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musste. Der Tag hat auch bei mir Spuren hinterlassen, dachte Fuchs, anders konnte er sich die kleinen Lichtpunkte nicht erklären. Ich bin müde. Er rieb sich die Augen. Nach ein paar Sekunden sah er wieder hinauf. Aber sie waren immer noch da − kleine Lichtpunkte, unscharf und verschwommen, wie durch eine beschlagene Brille betrachtet. Sie waren da und versuchten ihm etwas zu sagen, ihn zu …

      »He!« Fuchs sprang auf. »Siehst du das auch oder spinne ich?«

      »Was denn?«

      »Da, da oben. In der Decke. Die Punkte. Siehst du die auch? Los, sag schon, siehst du sie?«

      Ritter blickte zur Decke und tatsächlich, jetzt, nachdem ihn Fuchs darauf aufmerksam gemacht hatte, sah er sie ebenfalls: winzige Pünktchen, etwas verschwommen zwar, aber trotzdem zu erkennen. Und wenn mitten in der Nacht in einem geschlossenen Raum Lichtpunkte auftauchten, schlussfolgerte er, dann konnten es nur Glühwürmchen sein, was sie ausschlossen. Oder aber in dem Gebäudeteil über ihnen gab es noch − oder wieder − Licht! Und wenn das durch die Decke leuchten konnte, mussten da irgendwelche Risse, Kabelschächte oder so sein, durch die man vielleicht rauskam.

      »Los«, drängte Fuchs, »los, Mann, heb mich hoch! Ich kletter auf deine Schultern und dann schau ich mal, was da oben ist! Vielleicht ist das die Chance, hier wieder rauszukommen!« Und euch zurückzulassen, fügte er in Gedanken hinzu. Aber Ritters Bauch sagte ihm unmiss verständlich, dass er einem Hermann Fuchs nicht vertrauen konn te.

      »Weißt du was?«, schlug Ritter schließlich vor, »Wir schlafen jetzt ein, zwei Stündchen und dann geht es meinem Bein sicher schon viel besser. Und dem Bengel vielleicht auch.« Und dann hebe ich den Türken hoch! Der wird nicht abhauen und mich im Stich lassen!

      Aber Fuchs wollte nicht aufgeben, nicht jetzt! Warum noch warten? »Ich weck den Jungen. Dann könnt ihr mich zusammen hochheben, in Ordnung? Dann ist es für dich allein nicht zu schwer und ich schau, was da oben ist.«

      »Jetzt nicht!« Ritter klang plötzlich kalt.

      »He, was soll das? Vertraust du mir etwa nicht, Mann?«

      »Genau«, antwortete Ritter und griff sich wieder an sein Bein. In der Aufregung, welche die Lichtpunkte in ihm auslösten, hatte sein Körper den Schmerz fast vergessen. Jetzt erinnerte er sich aber umso intensiver an das Versäumte und wollte es schnellstmöglich nachholen. »Warum sollte ich dir vertrauen? Wir kennen uns erst seit heute Morgen.«

      »Sicher, ich versteh ja dein Misstrauen. Aber das ist vielleicht die einzige Chance, die wir haben! Los jetzt, heb mich hoch und ich hol uns hier raus.«

      Aber Ritter schüttelte nur den Kopf. »Nein.«

      Daniel Ritter hatte sich auf dem kalten Boden ausgestreckt und versuchte wach zu bleiben. Er betrachtete die Lichtpunkte über sich und hatte den Eindruck, dass sie langsam vorrückten. Aber wahrscheinlicher war, dass ihm seine überreizte Fantasie und die Müdigkeit einen Streich spielten. Vielleicht bekam er auch Fieber. Er fühlte sich erschlagen, wie nach drei Stunden im Studio mit Hanteln und Gewichten. Nein, es war schlimmer, denn die Erschöpfung und der Schmerz im Studio waren angenehm, waren kraftvoll und frisch. Das jetzt hier war die Erschöpfung eines Kranken, krank an Körper und Geist. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass er einfach mal eben so, im Vorübergehen sozusagen (einmal Pommes mit Majo, bitte), einen Menschen würde umbringen können. Er streckte sich und entlastete das schmerzende Bein, indem er einen seiner Turnschuhe unter die Kniekehle legte. Aber es war schon ein geiles Gefühl, dem Bullen den Inhalt des vollen Magazins in den Bullenbauch zu jagen! Wow, hatte der gezuckt! Und wie das Blut aus ihm rausspritzte! Wahrscheinlich würden sie den Eingang zum Revier mit einem Dampfstrahler reinigen müssen.

      Er musste wach bleiben, das war die einzige Möglichkeit. Den Fuchs im Auge behalten, bevor er das Bein stiehlt. Im Auge … er lächelte blöde. Wie sollte man hier etwas im Auge behalten? Die Lichtpünktchen vielleicht?

      Er hatte Durst und musste pinkeln.

