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am Tag. Es war uns egal, wohin uns das führen würde. Auf Feldern klauten wir Kartoffeln und Karotten und fanden ab und zu eine Quelle Wasser. Wenn wir von Ferne Menschen sahen, versteckten wir uns frühzeitig, denn wir wollten niemanden auf uns aufmerksam machen. So lernten wir schon früh, wachsam zu sein. Die Sorge nach Essen und Trinken war jedoch allgegenwärtig. Eines Abends erreichten wir eine Bahnstation. Wir schlichen uns an und spähten sehnsüchtig in das Restaurant hinein. Rafael bedeutete mir, ihm zu folgen. Er hatte geahnt, dass eine Türe existieren musste, die zur Küche führte. Vorsichtig spähten wir hinein. Eine dicke Köchin war beschäftigt, Maisfladen zu kochen und Fleisch brutzelte in einer Pfanne voll gerösteter Zwiebeln. Wir warteten. Uns lief das Wasser im Mund zusammen. Irgendjemand rief die Köchin und sie lief tatsächlich aus der Küche ins Restaurant. Schnell wie der Blitz öffneten wir die Türe, steckten das gebratene Fleisch in eine Tüte und verschwanden auf der Stelle. Wir rannten mindestens drei Kilometer, bis wir es wagten, zurückzuschauen. Dann hörten wir Schreie und die Worte einiger Männer, die sich wohl auf die Suche nach uns machten. Die Köchin schrie wie ein Rohrspatz. Ich stieß Rafael in die Seite, wir kicherten. Es war schön, zusammen zu lachen und solche Erlebnisse brachten uns einander noch näher. Wir liefen langsam weiter, dann aßen wir die Steaks und entschieden, einen Wasserweg zu durchqueren. Nein, wir konnten nicht schwimmen, aber ich hatte schon ein paar Mal anderen zugeschaut, deshalb probierten wir es im seichten Wasser aus. Rafael lernte von mir und als wir merkten, dass wir nicht ertranken, gab ich ihm ein Zeichen und wir schwammen auf die andere Seite. Unsere Kleider waren nass, aber wir fühlten uns in Sicherheit. Die Leute würden weitersuchen, oder sie würden die Köchin für verrückt erklären. Zum Glück hatten sie keine Hunde. Die hätten uns sehr schnell aufgespürt. Um sicherzugehen, liefen wir aber in nassen Klamotten weiter, bis wir eine Hügelkette erreichten. Es war schon dunkel, und man sah nichts mehr, aber ich fand dennoch einen Eingang zu einer Höhle. Wir waren sicher 5 Kilometer entfernt, zogen unsere Kleider aus und schliefen sofort ein. Irgendwann muss man auch die Angst besiegen, denn sonst findet man keinen Schlaf mehr. Besonders wir, die wir auf der Flucht vor allen waren. Vor der Gesellschaft, vor den Hunden, vor bösen Menschen.

      Am nächsten Morgen erwachten wir, als die Sonne aufging. Unsere Kleider waren trocken. Niemand hatte uns gefunden. Aber meine Augen suchten sogleich das Gelände ab, weil ich immer noch Angst hatte, sie würden uns suchen. Ich ließ Rafael noch schlafen und besorgte uns etwas zum Essen aus den nahegelegenen Feldern. Wir besprachen, was wir tun sollten und kamen zu dem Schluss, dass wir uns einige Tage versteckt halten sollten. Danach wollten wir jedoch wieder zu den Bahngleisen laufen. Irgendwie hatte uns der Ruf der Freiheit gepackt, als wir einem Zug sehnsüchtig hinterherschauten. Wir wussten nicht, wohin er fuhr, aber wir wollten irgendwie auf einen Güterzug aufspringen. Natürlich mussten wir Geduld haben, denn es fuhren nicht viele Züge umher. Von unserem Standpunkt konnten wir auf die andere Seite des Flusses blicken und sahen am nächsten Tag tatsächlich einen Zug vorüberfahren, aber Richtung Rio. Rafael sagte mir, dass er gerne weit wegfahren würde. Er hatte nur schlechte Erinnerungen an diese Großstadt und ich konnte es ihm nicht verdenken. Brasilien ist riesig, ich glaube nicht, dass viele meiner Landsleute alles gesehen haben. Von Manaus bis in den Süden der Iguazu Wasserfälle. Ach du warst in Sao Paulo? Das ist auch nur eine weitere Riesenstadt, Wolkenkratzer bis zum Horizont, schlechte Luft, Kriminalität. Ich war nur einmal dort, aber was wirklich schön ist, ist Curitiba im Süden und Florianapolis. Und Ilhéus in Bahia. Wenn du genug Zeit hast, solltest du dort mal hinfahren. Ich habe mir auch mal überlegt, ob ich mit João dorthin reisen sollte. Aber ich muss auf das Geld achten. Du hast sicher schon gemerkt, dass mein Land trotz der großen Armut recht teuer ist. Keine Ahnung wieso, aber es gibt natürlich viele reiche Leute. Es ist nur alles ungerecht verteilt. Auch in Afrika, ich weiß. Soll ich dir mal was sagen? Die blöden Amis mit ihren Mondfahrtprogrammen, die Milliarden verschlingen, könnten mit einem Schlag die ganze Misere beenden. Ja, Korruption. Besonders in Afrika. Hab ich auch in einem Magazin gelesen. Viele Diktatoren, die das Geld nur für sich verwenden. Siehst du, die Welt ist nicht in schwarz und weiß geteilt, sondern in arm und reich. Aber das weißt du ja. Ich hoffe, ich höre mich nicht belehrend an. Na dann ist ja gut. Zwei Monate in Brasilien? Und wohin willst du noch reisen, nachdem ich dir alles von mir erzählt haben werde? Wie ich dir schon sagte, fahr mal nach Ouro Preto. Also wenn du wirklich willst, können wir zusammen nach Ilhéus fahren, aber mit dem Bus, weil João keinen Ausweis hat und ich auch nicht unbedingt. Na ja, keinen offiziellen. Zwei Wochen am Strand wären schön. Sag einfach Bescheid, wenn du noch was trinken möchtest, in Ordnung? Du bist ein bisschen schüchtern, ich merke das, aber ich will, dass du dich bei mir wohl fühlst. Na João, ausgeschlafen? Willst du ein bisschen bei uns bleiben? Ja, die schlimmen Sachen erzähl ich ihm ein anderes Mal. Momentan hab ich eine schöne Episode für ihn. Er will dich gerne auch was fragen. Ob du ein Kind hast oder eine Familie?

