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starrte mich an, als wäre ich wirklich verrückt. „Hast du das alles vergessen?“, fragte sie leise. „Du kannst das doch nicht alles vergessen haben.“

      „Natürlich nicht, aber …“

      „Ohne dich hätte ich heute nicht ein paar lächerliche Brandwunden, sondern einen Platz auf dem Friedhof.“

      „Das war selbstverständlich, Sandra.“

      „Ein Scheiß war das. Ich will dir mal was sagen, mein Freund. Als ich dich kennengelernt habe, war das Erste, was Mark mir über dich gesagt hat, dass deine Frau gerade ermordet worden war. Ich habe dich nie glücklich gekannt. Nie. Und trotzdem, trotz allem, was passiert ist, und allem, was du … vorhattest, warst du als Einziger da, als wir dich gebraucht haben. Seit ich aus diesem Krankenhaus raus bin, ist mein Leben nur immer besser geworden. Ich bin gesund geworden. Mark ist bei mir, wir haben geheiratet.“

      „Oh, habt ihr?“

      „Ja, haben wir, hat Mark dir auch geschrieben. Aber du hast seine Briefe ja wohl nicht mehr geöffnet. Ich bin glücklich. Und das verdanke ich dir. Und dich haben sie eingesperrt. Mir ist egal, was du getan hast. Ich weiß nur, dass du deine Sarah rächen wolltest, und es interessiert mich nicht, wie du es getan hast. Du hast uns geholfen. Jetzt helfen wir dir.“

      Was hätte ich darauf sagen sollen? Dass in all meiner Dunkelheit damals die Liebe zwischen den beiden das einzige Gute war? Ein schöneres Licht als die grelle Fröhlichkeit, die ich beim Töten empfand. Das einzig Schöne in einer ekelhaften, dunklen Welt. Mark, der an Sarahs Grab hinter mir gestanden hatte. Sandra, die mich getröstet hatte. Wer immer ihnen etwas antun wollte, hatte mich zum Todfeind. Was hätte ich ihr sagen sollen?

      „Ihr wart für mich da, ich bin für euch da. Ihr schuldet mir nichts.“

      „Das sehe ich etwas anders.“ Sie legte beide Hände auf meine. „Außerdem bin ich einfach froh, dass du raus bist. Ich habe dich vermisst.“ Ich grinste sie an. „Damit bist du wahrscheinlich ziemlich alleine.“

      Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht. Die haben damals ein Monster aus dir gemacht. Aber wenn jemand Mark so etwas antun würde, würde ich auch zur Bestie.“

      „Vielleicht“, sagte ich, aber ich wusste, dass sie irrte. Mochte sein, dass sie es dachte. Aber sie war nicht dort gewesen. Sie hatte nicht gesehen, was ich getan hatte. Und sie hatte es nicht gefühlt. Vielleicht war sie in der Lage, jemanden für Mark zu töten. Aber würde sie dasselbe dabei erleben? Dieses warme Gefühl, das Richtige zu tun, dieses Glück, wenn die Erkenntnis, dass alles verloren ist, in den Augen der Beute aufdämmert? Wenn es nach mehr schmeckte, nach mehr, mehr, mehr? Ich hoffte, nicht. Ich hoffte es für sie.

      „Ganz sicher“, sagte sie.

      Ich zwang mich zu einem Lachen. „Ich bin jedenfalls froh, dass ihr mir helft.“

      Wir saßen nebeneinander und hingen unseren Gedanken nach, bis sie plötzlich ausgiebig gähnte.

      „Au Mann“, sagte sie, „ich sollte dir langsam von dem Plan erzählen, bevor ich einschlafe.“

      „Dem Plan?“

      „Ja klar. Meinst du, wir haben dir ein Hotelzimmer besorgt und das war’s? Nein, wir werden dir helfen, unterzutauchen. Wir verstecken dich fürs Erste für ein, zwei Jahre auf Mallorca.“

      Ich erschrak. „Zwei Jahre? Mallorca? Das geht nicht!“

      Sie lächelte mich nachsichtig an. „Was glaubst du eigentlich, was du für die guten Menschen hier bist, Sergej? Du bist das Monster. Jeder brave Papa wird dich in den Büschen suchen, wenn er seine Kinder zur Schule bringt, jede Frau wird denken, dass du es bist, der im Dunkeln hinter ihr geht. Die Kinder werden Geschichten über dich erzählen, Witze und Lieder erfinden. Du wirst erst mal gejagt werden wie kein Zweiter. Wir werden zehntausend Mal verhört werden, nur weil wir deine Freunde sind. Und dann, nach einiger Zeit, folgt das Desinteresse. Bis dein Gesicht in, Aktenzeichen XY‘ und so auftaucht und das ganze Spiel von vorne beginnt. Ich sagte fürs Erste. Entweder, das Interesse an dir ist bis dahin abgeflaut, oder Mark schafft dich irgendwo in den Osten. Das braucht bloß etwas mehr Organisation, aber …“

      „Auf keinen Fall. Ich habe noch was zu tun.“

      „Was? Was hast du denn bitte zu tun?“ Sie sah mich forschend an. „Oh, ich verstehe“, sagte sie schließlich leise, „es sind noch welche übrig, oder?“

      Ich sagte nichts.

