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habe dich doch nicht beleidigt“. Das habe ich von den Deutschen gelernt. Meine Frau hingegen benutzte „spinnst du“ mir und unserem Sohn gegenüber etwa 5- bis 10-mal am Tag.

      An solchen Stellen des Lebens nutzt mir mein C2-Niveau gar nichts. Gut, dass ich das vorher gemerkt habe. Nicht alles aufnehmen! Das sind aus meiner Sicht schlimme Erkenntnisse. So musste ich quasi nach etwa 3 Jahren Integrationskurs alles, was ich in diesem Kurs lernte, umschmeißen und wieder neu erlernen. „Leck mich doch am Arsch!“, diesen Ausruf habe ich im Studium auch nicht gelernt! Aber das sagt man so, wenn man „du kannst mich mal“ zum Ausdruck bringen will. Ich frage mich jedoch, du kannst mich mal was? Schlagen? Beschimpfen? In Ruhe lassen? Der Ausdruck fördert das Interpretationsvermögen sehr.

      Der Weg zur Integration fängt oft mit der Eingliederung in einen Verein an. So viel steht fest, in Deutschland gibt es für nahezu jede Sache einen Verein. Deshalb besorgte ich mir die Namen der Vereine, die im Ort ansässig sind: Karnevalsverein, Schützenverein, Heimatverein, Schulverein, Lohnsteuerhilfeverein. Das Wort Verein scheint mega wichtig zu sein. Alter, ich darf jetzt auch wie die Jugend und die Schüler reden, oder? Es erschien mir also sinnvoll, mit ein paar Männern bei uns am Stammtisch zum Thema Verein zu reden. Im Besonderen zum Kirchenverein. Neu im Ort, kostete nicht viel Geld, verband mich mit meinem Glauben und einmal im Monat tranken wir dabei sogar deutschen Rotwein. Ich durfte sogar immer mal wieder meinen Lieblingswein mitbringen, den Chianti. Das mussten die Männer erst einmal verdauen, dass ich Araber und gleichzeitig kein Moslem bin. Nachdem wir mit der Diskussion am Ende waren, dauerte es etwa 2 Jahre, bis sie mich nicht mehr fragten: „Du darfst doch gar keinen Wein trinken, oder?“ Mit der Wurscht hat es nur 1 Jahr gedauert, bis ich das S durch ein Sch in dem Wort Wurst benutzt habe, d. h. wer Wurscht sagt, darf sie auch essen. Letztens am Grill unterhielt ich mich mit einem sehr netten Mann aus dem Verein. Wir haben über viele Dinge geredet und er hat mich nicht gefragt, wo ich herkomme. Er hat auch nicht gefragt, warum ich so gut Deutsch spreche und wie lange ich noch hier in Deutschland bleibe. Ich gehöre zum Verein und somit auch zur Gesellschaft.

      Leute! Ich bin jetzt im Verein. Nach etwa 6 Jahren folgte gar der zweite Verein: der Schrebergartenverein oder Kleingartenverein genannt. Diese insgesamt 3 Jahre haben zum Erfolg meines Integrationskurses enorm beigetragen. Eine Kultur für sich und eine sprachliche Herausforderung war das. Ganz besonders abends, wenn die meisten bereits viele Flaschen Bier getrunken hatten. Die erste Versammlung war die coolste, oder jugendlich ausgedrückt: das Krasseste, was ich je erlebt habe. Genau wie „Zieh Leine!“ gefällt mir der Moment besonders gut, wenn die Leute sich leidenschaftlich gegenseitig beschimpfen. Wenn Flüchtlinge zusammen unterwegs sind und andere Bürger auf der Straße treffen, kann es vorkommen, dass sie auch vielleicht beschimpft werden. Sie würden das auch aufnehmen, um es dann anwenden zu können. Ein normaler Fall für das menschliche Gehirn und für die Funktion des Gedächtnisses. Assimilation.

      Im Gesangs- und Chorverein war ich auch. Eine der schnellsten Verbindungen zu Menschen, die gemeinsame Interessen hegen. Ich kann relativ gut trommeln, von daher war meine Aufgabe von Anfang an klar: Die Trommel spielen. Der Verein war auch sehr modern und offen in seiner Liederauswahl. Gospel z. B. wurde oft gespielt. Wir durften sogar nach der Probe gemeinsam ein Gläschen Sekt trinken. An dieser Stelle behaupte ich aber auch, dass Alkohol die Integration einfacher macht. Es erscheint mir zumindest so. Für Muslime, die keinen Alkohol trinken dürfen, ist das kein großes Problem, aber der Beschleunigungseffekt im Prozess der Integration fehlt dadurch. Die Deutschen sind lockerer darauf, wenn sie was getrunken haben.

      Nach jeder brenzligen Situation denke ich, dass ich mich wieder ein Stück in Richtung positiver Integration entwickelt habe. Stimmt ja auch, aber das ist wirklich nur ein Stück. Vieles ist mir klargeworden, nachdem ich mir die Art und Weise ansah, wie meine Frau unseren gemeinsamen Sohn erzog. Wenn man beobachtet, wie die Kinder erzogen werden, kann man leicht erkennen, welche Werte vermittelt werden und wie die Gesellschaft tickt. Gute Beispiele dafür sind der Mittagsschlaf, das Sandmännchen, Benjamin Blümchen, die Teletubbis oder aber auch hoppe, hoppe, Reiter.