      Er ist alleine, João, aber er würde jemandem helfen. Er will auch gerne mit uns ans Meer fahren, wenn wir wollen. Siehst du, er merkt, dass du ein guter Mensch bist, er hat viel Menschenkenntnis. Ich habe ihm gesagt, dass du vorhin geweint hast, als ich dir was über ihn sagte. Das hat ihn bewegt. Ach ja, die Höhle. Wir überlegten, ob wir dort bleiben wollten, und es als unser zu Hause ansehen wollten, aber am dritten Tag entdeckten wir ein paar Schlangen und liefen weg. Na klar, es gibt viele Giftschlangen, man muss echt aufpassen, wenn man auf den Feldern unterwegs ist. Wir sind immer fest aufgetreten, damit die Schlangen einen näherkommen hören. Das hatten wir mal in einem Gespräch belauscht. Da wir keine Brücke fanden, schwammen wir erneut durch den kleinen Fluss und trockneten uns anschließend. Da die Leute von der Bahnstation sicher noch misstrauisch waren, gingen wir keinerlei Risiko ein und hielten einen großen Abstand dazu. Wenn der Zug in Sicht kommen würde, dann würden wir losrennen und versuchen, auf ihn hinaufzuklettern. Zwei weitere Tage vergingen, ohne dass ein Zug eintraf. Ich wurde ungeduldig, aber Rafael sagte, wir hätten doch sowieso keine Eile und was würde es ausmachen, wenn wir eine Woche dableiben würden. Immerhin hatten wir genug zu essen, alle Felder waren voller Gemüse und wir entdeckten auch ein paar Orangenbäume voller Früchte. Dann kam der Augenblick, als ein langer Güterzug an uns vorbeifuhr. Er wurde langsamer und wir wussten, dass nun der Moment gekommen wäre, auf den wir gewartet hatten. Der Zug würde in dem kleinen Bahnhof halten und wir rannten ihm auf den Gleisen hinterher. Ich fiel einmal hin und schürfte mir mein Bein auf, aber das war mir in dem Moment egal. Ich stand gleich wieder auf und tatsächlich schafften wir es, den Zug einzuholen. Wir warteten ab. Hinter einem Gebüsch versteckten wir uns vor neugierigen Blicken. Eine gefühlte Ewigkeit stand der lange, braune Zug im Bahnhof. So wie wir das sahen, waren die Güterwaggons nicht verschlossen. Auf den letzten wollten wir klettern. So schlichen wir uns von der dem Bahnhof abgewandten Seite an den Zug heran, schoben vorsichtig die Türe auf und fanden dort Ziegel und Säcke voller Mörtel vor. Da wir uns aber vor Angst fast in die Hose machten, versteckten wir uns wieder hinter einem Strauch. Vorher schoben wir die Türe wieder zu. Wir wollten erstmal abwarten, ob die Waggons nicht doch kontrolliert wurden. Die Sache mit dem Steak ging uns noch durch den Kopf. Und wir sollten Recht behalten. Nach gut einer Stunde wurden alle Waggons aufgerissen, ein Teil der Ware entladen und neue eingeladen. Die blutrote Sonne schlich sich langsam am Horizont davon und wir hielten es langsam nicht mehr aus. Dann ertönte das erlösende Pfeifen der alten Lokomotive und wir stahlen uns unauffällig in den letzten Waggon. Niemand hatte uns bemerkt. Der Zug setzte sich in Bewegung. Wir lagen uns lachend in den Armen. Zwei kleine Kinder, die ihr erstes kleines Abenteuer bestanden. Zum Glück für uns hatten die Arbeiter nun einige Paletten Orangen eingeladen und die Ziegel und der Mörtel waren ausgeladen worden. So schlugen wir uns die Bäuche voll, öffneten vorsichtig die Türe und ließen uns von den letzten Strahlen der Sonne küssen. Ich hatte das Gefühl, dass wir Richtung Norden fuhren und irgendwann schliefen wir zum monotonen Geräusch des Ratterns des Zuges ein. In der Nacht wachten wir ein paar Mal auf, da der Zug mal langsamer, mal schneller wurde und wir auf der Hut sein mussten. Vielleicht ist das ein Instinkt eines Straßenkindes. Diejenigen, die nicht so vorsichtig und umsichtig waren, sind leider auf der Strecke geblieben. Jetzt reden wir schon zwei Stunden zusammen und wir kennen noch nicht mal unsere Namen.

      Schöner Name, die deutsche Variante von João. Ich bin Diego. Der Zug wurde irgendwann dann langsamer und wir merkten, dass er bremste. Ich gab Rafael ein Zeichen und wir sprangen vor dem Bahnhof ab und warteten, was geschehen würde. Es geschah gar nichts, wir waren in einer anderen Stadt, wo genau wussten wir noch nicht, aber später fanden wir heraus, dass

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