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Prägung Wagners für die Entwicklung der Festspiele in den Blick nimmt, muss umgekehrt die Frage stellen, wie weit Wagner erst durch den wichtigsten Ort seiner Wirkungsgeschichte zu dem wurde, was er ist. Ohne Bayreuth gäbe es zwar immer noch den berühmten Opernkomponisten Richard Wagner, seine Weltanschauung hätte aber keine auch nur annähernd vergleichbare Wirkung entfaltet. „Hätte Wagner nur kunstphilosophische, kulturpolitisch-politische Schriften hinterlassen“, fasst Wolfgang Altgeld zusammen, „so würde kaum jemand zögern, ihn zu den kulturpessimistischen und entschieden antimodernistischen Vorläufern deutsch-völkischer Weltanschauung zu zählen, ihm dann aber auch keine besondere Wegbereiterfunktion zuordnen wollen.“72 Dass die Wagnerbewegung im Kaiserreich nicht als Rinnsal wieder versickerte, führt Hildegard Châtellier in erster Linie auf die „permanente Reaktualisierung eines weltanschaulichen Fundus im Medium der Kunst“73 zurück – genau diese Funktion übte Bayreuth aus. Vor diesem Hintergrund überrascht es wenig, dass die bleibenden Vorbehalte in Israel gegen Wagnermusik weniger auf den antisemitischen Komponisten selbst als vielmehr auf ein „Anti-Bayreuth-Syndrom“ (Yirmiyahu Yovel)74 zurückgeführt werden, das sich gegen die Tradition der Festspiele „als Heiligtum, als Wagner-Kultstätte, als Ziel von Pilgerfahrten, und eben nicht als gewöhnlicher Aufführungsort für Musik“ richtet.

      Eine politische Festspielgeschichte

      Das vorliegende Buch will Gesichtspunkte einer politischen Geschichte Bayreuths aufzeigen. Ziel ist es, die Wechselwirkungen zwischen einem Kunstunternehmen und den jeweiligen politischen Umständen sowie zur Zeitgeschichte darzustellen und dabei die Kontinuitäten und Brüche in der Entwicklung der Festspiele zu veranschaulichen. Die Bayreuther Binnensicht soll mit einer Außenperspektive verknüpft werden, die die politischen Reaktionen auf die Festspiele untersucht und damit nach den Handlungsräumen von Kulturpolitik gegenüber einer politisierten Kulturorganisation fragt. Die Geschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik dient dabei als Folie, um Berührungspunkte und Unterschiede zur Bayreuther Geschichte deutlich zu machen. Nicht nur künstlerisch stellt sich die Frage, was das Bayreuther Ziel Wagners war und inwieweit die gegenwärtigen Festspiele diesem Ziel noch gerecht werden. Neben der Schilderung der ideologischen Positionen und Wandlungen der Festspiele sowie deren Widerhall im öffentlichen Kulturdiskurs geht es um die persönlichen Bayreuth-Verbindungen der politischen Machthaber, um Fragen der Repräsentation, vor allem aber auch um die kulturpolitischen Haltungen und Maßnahmen der jeweils Regierenden hinsichtlich der Festspiele. Es geht nicht zuletzt um den Zusammenhang von Weltanschauung und Geschäftssinn in Abhängigkeit vom rechtlichen und ökonomischen Status des Unternehmens. Die Geschichte Bayreuths wird dabei als Teil der übergreifenden politischen Wirkungsgeschichte Wagners verstanden.

      Eine politische Festspielgeschichte vermischt sozial- und kulturhistorische Ansätze und bezieht auch musik- und theaterpraktische Aspekte ein. Der interdisziplinäre Zugriff auf Wagner und die Festspiele schließt nach den Worten von Jörn Rüsen erprobte Routinen aus.75 Künstlerische Belange stehen in diesem Buch deshalb nicht im Vordergrund, werden allerdings nicht ganz ausgeblendet, insoweit sie von politischer Relevanz sind, was häufig genug der Fall ist. Die Frage, wie einzelne Personen die Festspiele künstlerisch und ideologisch beeinflusst haben, schließt biographiegeschichtliche Aspekte ein; geistes- und sozialgeschichtliche Gesichtspunkte werden beim Ideologieproblem und bei der Chiffre „Bayreuth“ berührt. Diese Chiffre ist als ein spezifischer sozialer Sachverhalt zu verstehen. Wenn hier von Bayreuth die Rede ist, so meint dies eine familiengestützte Institution, die regelmäßig Opernfestspiele durchführt, einen Kreis von künstlerisch tätigen Menschen, ein Publikum, eine Stadt mit ihren besonderen lokalen Gegebenheiten, ohne die das Unternehmen nicht existieren könnte, sowie eine Reihe von Vorfeldorganisationen und Publikationsorganen. In ihrem Aufbau folgt die Arbeit der Chronologie der Bayreuther Festspiele, schließt jedoch auch Exkurse mit Längsschnitten zu ausgewählten Themen ein. Richard, Cosima, Siegfried, Winifred, Wieland und der 2010 verstorbene Wolfgang Wagner sind paradigmatische Figuren, an deren jeweiligen Amtszeiten als Festspielleiter sich die Abschnitte im Wesentlichen orientieren. Diese Ordnung wird lediglich für die Zeit des Nationalsozialismus aufgebrochen, da es wichtig erscheint, die Geschichte von „Hitlers Hoftheater“ von ihren Voraussetzungen in der Weimarer Republik her zu betrachten. Grundlage für das Buch waren neben der breiten Forschungsliteratur Materialien aus zahlreichen Archiven, darunter dem Bayreuther Richard-Wagner-Archiv, dem Staatsarchiv Bamberg, dem Bundesarchiv in Berlin und Koblenz, dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin, dem Archiv für soziale Demokratie in Bonn und dem Institut für Zeitgeschichte in München.

