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wie ich damals. Er macht es bestimmt besser als seine Mutter, die nach drei Semestern das Handtuch geworfen hat. Ich glaube, es war auch gut für ihn, dass er vor einem Jahr mit zwei Studienkollegen in eine WG nach Giesing gezogen ist. Seitdem ist er viel selbstständiger geworden und jobbt sogar am Wochenende und in den Semesterferien in einem Bistrot, so ähnlich wie du damals.

      Ich wundere mich immer, wie er bei all dem Stress noch Zeit für seine Freundin Sandra findet.

      Nick, ich hab noch eine gute und eine schlechte Nachricht für dich. Zuerst die schlechte: Am Sonntag ist der erste Advent und somit beginnt, wie alle Jahre wieder, die »staade Zeit«. Das heißt Geschenke-Marathon in einer überfüllten Innenstadt, permanent schnulziges Weihnachtsliedergedudel in allen Kaufhäusern, und Glühwein mit Lebkuchen bis zum Erbrechen. Nun die gute Nachricht: Schon in vier Wochen haben wir das alles überstanden und freuen uns dann auf eine rauschende Silvesterparty.

      »Huch«, schon so spät, ich muss mich noch umziehen und stylen. Du bist hoffentlich mit deinem Text über, was war es doch gleich, fertig geworden.

      Ich hab jedenfalls einen Mordshunger, heute Mittag gab’s nur einen Joghurt für mich.

      Bussi,

      deine Nora

       Amora, den 29./30.11.2010

      Geliebte Nora,

      ist das nicht herrlich – das erste Adventswochenende ist schon rum, und dank des vielen Tees mit Rum war es sogar für mich einigermaßen erträglich. Ich frage mich nur, wann ich mir diese lästige Erkältung zugezogen habe – ich tippe mal auf vergangenen Freitag als Ankunftszeitpunkt.

      Nein, ich habe da nachmittags nicht mit hochrotem Kopf über einem Text gebrütet, wie du fälschlicherweise vermutetest, sondern ich lag bleich und blutleer auf meinem Sofa, wie von Dracula ausgesaugt.

      Am Vormittag hatte ich noch ein Meeting in der Agentur, anschließend stand ein zweistündiges Tennis-Match mit Georg auf dem Programm und danach wurde ich für einen guten Zweck bei einem Wohlfahrtsverband erwartet.

      Aber, du kennst ja Georg – wenn der ins Erzählen kommt, kann man einpacken, im wahrsten Sinne des Wortes.

      Wir hatten gerade den ersten Satz beendet, da fing er mit dem ersten Satz an, dem ersten Gesprächssatz!

      Wir beschlossen daher, unser Match zu beenden, packten Schläger und Bälle wieder ein und wechselten an die Club-Bar, wo er dann bei einigen Gläsern Mineralwasser so richtig lossprudelte – ich hatte hinterher ganz feuchte Backen!

      Georg, der tags zuvor im Auftrag der Agentur in Nürnberg unterwegs war, berichtete mir nun in aller Ausführlichkeit, mit welcher Mühe er sich durch die Fußgängerzone hatte quälen müssen, um abends noch rechtzeitig seinen ICE nach München zu erhaschen. Was ihn so maßlos in Rage versetzte, war weniger der Rummel am Christkindlmarkt – obwohl der noch gar nicht eröffnet hatte –, nein, seine unbändige Wut richtete sich vielmehr gegen die Armada von Spenden-Aktivisten, die aus ihren provisorischen Partyzelten schossen und direkt Kurs auf ihn nahmen, mit dem Ziel, sein zügiges Voranschreiten Richtung Bahnhof zu unterbinden.

      »Es war der reinste Spießrutenlauf, alle wollten meinen Geldbeutel entern!«

      Er lief jetzt zur Hochform auf:

      »Pausenlos standen dir ein paar ‚Hampelmänner’ im Weg, die mit Händen und Füßen fuchtelnd auf sich aufmerksam machten und dich mit simplen Fangfragen zum Stehenbleiben nötigten!« Rate mal, wie unser armer Georg diese aggressiven Anpöbeleien abkonterte?

      Als man ihn fragte, ob er Tiere möge, entgegnete er freundlich: »Nur gut durchgebraten!«

      Dieselbe Antwort gab er übrigens auch ein paar Schritte weiter auf die Frage, ob er Kinder liebe! So erreichte er schließlich doch noch pünktlich das rettende Bahnhofs-Ufer!

      Irgendwie verstehe ich meinen Kollegen und seinen heiligen Zorn auf diese unselige Inflation des Spendeneintreibens.

