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Expertinnen und Experten ohne implizites herkunftssprachliches Wissen sind hingegen nur zu rezeptiven herkunftssprachlichen Beiträgen in der Lage.

      Bedingung 7: Die Einbindung herkunftssprachlicher Daten in den Deutschunterricht kann rezeptiv und/ oder produktiv erfolgen

      Damit gelangt man zu folgendem Zusammenhang zwischen Arten des herkunftssprachlichen Wissens, unterrichtlicher Schülerrolle und rezeptiver bzw. produktiver Einbindung:

herkunftssprachl. Wissen nichtverb. → implizit → InformantIn produktiv & rezeptiv
verb. → explizit fachspr. → ExpertIn nur rezeptiv
nicht-fachspr.

      Tab. 2: Arten des herkunftssprachlichen Wissens, (der) unterrichtliche(n) Rolle und (der) produktive(n) Einbindung

      4 Abschließende Überlegungen

      Wie hängen nun diese im vorhergehenden Abschnitt thematisierten Bedingungen zusammen? Wie lassen sie sich systematisch aufeinander beziehen und welche Konsequenzen resultieren aus ihren Kombinationsmöglichkeiten? Zur Beantwortung dieser Fragen bedarf es einer Modellierung, die unterschiedliche Ausgangspunkte einnehmen kann.

      Insgesamt lassen sich die Bedingungen aus Abschnitt drei zusammenfassen als jeweils schüler-, lehrer- und herkunftssprachenbezogene Gruppen. Die Bedingungen zwei und drei thematisieren Fragestellungen, die den Herkunftssprachen selbst, ihren typologischen Merkmalen und adressierten sprachlichen Ebenen zugrunde liegen. Die übrigen Bedingungen beziehen sich auf die am Unterricht beteiligten Schülerinnen und Schüler sowie ihre Lehrerinnen und Lehrer. Damit betreffen sie in einer klassischen didaktischen Modellierung die Pole Unterrichtsgegenstand, Lehrerinnen und Lehrer bzw. Schülerinnen und Schüler, wie sie in den verschiedenen Varianten des didaktischen Dreiecks dargestellt werden. Das didaktische Dreieck hat in der didaktischen Theoriebildung eine lange Tradition, die nach Hudson & Meyer (2011: 18) in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts beginnt bzw. die Zierer (2013: 209) bereits auf die Antike zurückführt. Im 20.Jahrhundert erlebte es zunächst eine erste Hochzeit, doch schon bald wurde es als zu simpel und trivial geschmäht (Sünkel 2002: 64). Mit Beginn der 1980er Jahre wurde es erneut aufgegriffen und insbesondere im Kontext der Internationalisierung von Allgemeiner Didaktik und Lehr-Lern-Forschung sowie im neuen Dialog dieser beiden „fremden Schwestern“ (Terhart 2005) als gemeinsamer kleinster Nenner aufgegriffen. Vielfach wird es – trotz aller Kritik (Gruschka 2002: 105) – als Ausgangspunkt für weiterführende Modellierungen didaktischer Theorien genutzt (u.a. Meyer 2005, Zierer 2013) und so soll es auch hier verstanden werden.

      In einer auf das Minimum reduzierten, nur auf die sprachlichen Merkmale ausgelegten, letztlich an das didaktische Dreieck angelehnten Form, bedeuten meine eben dargestellten Überlegungen den wechselseitigen Bezug von didaktischem Konzept und damit verbundenen Lernzielen, den am Unterricht prinzipiell beteiligten Sprechern und dem Inhalt, d.h. der Sprache selbst.

      Die Wahl des didaktischen Konzepts lässt sich grob einteilen in sprachmittelnde, sprachreflexive und/oder interkulturelle Ansätze, die entweder herkunftssprachliche Aspekte vermitteln oder reflektieren wollen und ggf. (zusätzlich) auf interkulturelle Aspekte eingehen. Die Entscheidung, ob sprachmittelnd oder (sprach-)reflexiv gearbeitet werden soll, hängt zum einen von den schüler- wie lehrerseitigen herkunftssprachlichen Voraussetzungen, zum anderen von den Sprachen selbst ab. Bei ersteren entscheiden Hintergrundmerkmale, wie herkunftssprachliche Literalisierung, über die Möglichkeiten ihrer Adressierung (Informantin, Informant, Expertin, Experte etc.), ihres medialen Einbezugs (schriftlich oder mündlich) und ihres produktiven bzw. rezeptiven Zugriffs (haben sie beispielsweise ausreichend „Sprachgefühl“ in ihrer Herkunftssprache oder sollen Materialien zur Verfügung gestellt werden?). Im Falle der unterrichtlich zu behandelnden Sprachen spielen sprachtypologische Merkmale (z.B. Vergleich zwischen agglutinierender und fusionierender Sprache) sowie die adressierte linguistische Ebene (Phonologie, Syntax etc.) eine Rolle. Wir gelangen zu folgender Darstellung:

