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Tränen. Die Fenske-Brüder lachten.

      Er hatte keine Ahnung, was er da aß, und kaute vorsichtig auf der klumpigen Masse herum, bevor er sie hinunterwürgte. Er wunderte sich, dass das Zeug bitter schmeckte, nach abgestandenen süßen Mandeln.

      Die Fenske-Brüder schlugen sich vor Begeisterung gegenseitig auf die Schultern. Das Gesicht des dummen Schwaben würden sie nie vergessen. Während Dante sein Smartphone aus der Hosentasche zog, um Bilder zu machen, begann ihr Opfer zu würgen.

      Der Junge, der an diesem Tag fast sein wichtigstes Radrennen gewonnen hätte, brach zusammen, krümmte sich und röchelte. Sein Körper krampfte. Schaum quoll zwischen den Lippen hervor. Die Augen fanden keinen Halt mehr und schienen dem Kopf entfliehen zu wollen.

      »Das Opfer hat voll den Anfall«, meinte Dante und zoomte das Gesicht näher heran. Doch dann schien ihn eine innere Stimme zu warnen. Ruckartig zog er seinen Bruder an der Jacke.

      Die Tüte mit den Leckerlis fiel Marcus aus der Hand. »Lass uns abhauen! Hier läuft was schief! Um den können sich andere kümmern.«

      Dante rannte los. Marcus bückte sich, um die heruntergefallene Packung wieder aufzuheben. Aber das erstickende Gurgeln aus Sebastians Mund hielt ihn davon ab. Er hastete, so schnell er konnte, seinem Bruder hinterher, ohne sich auch nur einmal umzudrehen.

      Im gesamten Helmholtzkiez gab es nur einen Bäcker, der Schrippen nach der traditionellen Methode zu backen verstand. Feste, knusprige, gelbbraune Schrippen und Knüppel, die nach Sonne und Handarbeit schmeckten. Nicht vergleichbar mit jenen industriell gefertigten Backlingen, die wie Bauschaum aufquollen und ihren Geschmack Verdickungsmitteln, Emulgatoren und Aromen verdankten.

      Bis zu diesem Bäcker lief Kriminalhauptkommissar Hans Morgenstern bequem eine Viertelstunde. An diesem Sonntagmorgen genoss er den kleinen Spaziergang durch seinen Kiez ganz besonders. Es war das erste freie Wochenende, nachdem es ihm gelungen war, den Mörder einer Rentnerin zu überführen, der vor mehr als zwei Jahrzehnten seinem sadistischen Verlangen nachgegeben hatte. Der nette Nachbar von nebenan hatte der Rentnerin geholfen, den schweren Einkauf in die Wohnung zu bringen. Der Familienvater mit dem freundlichen Gesicht. Höflich und zuvorkommend.

      Wie viele seiner Kollegen hatte Morgenstern es sich zur Angewohnheit gemacht, ab und an unaufgeklärte Verbrechen aus der Vergangenheit zu bearbeiten. Die sogenannten kalten Fälle ließen ihm keine Ruhe. Routinemäßig hatte er einen Datenabgleich genetischer Fremdspuren vorgenommen, die an unterschiedlichen Tatorten gefunden worden waren. Dabei hatte plötzlich der Bildschirm aufgeleuchtet. Ein Mann war schon zweimal in Erscheinung getreten. Zwar war er nicht als Täter registriert, aber als eine jener Personen, die durch ihre Anwesenheit den Tatort mit DNA verschmutzt hatten. In beiden Fällen war eine Rentnerin erdrosselt worden. Das hatte ihn auf die Spur des Mörders gebracht.

      Aber nun war Wochenende. Anna wartete auf ihn. Sie würde es nicht dulden, dass er auch nur einen einzigen Gedanken an irgendwelche Ermittlungen verschwendete.

      Die Anzahl der Wartenden vor dem Bäcker war überschaubar. Wie immer zog er eine Sonntagsausgabe aus dem Zeitungsständer, um die aktuellen Fußballergebnisse zu studieren, und stellte sich ans Ende der Schlange.

      Die wenigen Minuten, die er warten musste, gehörten genauso zu seinen liebgewordenen Gewohnheiten wie das Studium der Spielberichte.

      Den überwiegenden Teil der Zeitung überließ er Anna, die sich stets eingehend mit politischen Analysen und Berichten über Wirtschaftsentwicklungen beschäftigte. Sie liebte es, selbst wenn es warm war, mit einer Decke um die Beine geschlagen am Frühstückstisch zu sitzen und zu lesen. Ohne ihn anzusehen, äußerte sie dabei regelmäßig ihr Erstaunen oder Missfallen. Sie erwartete, dass er zuhörte, nicht, dass er ihre Bemerkungen ausführlich kommentierte. Mehr als einer kurzen verbalen Kenntnisnahme wie »So«, »Aha« oder »Tatsächlich« bedurfte es nicht.