      Vor allem, wenn man weiß, dass er selber drei Kinder, vier Haustiere und fünf Patenschaften in Asien und Afrika zu betreuen hat, dafür aber nur eine Frau!

      Außerdem überweist er regelmäßig, so wie wir ja auch, Spendenbeträge an diverse Hilfsorganisationen, und das ohne viel Worte darüber zu verlieren. Mehr geht nicht!

      Ein verstohlener Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es nun aber wirklich allerhöchste Eisenbahn war, mich von Georgs spritzigem Redeschwall abzukoppeln, um noch halbwegs pünktlich beim nächsten Date zu erscheinen.

      »Wohin musst du denn noch so dringend?«, fragte er mich etwas ungnädig, als ich recht abrupt und hektisch vom Barhocker aufstand und mir dabei die Wangen abtrocknete.

      »Zur Blutspende«, erwiderte ich nüchtern!

      Ich hatte es mir gerade auf der Entnahmeliege so richtig gemütlich gemacht, da tanzten auch schon zwei nicht mehr ganz so taufrische Krankenschwestern wie die Vampire um mich herum – eine hatte wirklich stechende Augen und Eckzähne der Kategorie »extralang« –, vermutlich auf der Suche nach einer geeigneten Biss-, sorry, ich meine natürlich Einstichstelle!

      Die Blutentnahme selbst verlief problemlos, nur war ich mir danach nicht mehr so ganz sicher, ob man mir statt der vereinbarten 500 ml eventuell versehentlich 5 Liter abgesaugt hatte.

      Allerdings, ich hätte es mir eigentlich denken können, stieß meine scherzhafte Nachfrage bezüglich der tatsächlichen Entnahmemenge nicht wirklich auf verständnisvolle Ohren.

      Der »Vampir« mit dem Röntgenblick und den auffälligen Eck-Beißerchen machte mir in aller Schärfe klar, dass solch ein Versehen bei ihr unmöglich sei!

      Aus meinem kleinen Scherz wäre beinahe noch blutiger Ernst geworden. Daher schien es mir nun unangebracht, die anschließend vorgesehene Entspannungsphase mit kleinem Imbiss in Anspruch zu nehmen – die »Bissgurke« auf zwei Beinen lag mir schon schwer genug im Magen!

      So habe ich mich also in einem günstigen Moment aus »Draculas Reich« verdünnisiert und die Flucht nach Amora angetreten. Matt und müde bin ich aufs Sofa im Arbeitszimmer geplumpst und sehnte mich nach einem üppigen Abendessen – eine Sehnsucht, die sich schon zwei Stunden später erfüllte.

      Da saßen wir nämlich an unserem Lieblingstisch im »Etoile« und haben ausgiebigst geschlemmt!

      Gut gestärkt und bestens gelaunt ging’s dann noch auf ein paar Cocktails zu Toni an die Bar.

      Tja und dann …

      Man muss sich wirklich wundern, welch ungeahnte Kräfte der Genuss dreier »Latin Lover« bei mir freisetzte!

      Am Samstagmorgen war ich nach unseren nächtlichen »Leibesübungen« noch dermaßen ausgelaugt, dass beim Aufstehen mein Blutdruck richtig in den Keller sackte und ich alles doppelt sah – genauso wie vor über 23 Jahren!

      Nur damals war meine Sichtweise korrekt, wie das Ultraschallbild zweifelsfrei zu erkennen gab.

      Die freudige Nachricht, dass sich bei uns Zwillinge ankündigten, hatte mich tatsächlich ohnmächtig werden lassen! Oder lag es doch eher an dem fürchterlichen Mundgeruch der Arztassistentin?

      Wie dem auch sei, ohnmächtig fühlte ich mich auch neun Monate später, genauer gesagt am 17.04.1988 um 15.15 Uhr, als du so tapfer und bravourös Leonie und Lukas ans Tageslicht befördertest – ein doppelter »Glückswurf«!

      Ich durfte die beiden Sonntagsbabys dann baden, wodurch sie unfreiwilligerweise baden gingen und ihren ersten Tauchkurs absolvierten – ein Glück, dass die Hebamme sofort zur Stelle war und rettend eingriff. Nach diesem traumatischen Erlebnis, das beinahe zum persönlichen »Waterloo« für mich geworden wäre, bin ich schnurstracks zu Toni an die Bar geflüchtet und habe mir hastig zwei »Baby Pool« reingezogen!

      Ach Nora, wenn ich daran zurückdenke, fangen meine Hände wieder an zu zittern.

      Verstärkt wird dieses momentane Tremolo sicher

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