      „Vergiss es. Du wirst niemanden jagen, wenn dir dein Leben lieb ist. Herrgott, was denkst du eigentlich? Dass du einfach durch die Straßen spazieren und Leute suchen kannst? Du musst von der Bildfläche verschwinden. Du hast sonst keine Chance, siehst du das denn nicht?“

      Ich sah es, aber ich sagte nichts.

      Sie legte ihre Hände auf meine Wangen.

      „Bitte, Sergej. Du bist seltsam, sehr mutig und geschickt, aber du bist nicht unverwundbar. Ich … wir haben Angst um dich. Ich will nicht dein Foto in, Bild‘ sehen und daneben dann lesen ‚Deutschland jubelt – die Bestie ist tot‘ oder so was. Lass uns dich verstecken.“

      Ich überlegte lange, obwohl ich wusste, dass sie Recht hatte. Ich musste zustimmen.

      Sie erklärte mir den ganzen Plan. Am nächsten Tag würde sie zum Flughafen nach Amsterdam fahren. Mich wollte sie an einer Autobahnraststätte nahe Köln als Anhalter aufpicken. Ich war erstaunt.

      „Seit wann nimmst du Anhalter mit?“

      Sandra verdrehte die Augen. „Seit wir deine Flucht planen. Wer immer sich über uns informiert, weiß, dass wir die Engel der Landstraße sind. Das ist ein Mist, sage ich dir. Gottlob gibt es nicht mehr viele.“

      Von Amsterdam aus würde ich via Quick Check-in nach Madrid fliegen. Dort war bei einem Botendienst der Schlüssel zu einem Schließfach hinterlegt – und ein Ticket nach Mallorca. Freunde von Mark, Engländer, hatten dort ein Haus in den Hügeln, weitab vom Trubel. Mark hatte ihnen schon vor einiger Zeit eine rührselige Geschichte von einem weißrussischen Kollegen namens Sergej erzählt, der große Probleme zu Hause hatte und vielleicht irgendwann würde untertauchen müssen. Die Freunde, er Schriftsteller, sie Journalistin, beide sehr hilfsbereit, hatten sofort erklärt, dass sie gerne eine Weile für den guten Zweck auf ihr Feriendomizil verzichten würden.

      „Schreib ihnen mal eine Karte in gebrochenem Englisch“, schlug Sandra vor, „dann freuen sie sich.“

      Ich wusste, dass Mark schon lange bei ‚Reporters sans frontiers‘ engagiert war, ich hatte ihn früher manchmal damit aufgezogen und wunderte mich nun ein wenig.

      „Ihr bescheißt eure Freunde und Mark verrät seine gute Sache? Klingt gar nicht nach euch.“

      „Es gibt gute Freunde und bessere Freunde und gute Sachen und bessere Sachen“, sagte sie knapp.

      Mir fiel noch etwas ein. „Wovon soll ich leben?“

      Sie lachte. „Oh, du bist ziemlich wohlhabend, weißt du?“

      Stimmt, so was hatte Mark auch geschrieben. „Meinst du Sarahs Lebensversicherung? Die …“

      „Nein, nein.“ Sie lächelte wieder, aber diesmal etwas bitter. „Du hast Fans. Oder du hattest welche. Die sahen in dir einen strammen Lawand-Order-Typ, Marke ‚Das Gesetz bin ich‘. Es gab einen Unterstützungsfonds, und dem hat ein vergreister, stinkreicher Sack einen Teil seines Vermögens vermacht. Der hat so ziemlich jedem rechten Sammler irgendwas vermacht, und deine Fans gehörten eben auch dazu. Er ist letztes Jahr gestorben. Mark hatte Kontakt zu ihm, und er hat es geschafft, über irgendwelche Strohmänner und zwischengeschaltete Anwälte dein Treuhänder zu werden.“

      „Mit dem Konto werdet ihr kaum was anfangen können. Es wird garantiert überwacht.“

      Sie lachte gallig. „Unterschätz mir die Typen nicht. Du hast einige Konten in mehreren Ländern und auch Immobilien

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