      Vom ersten gemeinsamen Wochenende an zelebrierten sie, sooft es Morgenstern möglich war, den Sonntagmorgen. Genau genommen, hatte Anna ihn zum Zeremonienmeister ernannt, der den Frühstückstisch einzudecken hatte. Sobald alles vorbereitet war, ließ sie sich sanft wecken. Dann setzte sie sich mit einem glücklichen Lächeln erwartungsvoll auf ihren Lieblingsplatz. Mit kindlicher Begeisterung wunderte sie sich über die frischen Schrippen, schnupperte an der Kaffeekanne und prüfte die Wärme des Frühstückseis. Anschließend küsste sie ihn und streckte ihm wortlos ihre Tasse entgegen. Sie genoss die Sonne, die im Juni beinah eine Stunde lang durchs Fenster schien, bevor sie hinter der Dachecke verschwand. Tatsächlich war es in diesem Jahr ungewöhnlich heiß für Anfang Juni. Auf Morgensterns Behauptung, dass es sich bei dieser Hitzewelle um den Sommer handle, hatte Anna mit gekreuzten Zeigefingern und den Worten »Teufel, weiche von dannen!« reagiert.

      Morgenstern lächelte bei dem Gedanken an Anna und bemerkte erst, als jemand sich laut räusperte, dass der Abstand zu seinem Vordermann unverhältnismäßig groß geworden war. Er reagierte nicht darauf, überflog stattdessen erneut die Überschriften einzelner Artikel und faltete anschließend fast pedantisch die Zeitung in ein übersichtlicheres Format. Dann schloss er langsam auf.

      Ein paar Mütter schoben ihre Kinderwagen nebeneinander über den Bürgersteig. Offensichtlich waren sie auf dem Weg zum Spielplatz. Rücksicht auf andere Passanten nahmen sie nicht. Diese wurden genötigt, sich an die Hauswand zu drängen oder zwischen den parkenden Autos zu warten, bis der Weg wieder freigegeben war. Fast schien die Lage zu eskalieren, als den energisch voranschreitenden Müttern ein Fahrradfahrer entgegenkam und abrupt bremsen musste. Es gab keine Lücke, um sich durch die bedrohliche Formation des Kampfgeschwaders Helmholtzkiez zu zwängen. Wütende Worte wurden gewechselt. Lattemacchiato-Mamas gegen Fahrradrowdys – ein typisches Prenzelberger Geplänkel. Morgenstern beobachtete eine Weile amüsiert das Geschehen.

      Kurz bevor er der Verkäuferin den Leinenbeutel über den Tresen reichen konnte, begann sein Handy zu klingeln. Verwundert starrte er auf den Namen, der auf dem Display erschien. Es musste wichtig sein, wenn ihn der Chef des Landeskriminalamts 1, Max Herting, an einem Sonntagmorgen anrief.

       ° ° °

      Das Foto zeigte eine nachdenkliche Frau mittleren Alters. Es sah etwas mitgenommen aus. Die Ecken und Ränder waren angestoßen, die Farben verblasst. Der beim Falten entstandene Knick hatte das Bild in der Mitte geteilt. Zum Zeitpunkt der Aufnahme hatte der Wind das schulterlange Haar der Frau zerzaust, und ihre rechte Hand versuchte hilflos, dem Chaos ein wenig Ordnung aufzuzwingen. Müde und vorwurfsvoll starrten ihre Augen in seine Richtung.

      Die Frau stand vor einem geschlossenen Kiosk, der im Sommer exotische Eissorten anbot. Sie mochte am liebsten Cassis und Stracciatella. Nur diese Sorten hatte sie akzeptiert. Egal, wie lang die Schlange vor dem Kiosk gewesen war, für sie hatte er sich gern angestellt, obwohl er selbst kein Eis aß. Meist hatte sie auf einer Bank gewartet und auf das Meer hinausgeschaut. Sie hatte es genossen, wenn der Sommerwind ihr ins Gesicht blies. Das war in den guten Zeiten gewesen.

      Nachdenklich betrachtete der Mann erneut das Foto. Es erschreckte ihn, dass die Erinnerungen zunehmend blasser wurden. Beinahe vier Jahre war es her, dass er die Aufnahme gemacht hatte. Auf der Rückseite stand mit Bleistift geschrieben: Ostseebad Sellin, Oktober 2010.

      Ihre Enttäuschung in jenem Herbst war groß gewesen, als sie an dem Kiosk, dessen Fassade mit aufgemalten blauen Muscheln, lustigen Fischen und Seesternen geschmückt war, einen Zettel entdeckt hatte. Die Inhaber hatten sich bis zum Frühjahr von den Gästen verabschiedet. Aber das war nicht der eigentliche Grund ihrer Traurigkeit gewesen.

      Obwohl sie energisch protestiert hatte, war es ihm gelungen, das Foto zu schießen. In jenem verfluchten Oktober.

      Hier am Meer hatte er gehofft, die Ereignisse der vorangegangenen Wochen ein paar Tage vergessen zu können. Eine Illusion, wie sich später herausgestellt hatte. Sie waren stundenlang schweigend nebeneinander am Strand entlanggelaufen. Es war ihr letzter gemeinsamer Urlaub gewesen, wenn man es überhaupt so nennen konnte. Zu jenem Zeitpunkt hatte der Mann nicht geahnt, dass es das letzte Foto war, das er von ihr machen würde.

      »Dich

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