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sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können“, verkündet Nietzsches Zarathustra. „Ich sage euch: ihr habt noch Chaos in euch.“1 In das Jahr 1870 fällt die erste Überlegung Richard Wagners, Bayreuth zum Schauplatz seiner Festspiele zu machen. Seitdem ist er gedanklich in der oberfränkischen Stadt. Doch lange vor Bayreuth ist bereits die Festspielidee entstanden. Ihrer Verwirklichung widmet Wagner nun seine ganze Lebenskraft, der rastlose Bohémien wird dabei zum guten Stadtbürger. Bei der Finanzierung geht er revolutionäre Wege. Politisch-gesellschaftlich sind die ersten Festspiele ein Erfolg, wirtschaftlich und künstlerisch ein Desaster. Das ändert sich bereits bei den zweiten, den Parsifal-Festspielen von 1882. Die Weichen für die Zukunft sind gestellt. Die Bayreuther Festspiele haben von vornherein einen politischen Charakter, wie auch Wagner selbst ein politischer Kopf war. Als er 1883 in Venedig stirbt, hat der Kampf um die Interpretation von Leben und Werk längst eingesetzt. Unbestritten ist, dass der Komponist zu den herausragenden Leitfiguren Deutschlands im 19. Jahrhundert gehört. Was Bismarck für die Politik bedeutete, stellte Wagner für die Kunst dar.

      Wagner und Bismarck

      Richard Wagner kam am 22. Mai 1813 zur Welt, wenige Monate vor der Völkerschlacht, die vor den Toren seiner Geburtsstadt Leipzig tobte. Otto von Bismarck erblickte zwei Jahre später das Licht der Welt, am 1. April 1815 in Schönhausen bei Stendal. Das Ende der Hoffnungen von 1813 war erreicht, der Wiener Kongress beendete vorerst die Träume von einem freiheitlichen Nationalstaat in der Mitte Europas und stellte die Weichen für die Restauration. Die Geburtsjahre haben symbolische Bedeutung.2 1813 war die Welt aus den Fugen, 1815 fügte sie sich wieder zusammen. Was Wagner, den Gärenden, und Bismarck, den Ordnenden, verband, war eine „epochale Unbeziehung“ (Dieter Borchmeyer)3. Dass die beiden Persönlichkeiten später gemeinsam zu Leitfiguren des 19. Jahrhunderts gekürt wurden, ist eine Ironie der Geschichte. „Sie hatten nichts miteinander zu tun und wollten letztlich nichts miteinander zu tun haben“, resümiert Lothar Gall, „und doch markierten sie bis zu ihrem Tode polare Spannungen in der deutschen Gesellschaft und im geistig-kulturellen Leben Deutschlands.“ 4 Dionysos und Apoll, der sächsische Musikant und der Alte aus dem Sachsenwald, der Gnom mit Samtbarett und der weißbärtige Mann mit Fistelstimme: Während sich Wagner musikalisch ausbilden lässt, studiert Bismarck Jura. Während Wagner auf den Dresdner Barrikaden steht und die Aristokratie zum Teufel wünscht, bekämpft der adelige Bismarck die Revolution als „Sünde“. Während der Kapellmeister ins Exil weicht, stellt der werdende Staatsmann energisch die Weichen für die deutsche Zukunft. Während Wagner die großen Städte als „Cancer [Krebs] eines Volkes“5 bezeichnet und seinem Förderer Ludwig II. gar empfiehlt, die königliche Residenz aus München in die fränkische Provinz zu verlegen, bereitet Bismarck Berlin auf seine Rolle als Reichshauptstadt vor. Während der Künstler Wagner nach eigenem Bekunden seinen „dreißigjährige[n] Zukunftsmusik-Krieg“6 austrägt, baut der Politiker Bismarck mit Eisen und Blut das europäische Machtgefüge um. Und während der Komponist zu seinen ersten Bayreuther Festspielen zahllose hochwohlgeborene Prominenzen begrüßen kann, bleibt der Reichskanzler dem Bayreuther Schauspiel demonstrativ fern und verweigert auch finanzielle Unterstützung.

