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bevor die Misshandlung seitens seiner Verhörer zu weit gehen konnte, packte Lukas Malthys aus. Er gestand, dem Feind verraten zu haben, dass der Konvoi auf dem Weg nach Bisbee war.

      Die Mitglieder des Tribunals steckten für eine Weile die Köpfe zusammen und es wurde beschlossen, Lukas zu dem Camp zu bringen, das gerade an der Grenze entstand, wo er dann sein Versagen Malthys beichten konnte. Malthys würde anschließend höchstpersönlich über sein weiteres Schicksal entscheiden.

      Lukas wurde kurzerhand in einen Van auf den langen Weg nach Süden verfrachtet.

      KAPITEL 15

      Einer Regel folgt für gewöhnlich irgendwann eine Ausnahme und reichlich Ausreden. In Blackshaws Hotelzimmer in Bisbee drohte die aufgehende Sonne, Licht auf eine Flasche Billig-Rum zu werfen, die finster auf dem Nachttisch vor sich hin schimmerte. Der Fusel hatte beinahe dieselbe Farbe wie der Holzton der altmodischen Möbel. Neben der Flasche stand ein sauberes Glas. Weiter war Blackshaw nicht gekommen. Denn für gewöhnlich trank er keinen Alkohol.

      Doch heute Morgen war alles anders. Der immer dichter werdende Dunstschleier des Buschfeuers um die Stadt herum hatte inzwischen einen Verwandten in Blackshaws Seele. Wie war er nur hierher geraten? Er hatte keine Ahnung, wohin das Ganze führen sollte. Seine Frau, LuAnna lag regungslos und unerreichbar Tausende von Meilen entfernt auf Smith Island. Blackshaws engster Freund konnte ihn nicht mehr ausstehen und hatte ihm den Rücken zugekehrt und er hatte es nicht geschafft, Rufus Colquette Einhalt zu gebieten. Und obwohl die Polizei klare Beweise für die Verbrechen des jungen Mannes gehabt hatte, fand sich kein einziges Wort über seine Festnahme in den Zeitungen oder Nachrichtensendungen. Nur wenige Stunden zuvor hatte Blackshaw einen frustrierten, rassistischen Schwachkopf gefesselt in der Wildnis zurückgelassen, ohne jegliche Bedenken, dass dem Mann etwas zustoßen konnte. Blackshaw fragte sich, ob mit ihm etwas nicht stimmte.

      Er sehnte sich danach, die Versiegelung der Rumflasche aufzubrechen und ihren Plastikdeckel aufzudrehen. Er stellte sich vor, wie die Flüssigkeit beim Einschenken in das Glas leise schwappen würde. Der Alkohol würde dem rauchigen Duft des brennenden Landes im Süden, der in das Zimmer drang, etwas Süßliches und doch Explosives verleihen. Er glaubte halbwegs daran, dass irgendwo in dieser Flasche, vermutlich nahe des trüben Bodens eine Art Wahrheit lag; oder wenigstens süßes Vergessen. Der Schnaps würde entweder seine Verwirrung wegbrennen oder seinen Verstand benebeln, bis ihm alles egal war. Er war sich momentan nicht sicher, was ihm lieber wäre.

      Blackshaw öffnete den Koffer, der die Komponenten des Scharfschützengewehrs enthielt. Obwohl er die Waffe in der vorherigen Nacht in der Wüste nur zwei Mal abgefeuert hatte, um das Visier einzuschießen, reinigte er die Waffe jetzt gründlich. Von Zeit zu Zeit blickte er zu der Flasche hinüber, als wäre sie ein alter Freund, dem etwas auf der Seele lag und der einfach jemanden brauchte, der ihm zuhörte. Er fragte sich, ob es sich so anfühlte, ein Orakel zu konsultieren, den Göttern zu huldigen und auf deren Schutz angewiesen zu sein. Wie lange sollte er höflich auf Antwort warten, bevor er seinen eigenen Instinkten folgen konnte? Zum ersten Mal seit vielen Jahren vertraute er seiner inneren Stimme nicht mehr. Geistige Getränke konnten entweder seinen inneren Schweinehund nähren oder seinen moralischen Kompass verdrehen, mit dem er sonst seine wichtigen Entscheidung abwägte.

      Ein Junge war tot. Brutal gefoltert und ermordet. Die Gesellschaft, die sich auf der Verfassung gründete, die Blackshaw zu schützen geschworen hatte, hatte dieses Kind gleich zweimal im Stich gelassen. Erstens dadurch, dass die Umstände, die seinen oder irgendeinen anderen derart hasserfüllten Tod zuließen, überhaupt existierten. Zweitens, indem sie dem Killer, seinen Freunden und der radikalen Subkultur, die diesen Mörder hervorgebracht hatte, erlaubte, unbehelligt fortzubestehen, ja sogar florieren zu können, nachdem die Tat vollbracht worden war. Blackshaw glaubte, dass er in Richmond alles getan hatte, was ihm möglich gewesen war, um diesen Mörder und seine Freunde dem Gesetz auszuliefern, ohne dabei seine eigene Freiheit und die ersehnte Anonymität aufs Spiel zu setzen.