      Aus Gründen der Lesbarkeit wurden alle zeitgenössischen Zitate an die moderne Orthographie angepasst.76 Das gilt auch für die „revolutionäre“ Kleinschreibung, die Richard Wagner zeitweise praktizierte. Im Anmerkungsapparat werden Kurztitel verwendet. Das vollständige Literaturverzeichnis sowie das Personenverzeichnis finden sich aus Platzgründen nicht im Buch. Sie sind in den E-Book-Fassungen sowie online unter www.wbg-wissenverbindet.de (Service/Downloads) zugänglich. Das Buch endet chronologisch in der frühen Bundesrepublik und enthält lediglich einen summarischen Ausblick auf die Festspielgeschichte der vergangenen fünf Jahrzehnte. Dies hat in erster Linie Materialgründe. Die Archivalien bis 1945 sind in öffentlichen Einrichtungen zugänglich, hauptsächlich im Richard-Wagner-Archiv. Das Material aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg liegt hingegen nach wie vor im Festspielhaus selbst, Umfang und Zustand sind unklar. Trotz nachdrücklicher Bemühungen ist dem Autor der vorliegenden Studie bisher kein Zugang zu diesen Beständen gewährt worden – verbunden mit dem Hinweis, es gebe im Festspielhaus überhaupt kein Archiv.77 Bei ihrem Amtsantritt 2008 hatten die gegenwärtigen Festspielleiterinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier noch signalisiert, sie wollten offener als bisher mit Forschungen zu Bayreuth umgehen. Der Umgang mit dem Nachlass von Wolfgang Wagner spricht allerdings eine andere Sprache und folgt eher den Gepflogenheiten des Verstorbenen als einem neuen Kurs.78 Auch die Nachlässe von Siegfried und Winifred, einschließlich fast des gesamten Briefwechsels mit Hitler, sind der Forschung weiterhin nicht zugänglich, da sie von der in München lebenden Winifred-Enkelin Amélie Hohmann unter Verschluss gehalten werden. Ohne vollständigen Zugang zu den Akten lässt sich aber eine bis in die Gegenwart reichende politische Festspielgeschichte vorerst nicht schreiben.

      An einer grundlegenden Erkenntnis über Bayreuth ändert dies vermutlich wenig. Eine wesentliche Bedingung für das Überleben und die Verstetigung der Festspiele über alle äußerlichen Brüche hinweg war die Anpassungsfähigkeit der Bayreuther Repräsentanten an die jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Umstände.79 Schon mit Blick auf Wagner selbst spricht Hans Mayer von den „Lebenserfahrungen eines geistigen Mitläufers“, der die verschiedensten geistigen Strömungen seiner Zeit „in fast unschuldvoller Gleichzeitigkeit“ in sich habe aufbewahren können.80 Hermann Hieber hatte es kurz nach dem Zweiten Weltkrieg schärfer formuliert: Privat wie politisch sei Wagner treulos gewesen. „Welch eine Wandlung (…) vom Dresdner Barrikadenkämpfer zum geschmeidigen Höfling bei dem geisteskranken, schon in den sechziger Jahren wahnsinnigen, und homosexuellen König Ludwig II. von Bayern und zum Komponisten des Kaisermarsches von 1871 als Huldigung für den ‚sieggekrönten‘ preußischen Wilhelm I.! Von Bakunin über Schopenhauer zum Grafen Gobineau, dem Propheten des Pangermanismus, und von dem Vater des deutschen Materialismus, Ludwig Feuerbach, zum mystischen Gralswunder geht die Reise. Alles, was nur irgend Erfolg verspricht, wird aufgegriffen, jeder, der ihm nützlich sein kann, umschmeichelt und ausgebeutet. Das urteutsche Reckentum, an dem die Welt genesen soll, die überschwengliche Liebe zum heiligen Vaterland, dem er ‚mit Tränen in den Augen ewige Treue gelobt‘, all das entdeckt er erst, nachdem er wiederholt in Paris durchgefallen ist.“81 Der Begriff des Mitläufers stammt indes aus einer anderen Zeit. Winifred Wagner wurde nach zwei Entnazifizierungsverfahren schließlich per Gesetz als Mitläuferin eingestuft. In gewisser Weise gilt dies für alle Wagners in allen Epochen. Mag der Grüne Hügel auch zuweilen quer zum Zeitgeist gestanden haben, die Fähigkeit zur Anpassung an die jeweiligen staatlichen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten hat dem Unternehmen sein Überleben bis in die Gegenwart gesichert. Auch in diesem Mitläufertum mit all seinen Motiven und Ausdrucksformen ist Bayreuth ein Spiegel der deutschen Geschichte.

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