      Er hörte Mehmet jetzt tief und regelmäßig atmen. Vorhin, als Fuchs seine Stimme erhoben hatte, um Ritter davon zu überzeugen ihn jetzt und sofort an die Decke zu heben, da war der Bengel kurz unruhig geworden. Aber jetzt schlief er wieder tief und fest. Und wahrscheinlich hatte er den Daumen im Mund, während seine andere Hand zwischen den angewinkelten Knien liegt, wie bei einem kleinen Kind. Aber so sehr er sich auch bemühte, er konnte Fuchs nicht atmen hören. Kein Geräusch aus dessen Richtung, keine Bewegung, nichts. Als wären er selbst und Mehmet allein. Er versuchte seinen Durst zu ignorieren, aber seltsam, egal an was er auch dachte – den toten Bullen vor dem Revier, den anderen, dem er das mit seinem Bein zu verdanken hatte oder die Leute am Morgen vor der Sparkasse –, immer wieder schob sich das Bild eines frisch gezapften Bieres vor sein inneres Auge. Mal war es auch ein Gebirgsbach, frisch und klar, er konnte das Plätschern des Wassers hören, es riechen.

      Kann Wasser riechen?

      Ritter wälzte sich auf die andere Seite.

      Warum war Fuchs so still? Beobachteten ihn seine Ohren? Warte te er nur darauf, dass Ritter einschlief, um ihn dann im Schlaf zu töten? Der Gebirgsbach sprang ausgelassen über blank polierte Steine. Gräser und gelbe Blumen säumten den Weg des Wassers und in den winzigen Tropfen, die wie tanzende Kinder hoch in die Luft sprangen, spiegelte sich dunkelrot die Sonne. Blutrot.

      Aber nein, überlegte Ritter, Fuchs würde ihm nichts antun. Sie waren aufeinander angewiesen. Sich gegenseitig zu töten wäre ein klassisches Eigentor. Das Wasser war blutrot! Es war Blut, das durch das Bachbett tobte, rechts und links standen hässliche Fratzen Spalier, die Fratzen dieses Tages. Sie waren alle da und starrten mit leerem Blick ins Wasser. Ins Blut.

      Sollte er hier irgendwo in eine Ecke pinkeln?

      Ihn schauderte bei dem Gedanken, in einem Raum zu schlafen, in den er auch urinierte. Morgen, dachte er, morgen werden wir hier raus kommen. Morgen. Wie wohl der Tote aussieht, in den Mehmet seine Hände gesteckt hatte? War es ein Mann, eine Frau, ein Kind? Aus dem Zapfhahn schoss ein dicker Strahl goldenes Bier.

      Amputieren.

      Blutiges Bier.

      Fuchs, du hast das Bein gestohlen.

      Pinkeln, bitte, nur ein bisschen.

      Endlich, es war inzwischen kurz vor drei am Morgen, schlief er ein.

      Hermann Fuchs hatte die Beine angezogen und die Arme um sie geschlungen. Er sah hinauf zu den kleinen Lichtpunkten und überlegte, welcher Raum darüber sein könnte, um welche Lichtquelle es sich wohl handeln mochte. Fuchs war nicht müde. Nicht heute, nicht in dieser Nacht. Er spürte das Geldbündel an seiner Brust und ihm kam zum ersten Mal der Gedanke, dass es wertlos sein könnte. Konnte ihn das Geld hier rausbringen? Konnte er sich damit freikaufen? Konnte er es essen oder trinken? Und selbst wenn er hier wieder rauskommen sollte, wie würde diese neue Welt da draußen in Zukunft funktionieren? Würde es noch Geld geben oder nur Tauschhandel und das Gesetz des Stärkeren?

      Er war an diesem Morgen auf dem Weg zum Sozialamt gewesen, um sich sein Geld für die zweite Monatshälfte abzuholen. Früher hatte er den kompletten Betrag am ersten oder zweiten des Monats erhalten, aber weil er regelmäßig spätestens am zehnten mit leeren Taschen und Alkoholfahne wieder im Amt aufgekreuzt war, hatte dieses die Teilzahlung eingeführt.

      In ihm gierte alles nach einer Zigarette und einem Schluck hinterher.

      Später. Wenn er erst mal hier raus war.

      Irgendwann schlief er doch ein. Als er erwachte, wusste er im ersten Moment nicht, wo er war. Er fühlte sich benommen, wie nach einer durchzechten Nacht, und rieb sich die Augen. Dann kam die Erinnerung zurück.

      Mehmet lag mit offenem Mund auf der Seite und schlief, Ritter ebenso, nur saß der an die kalte Wand gelehnt und hatte sein Bein von sich gestreckt. Unter der zerrissenen Hose konnte Fuchs die Wunde erkennen, sie sah furchtbar aus. Sie sah furchtbar aus? Sehen?

      Sein Blick ging zur Decke, dahin, wo in der Nacht die Lichtpunkte waren.

      Über ihm wölbte sich eine Milchglaskuppel!

      Genau

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