      Einige Jahre vor der Festspieleröffnung war das Deutsche Reich gegründet worden, und wenige Wochen nach dem Akt von Versailles kam es zur ersten und einzigen Begegnung Wagners mit Bismarck. Der Komponist hatte dem Kanzler im Januar 1871 das Gedicht An das deutsche Heer vor Paris zukommen lassen, in dem er die Armee beziehungsreich als „Siege-Fried“ rühmt.7 Bismarcks Antwort ist verhalten diplomatisch, bringt Skepsis gegenüber Wagners Musikdramen zum Ausdruck und enthält nicht zuletzt eine denkwürdige Analogie von Politik und Kunst: „Auch Ihre Werke, denen ich von jeher mein lebhaftes, wenn auch zuweilen mit Neigung zur Opposition gemischtes Interesse zugewandt, haben nach hartem Kampfe den Widerstand der Pariser überwunden, und ich glaube und wünsche, dass denselben noch viele Siege, daheim und draußen, beschieden sein werden.“8 Das Treffen fand am 3. Mai 1871 in Berlin statt. Bismarck empfing den Künstler „mit derselben ausgesuchten Courtoisie, wie wenn er etwa den Minister eines verbündeten Staates zu begrüßen gehabt hätte“, hieß es später verklärend.9 Die Wahrheit war wohl etwas profaner. Bismarck und Wagner sprachen, wie sollte es anders sein, über Politik und Kunst. Der Komponist, so hielt Cosima in ihrem Tagebuch fest, sei „ganz entzückt von der echten Liebenswürdigkeit dieses Naturells“ gewesen und habe Bismarcks „herzlichste Mitteilsamkeit“ gerühmt. „Aber (…) wir können uns nur gegenseitig beobachten, jeder in seiner Sphäre, mit ihm etwas zu tun haben, ihn für mich zu gewinnen, meine Sache zu unterstützen ihn zu bitten, käme mir nicht bei.“10 Wenige Tage vor dem Treffen hatte Wagner endgültig beschlossen, sein Nibelungentheater in Bayeuth zu bauen, und die ersten Festspiele für 1873 angekündigt. Doch er wollte den Reichskanzler nicht offen um Geld bitten. „Ein Petitum hatte er nicht vorgebracht“, äußerte Bismarck später über die Begegnung. „Man setzte uns zusammen auf ein Sofa, und da dachte er wohl, dass sich zwischen uns ein Duett entspinnen würde, aber es kam anders. Der Meister der Töne erntete wohl von mir nicht genug Elogen, er kam nicht zur Entfaltung und ging enttäuscht.“11

      Solcherlei Treffen zwischen politischen Potentaten und Künstlern hatte es in der deutschen Geschichte schon mehrmals gegeben. Bach traf Friedrich den Großen, als dieser noch nicht groß genannt wurde, Mozart war bei Joseph II., Beethoven begegnete den Fürsten des Wiener Kongresses. Den Hintergrund bildete dabei stets das musikalische Interesse der Politiker.12 Das war bei Bismarck und Wagner anders – und das wirkte nach. Der Reichskanzler verkörperte für Wagner dauerhaft die „Missachtung seines Werkes“ durch das Reich.13 Was blieb, waren Ironie und Invektiven. Wagner war für Bismarck schlicht ein „Affe“, der Komponist wiederum titulierte den Fürsten als „Sauhetzer“ und „Bulldogg-Gesicht“.14 Bei allen Beschimpfungen hat sich Wagner auch immer wieder respektvoll, ja freundlich über ihn geäußert – kaum aber einmal, ohne zugleich seine eigene Bedeutung hervorzukehren: „Ich bin mit Bismarck der einzige Deutsche, der was wert ist“, sagte er.15 Die beiden großen Gestalten des 19. Jahrhunderts hatten persönlich wenig Gemeinsamkeiten, versuchten aber, sich gegenseitig zu benutzen: Wagner wollte von Bismarck politische Unterstützung für seine Kunst, Bismarck wiederum spannte den Künstler Wagner für seine politischen Zwecke ein. Selten genug, dass der Reichskanzler echtes Interesse an Kultur aufbrachte. Doch auch dann, wenn er es tat, waren seine Motive politischer Natur. Als ihn Wilhelm II. einige Jahre nach Wagners Tod fragte, wie er sich zu den Bayreuther Festspielen stellen solle, lehnte Bismarck eine zu große Nähe des Reichs als politisch gefährlich ab.16 So konnte Harry Graf Kessler zu Recht konstatieren: „Wirklich hatten Wagner und Bismarck in den Mitteln, mit denen sie wirkten, und auch in der Taktik, durch die sie siegten, manches gemein.“17

      In Bayreuth wirkten Wagners Aversionen nur kurz nach. Als beide Persönlichkeiten tot und die Festspiele finanziell gesichert waren, der Eiserne Kanzler sich in einen Mythos verwandelt hatte, wurde er eingemeindet. Im Programmheft von 1924 tönte ein Autor: „Wagners und Bismarcks Geist; nur sie zusammen schaffen uns Deutschen Heil!“18 Auch die Familie des Komponisten war nicht nachtragend. Siegfrieds Schwester Eva Chamberlain berichtete im Februar 1919, mitten in der Revolutionszeit, stolz von einer mächtigen Bismarck-Büste von Reinhold Begas, die sie geschenkt bekommen habe: „Als kräftigende Mahnung u. ermutigende Hoffnung steht nun dieser große Deutsche am Eingang in unser Haus. Mein Mann fand, dass wir ihrer täglichen Gegenwart bedurften. Vielleicht verscheucht er uns die Herrn Spartakuse, die ja nun auch hier ihr Unwesen trieben.“19

      Der politische Wagner: Ein Rückblick

      An Richard Wagner selbst hätten die „Spartakuse“ womöglich ihre Freude gehabt, wenngleich keine ungeteilte. Nach dem Scheitern der Revolution von 1848/49, an der er in Dresden führend teilgenommen hatte, propagierte der Komponist die „Erlösung in den Kommunismus“20 – auch wenn er den Begriff als Gegenbild zum gesellschaftlichen Egoismus verstand und die marxistische „Lehre der mathematisch gleichen Verteilung des Gutes und Erwerbes“ als sinn- und gedankenlos ablehnte.21 Ob Wagner nun Revolutionär oder Reformer, Sozialist oder Protofaschist war, ist noch immer höchst umstritten. Seine politische Haltung, sein

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