      Blackshaw entlud, reinigte und ölte nun die drei Gewehrmagazine. Er polierte alle siebenundfünfzig 9 x 39 mm-Patronen. Er wollte die alten Magazine nicht komplett befüllen, aus Angst, die ermüdeten Sprungfedern zu beschädigen und damit die korrekte Zuführung der Patronen zu unterbinden. Die panzerbrechenden Geschosse mit der blauen Spitze wogen nämlich fast doppelt so viel wie die 7,62 x 51 mm NATO-Patronen und waren auf Unterschallgeschwindigkeit ausgelegt. Ja, Worte reisten schneller und trafen manchmal härter als Kugeln wie diese, aber in diesen Tagen gefiel ihm, wie so ein Stahlkerngeschoss jeder Diskussion sofort ein Ende bereitete.

      Während Blackshaw sorgfältig die Patronen in die Magazine lud, ließ ihn die Rumflasche einfach nicht in Ruhe. Auch ohne einen Schluck getrunken zu haben, wusste Blackshaw instinktiv, dass sein Bestreben, diesen Jungen zu rächen, nur ein kläglicher Versuch war, sein Versagen an LuAnna wiedergutzumachen. Zugegeben, der Mann, der seiner Frau wehgetan hatte, war jetzt tot, und das durch Blackshaws eigene Hand, aber dieses Wissen schenkte ihm trotzdem nur wenig Trost. Ihm wurde mal wieder bewusst, dass das Leben ihm nichts schuldete … keinen Zuspruch, keinen Ablass für seine Vergangenheit, seine Entscheidungen oder Taten. Ob richtig oder falsch, er hatte die Verantwortung dafür selbst zu tragen, ein unsagbar schweres Päckchen. Er war die Summe all seiner Versäumnisse. Er spürte seine kranke Seele, die immer schwerer wurde. Für ihn sollte es keine Absolution geben … nicht ohne ein reinigendes Feuer oder erstickendes Blut.

      KAPITEL 16

      Pershing Lowry saß allein in seinem Washingtoner Büro und starrte auf das Gräuel auf seinem Computermonitor. Das Foto des gefolterten Jungen und der Tiere, die sich an seinem Elend und Verderben ergötzten, brachten ihn unweigerlich in Rage. Es gab einen persönlichen Grund für seine tief sitzende Abscheu. Viele Jahre zuvor war Lowrys Neffe, Nathan, auf einer Kirchenveranstaltung mit Übernachtung entführt worden. Lösegeld war allerdings niemals gefordert worden. Eine Leiche wurde niemals gefunden. Lowrys erweiterte Familie war immer noch zerrissen, manche warteten immer noch auf die Heimkehr des Jungen, andere glaubten schon lange nicht mehr daran, aber alle stocherten in einer tiefen, psychischen Wunde herum, die niemals heilen würde. Und nun gab es einen weiteren kleinen, schwarzen Jungen, der entführt und ermordet worden war. Dies ließ die Unmöglichkeit von Nathans Rückkehr noch schwerer auf seiner Seele lasten. An anderen Tagen bewahrte er die Erinnerung an seinen Neffen und die unbeantworteten Fragen seines Schicksals an einem Ort auf, der schlicht nicht hier war.

      Das Kind auf Lowrys Monitor, Sha’Quan Stewart, elf Jahre alt, war letzte Woche an einem Dienstag als vermisst gemeldet worden. Er war in Goochland, Virginia allein von der Sommerschule nach Hause gelaufen, oder zumindest auf sein Zuhause zu. Denn er war niemals dort angekommen. Niemand hatte danach wieder etwas von ihm gehört. Vermisstenmeldungen hatten keine soliden Spuren ergeben, jedoch war das FBI immer noch mit der sorgfältigen Auswertung von Tipps und Hinweisen beschäftigt.

      Es klopfte nun sanft an Lowrys Tür. Er erkannte den Rhythmus genauso wie britische Lauscher während des Zweiten Weltkriegs individuelle Übertragungsstile deutscher Verschlüssler wiedererkannt hatten. Lowrys Herz schlug sofort schneller.

      »Komm rein, Molly«, sagte er. Lowry setzte sich aufrecht hin und exhumierte ein Lächeln aus der Gruft seiner Gedanken.

      Die aufgeweckten braunen Augen von Senior Agent Molly Wilde vom Stadtbüro in Calverton, Maryland, lugten hinter der halbgeöffneten Tür hervor. Lowry erhob sich und Wilde schloss ihn in ihre Arme und küsste ihn fest auf den Mund. Dann lehnte sie sich zurück, um ihm in die Augen sehen zu können.

      »Bitte reg dich nicht auf«, neckte ihn Wilde. »Es weiß sowieso schon jeder Bescheid.«

      »Das ist es nicht«, erwiderte Lowry. »Du hast extra den langen Weg hierher gemacht. Du hättest doch auch anrufen können oder bis heute Abend warten.«

      »Ich wollte dich sehen wegen Sha’Quan Stewart. Bist du in Ordnung?«

      Jedem anderen Untergebenen hätte er sofort abgewunken. »Es ist schwierig«, war alles, was er anfangs zugeben konnte. Dann fügte er hinzu: »Wir haben bisher noch gar nichts. Wir müssen

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