      Also beschloss ich die Erziehung unseres gemeinsamen Sohnes meiner Frau, ihrer Mutter und ihrem Vater zu überlassen. War das ein Fehler? Dies wird sich erst noch zeigen, sobald er soweit ist, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Also Hände waschen vor dem Essen, nicht mit vollem Mund reden, nicht rülpsen oder pupsen bzw. am liebsten unterdrücken, die Leute begrüßen, mit dem Hund Gassi gehen, Schneemann bauen, Kaffee trinken um 15 : 00 Uhr und um 20 : 00 Uhr ins Bett gehen. Die Kinder dürfen nur mit der Erlaubnis der Eltern lange wach bleiben oder aber mit Freunden spielen oder einfach fernsehen. Kein Wunder, dass viele Kinder mit 18 Jahren rebellieren und all das machen wollen, was vorher verboten war, wie zum Beispiel sich ins Koma zu saufen oder Mülltonnen in Brand zu stecken. Es existieren viele Dinge, die Kinder nicht dürfen. Ein Rechtsstaat eben. Alles ist per Gesetz geregelt, beinahe auch die Moral. Ich hatte während meiner Kindheit die Freiheiten meines Kindes hoch drei. Ich durfte schon mit 4 Jahren Kaffee ausprobieren, Bier sogar schon mit 8. Ich habe in der 6. Klasse meine Weihnachtskleidung selber aussuchen dürfen, meine Mutter hat sich nicht eingemischt. Ich durfte auch mit 18 Germanistik studieren. Aber ich lernte immer was Neues, zwar auch viel Bescheuertes, aber Neues.

      Im Laufe der Jahre habe ich die Erkenntnis erlangt, dass die Gesellschaft hier geteilt ist. Es gibt Menschen, die der erwünschten Normalität irgendwie noch nicht gewachsen sind. Eine Personengruppe verhält sich oft abwertend und distanziert anderen Gruppen gegenüber. Zu denen gehört nicht nur die Gruppe der Ausländer. Sie sollen sich so verhalten, dass man erkennt, dass sie zu den normalen Menschen gehören. Also nicht in der Öffentlichkeit Bier trinken. Ausländer sollen bitte Theaterbesuche vermeiden, das passt nicht ins Bild. Die Gesellschaft hat Vorurteile und die sollen auch bestätigt werden, sonst kippen die Erwartungen an die Verhaltensmuster einiger Menschen. Die Schubladendenker fühlen sich ansonsten diskriminiert. Alles was Karl May mal berichtet hat, stimmt irgendwie nicht mehr. Wenn ich mit meinem Auto vor dem Supermarkt parke, schauen mich die Leute entsetzt an und denken bestimmt: Wo hat er den Wagen her? Sie leben alle auf unsere Kosten, von unseren Steuergeldern. Wirtschaftsflüchtlinge oder gar Mafiastrukturen. Es ist einfach nicht mehr schön in diesem Land. Es gibt zu viele Ausländer. So stelle ich mir oft die Sprechblasen vor, die in den Köpfen bei den Einheimischen entstehen. Sie haben keine Ahnung, wie viel Geld ich jetzt schon für die Steuer bezahlt habe. Es sind aber natürlich nicht alle so harmlos. Es gibt Schlimmere. Sie spucken dir vor die Füße, beschimpfen dich laut, oft kommt es sogar zu Übergriffen. Wenn man hier in dem Land leben will, muss man das auch in Kauf nehmen. Solch ein Satz gehört stereotypisch zu den Schuldzuweisungsmechanismen. Nicht mein Problem. Wegschauen. Aus diesem Grund ist eine unterlassene Hilfeleistung auch strafbar. Ich muss also helfen, auch wenn der betroffene Ausländer ist. Nicht aus Solidarität, sondern als Folge aus dem Gesetz.

      Solche Regelungen gibt es in der kollektiven Gesellschaft nicht. Wenn man dem anderen nicht hilft, wird man von der Gemeinschaft in der Regel ausgeschlossen. Ich habe dies aber bisher nie erlebt. Man hilft in der Regel immer, auch Fremden.

      Zu den gehassten Personengruppen gehören aber auch, nach der Zeit der SPD-Regierung, die Harz-IV-Empfänger. Dieses Wort wurde neu kreiert, als ich bereits in Deutschland war. Ich kann also behaupten, die Entwicklung des Wortes beobachtet und mitbegleitet zu haben. Es sind eigentlich ganz nette Menschen, die einfach nur Pech im Leben hatten. Jeder kann ganz schnell arbeitslos werden. Deswegen steht die Gesellschaft permanent unter Druck, den Job zu erhalten. Man lebt nicht nach Zielen, die man erreichen will, sondern man ist hier viel eher auf der Flucht vor dem Abgrund. Sobald einer stehen bleibt, fällt er ins tiefe Loch der Arbeitslosigkeit. Andere denken: Wenn ich stehen bleibe, erreiche ich meine Ziele nicht. Diese Einstellung schützt vor Depressionen oder auch vor einer Krankheit, von der ich bisher nur hier in Deutschland gehört habe: Burn-out.

      Es existiert auch ein Abgrenzungswort, womit die Deutschen sich gegenseitig bezeichnen,

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