Freundlichkeit der Menschen dort und das Essen und ich glaube, auch für João ist es besser. Nicht wahr, João? Hast du das gehört? Er geht mit mir, wohin ich gehe. Ich könnte grad weinen vor Glück. Ich sage dir jetzt noch was- ich habe herausgefunden, dass das wichtigste im Leben keine Freundin ist, sondern sich um jemanden zu kümmern. Um ein Kind, einen Sohn, einen Bruder. Aber nicht eine Freundin zu haben. Wenn ich Sex will, geh ich zu einer Nutte, das reicht mir. Wenn ich die Kassette vorspulen würde, dann gibt es in jeder Beziehung bald Streit, Neid und Eifersucht. Gut, einverstanden, fahren wir nächste Woche zusammen nach Ilhéus und mieten uns eine Wohnung alle zusammen. Dir wird es wahrscheinlich so gut gefallen, dass du gar nicht mehr wegwillst. Und mir wohl ebenso. Trinkst du Alkohol? Ich auch nicht, kaum, ich habe so viele Alkoholiker getroffen, nein danke. Und ich wäre auch ein schlechtes Beispiel für ihn. Nein, er hat mich noch nie Papa genannt, das ist aber auch nicht nötig. Ich bin ja nur acht Jahre älter als er. Du hast zwar nichts gesagt, aber ich fühle, dass du genauso denkst wie ich. Richtig? Ja, kannst du versuchen, aber es ist schwer und es kostet viel Geld. Wirklich viel Geld. Besser ist, wenn du jemanden aufnimmst wie ich und die Klappe hältst. Eine Adoption ist langwierig, kostet Geld und du hast keine Garantie, dass sie bewilligt wird. Klar, ich habe daran gedacht, aber ich bin ja auch erst 17 und darf in dem Alter niemanden adoptieren. Dann der geringe Altersunterschied, das ganze wäre zum Scheitern verurteilt. Aber ich gebe zu, manchmal fühle ich wirklich, dass er mein Sohn ist. Ist ja auch egal, machen wir es nicht kompliziert. Ich glaube nicht, dass er auf die schiefe Bahn kommt, zumindest, wenn wir in Ilhéus wohnen würden. Magst du Kakao? Wir haben den besten auf der Welt, von der Sonne beschienen, getrocknet und gemahlen. Das ist nur eine Werbung von einem Kakaohersteller. Aber ohne Scheiß, ich mache uns welchen. Mit Milch natürlich! Glaube mir, alles andere wäre eine Sünde, das mit Wasser zu trinken. Natürlich, Vollmilch, bei der anderen ist doch alles entzogen. Genieß ruhig die Aussicht. So, das ist echter Kakao. Ich wusste ja, dass er dir schmeckt. Der, den du in Deutschland trinkst, ist wahrscheinlich verschnitten. Genauso machen die es mit dem Kaffee. Den besten bekommst du hier und in Kolumbien. Nein, ich war noch nie dort, aber ein Freund von mir hat mir mal ein paar Packungen von dort mitgebracht. Wir sollten einen anderen Tag weiterreden, ich bin etwas müde vom Reden und es strengt mich auch an. Keine Sorge, es macht mir wirklich gar nichts aus, darüber zu reden. Von mir aus morgen um die gleiche Zeit. Lass mich noch den Taxifahrer anrufen, dann kannst du deine Sachen abholen und in meiner Straße in dem Hotel an der Ecke übernachten. Die haben ein Zimmer frei und der Fahrer wird dir nicht viel verlangen. Dann bis Morgen, schönen Tag dir. Ich will dir nicht sagen, pass auf dich auf, weil ich das selber hasse, aber Rio ist nicht ungefährlich. Adeus.

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