      Abb. 1: Bedingungsfaktoren für die Einbindung von Herkunftssprachen in den Deutschunterricht

      Nimmt man die oben formulierten Bedingungen an die deutschunterrichtliche Einbindung von Herkunftssprachen und damit die Möglichkeit eines herkunftsspracheneinbindenden Deutschunterrichts ernst, so ergeben sich Konsequenzen für die Deutschdidaktik, die Entwicklung von Curricula, die Lehrerausbildung und die Vermittlung von Lehrerprofessionalität. Deutschdidaktisch gilt es, diejenigen Unterrichtsinhalte und Kompetenzbereiche zu identifizieren, in denen die herkunftssprachliche Einbindung besonders gewinnbringend ist. Im vorliegenden Beitrag wurde aus fachlicher Perspektive nur für den Bereich der Sprachreflexion argumentiert, wobei auch die Bereiche Umgang mit Texten, Schreiben und Sprechen/Zuhören einzubeziehen sind. Sollten Herkunftssprachen systematischer einbezogen werden, so müsste dies stärker als bisher curricular implementiert und in der Lehrerausbildung verankert werden.

      Literatur

      Abraham, Ulf / Bremerich-Vos, Albert / Frederking, Volker / Wieler, Petra (eds.). 2003. Deutschunterricht und Deutschdidaktik nach PISA. Freiburg/Br.: Fillibach.

      Becker-Mrotzek, Michael / Grabowski, Joachim / Steinhoff, Torsten (eds.). 2017. Forschungshandbuch empirische Schreibdidaktik. Münster: Waxmann.

      Becker-Mrotzek, Michael / Knopp, Matthias. 2018. „Theoretische und empirische Perspektive auf Inklusion. Ein Systematisierungsversuch aus Sicht der Sprachdidaktik“, in: Didaktik Deutsch, 84-100.

      Becker-Mrotzek, Michael / Schramm, Karan / Thürmann, Eike / Vollmer, Helmut (eds.). 2013. Sprache im Fach. Fachlichkeit und sprachliches Lernen. Münster: Waxmann.

      Becker-Mrotzek, Michael / Schramm, Karen / Thürmann, Eike / Vollmer, Helmut. 2013. „Sprache im Fach: Einleitung“, in: Becker-Mrotzek / Schramm / Thürmann / Vollmer 2013, 1-15.

      Behr, Ursula. 2011. „Sprachenübergreifendes Lernen aus der Sicht des muttersprachlichen Deutschunterrichts in der Sekundarstufe I“, in: Rothstein, Björn (ed.): Sprachvergleich in der Schule. Hohengehren: Schneider, 71-88.

      Binanzer, Anja / Gamper, Jana / Wecker, Verena. 2013. „Kasus als Unterrichtsgegenstand in der Grundschule – ein Vorschlag für einen integrativen Ansatz im multilingualen Sprachunterricht“, in: Köpcke, Klaus-Michael / Ziegler, Arne (eds.): Schulgrammatik und Sprachunterricht im Wandel. Berlin / Boston: De Gruyter, 253-274.

      Binanzer, Anja / Gamper, Jana / Wecker, Verena. 2014. „Die Schwester küsst den Bruder. Durch sprachvergleichenden Deutschunterricht zum Akkusativ“, in: Deutsch Differenziert, 32-37.

      Bredel, Ursula. 2014. „Anspruch und Wirklichkeit – Debattenbeitrag zu den Bildungsstandards“, in: Didaktik Deutsch, 36, 5-8

      Brehmer, Bernhard / Mehlhorn, Grit. 2018. Herkunftssprachen. Tübingen: Narr.

      Bremerich-Vos, Albert. 2014. „Revision der Bildungsstandards?– Zurzeit nicht vordringlich“, in: Didaktik Deutsch, 36, 9-12.

      Brizić, Katharina / Lo Hufnagl, Claudia. 2018. „Profile der Vielsprachigkeit und Bildungserfolg“, in: Gessner, Elisabeth / Giambalvo Rode, Jenny / Kuhley, Horst P. (eds.): Atlas der Mehrsprachigkeit. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 223-240.

      Büttner, Denise / Gürsoy, Erkan. 2018. „Mehrsprachig-inklusive Sprachbildung: Ein (Zukunfts-)Modell“, in: Gutzmann, Marion (ed.): Sprachen und Kulturen. Frankfurt/Main:

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