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zurück, um an dem Ort seines neuen Aufenthalts alles zu ihrem Empfang vorzubereiten. Es verging eine geraume Zeit, ehe die junge Frau Nachricht von ihrem Gatten empfing, und selbst als der angekommene Brief ihr ankündigte, dass der Tag der Abreise noch nicht festgesetzt werden könne, fühlte sich Madam Bertram über diese neue Vernachlässigung nicht gekränkt, wie sich wohl denken lässt, denn sie konnte ungestört für die Pflege ihres Kindes leben. Das Verhältnis unter den beiden Gatten konnte ihren näheren Bekannten kein Geheimnis bleiben, und ein junger Mann, Ferdinand von B., der die hübsche junge Frau schon längst mit neidischen Augen betrachtet hatte, benutzte dieses Verhältnis und die Abwesenheit des Herrn Bertram, um sich ihr bemerkbar zu machen. An Gelegenheit dazu fehlte es ihm nicht, da er ein Bekannter des abwesenden Gatten war und dessen Haus schon oft betreten hatte. Anfangs waren die Aufmerksamkeiten Ferdinands der jungen Frau nicht unangenehm, später, als sie Vergleiche zwischen ihm und ihrem groben Gatten anstellte, sah sie ihn gern, bis sich endlich die Liebe, die ihr bis jetzt fremd gewesen war, ihres Herzens bemächtigte. Je weniger sich Herr Bertram um seine Frau kümmerte, desto mehr tat es Ferdinand; er schwor ihr, sie von dem Tyrannen zu befreien und neue Ehebande mit ihr zu knüpfen. Herr Ferdinand war ein schöner Mann und seine Schwüre fanden Gehör. Es verflossen wohl zwei Jahre, und Madam Bertram, die nur noch von Ferdinand abhing, der ihr vorgespiegelt hatte, die Scheidung mit ihrem Gatten sei bereits beantragt und würde demnächst erfolgen, wurde abermals durch einen Knaben erfreut. Kaum war sie genesen, als eines Tages plötzlich ihr Gemahl, der Kunde von dem Vorfall erhalten hatte, in ihr Zimmer trat und Ferdinand von B. antraf. Nach einem kurzen Wortwechsel zog Herr Bertram zwei Degen unter seinem Mantel hervor; der Kampf begann im Zimmer der jungen Frau, und noch ehe diese dazwischentreten konnte, lag ihr Gatte in seinem Blut. Des Gegners Klinge hatte ihm das Herz durchstoßen. Noch denselben Abend fuhr ein Reisewagen aus dem Tor. Die junge Witwe mit ihren beiden Kindern und Ferdinand saßen darin. Das Ziel der Reise war Triest. Hier schied Ferdinand von seiner Geliebten, nachdem er ihr ein bedeutendes Kapital in Banknoten überreicht hatte, mit dem Versprechen, bald zurückzukehren. Das beträchtliche Kapital erweckte zuerst den Verdacht der jungen Frau. Wie konnte ein einfacher Mann, der auf eine Staatsanstellung hoffte, – dies hatte Ferdinand ihr gegenüber erwähnt – über eine solche Summe disponieren? Und warum gab er ihr im Augenblick des Scheidens diese Summe? Um ihre Existenz auf Wochen, selbst auf Monate zu fristen, wäre der zwanzigste Teil hinreichend gewesen. Unter banger Erwartung verging die Zeit; der versprochene Tag von Ferdinands Ankunft erschien, der Ersehnte aber blieb aus. So vergingen fünf Jahre und eine stille Schwermut hatte sich der Verlassenen bemächtigt; sie hörte weder von den Folgen des unglücklichen Duells noch von dessen Urheber. Ein einfaches, sparsames Leben hatte nur einen geringen Teil ihres Kapitals in Anspruch genommen; mit dem übrigen verließ sie Triest und zog in die Residenz, teils, um ihren Kindern eine gute Erziehung geben zu lassen, teils, weil sie hoffte, hier etwas von ihrem treulosen Verführer zu erfahren. Nachdem auch hier wieder zwei Jahre verflossen waren, gab sie alle Hoffnung auf, den Vater ihres zweiten Sohnes, der zu einem hübschen, munteren Knaben von sieben Jahren herangewachsen war, jemals wiederzusehen. Richard zählte neun Jahre und besuchte bereits die unteren Klassen eines Gymnasiums. An einem schönen Herbsttag ging Frau Bertram, ihren jüngsten Sohn an der Hand, durch eine der Hauptstraßen der Residenz. Plötzlich fährt ein offener, prachtvoller Wagen, in dem ein hoher Stabsoffizier saß, an ihr vorbei. Sie blickt hin und stürzt mit dem Ausruf: ›Ferdinand‹ den Pferden in die Zügel, um ihren Lauf zu hemmen. Der Kutscher hält an, die unglückliche Frau aber, von einem Stoß der Deichsel getroffen, lag ohnmächtig am Boden. In einem kleinen Krämerladen, der sich in der Nähe befand, schlug sie nach einer Viertelstunde wieder die Augen auf; die prächtige Karosse und ihr Sohn aber waren verschwunden. Aus einem Taschenbuch, das sie bei sich trug, erfuhr man ihre Wohnung, wohin sie mitleidige Menschen in einem Wagen schaffen ließen. Der Verlust des Knaben und die durch den Wagen erlittene Verletzung raubten der armen Mutter den Gebrauch ihres Verstandes; eine alte Dienerin leitete das Hauswesen und Richard blieb der Obhut seiner Lehrer überlassen. Das Kapital wurde mit jedem Jahr geringer und war gänzlich zusammengeschmolzen, ehe der junge Mann seine Studien auf der Universität beendet hatte; er musste abgehen, um durch Arbeiten seine Mutter, deren Geisteskrankheit die Zeit gemildert zu haben schien, zu ernähren. Diese Wohnung, in der Hunger und Elend ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben, ist das Resultat seines Mühens, Verzweiflung der Lohn seiner treuen Arbeit.«

      Der Greis schwieg einen Augenblick und trocknete eine Träne, die ihm über die bleiche, gefurchte Wange rann. Die jüngere der beiden Damen vermochte kaum ihre Fassung zu behaupten; ihr Taschentuch am Mund, hatte sie sich still weinend abgewendet.

      »Aber wovon lebten die beiden armen Leute, als es an Arbeit fehlte?«, fragte die ältere Dame.

      »Wovon sie lebten?«, antwortete der alte Wilibald verlegen. »Je nun, sie mussten zufrieden sein – ich teilte mit ihnen, was ich Ihrer Großmut verdanke. Ja, meine lieben, guten Damen, Ihre Spenden haben drei Menschen erhalten! War es nicht meine Pflicht, mit denen zu teilen, die so lange mit mir geteilt haben? Nicht wahr, Sie sind mir deshalb nicht böse?«

      »O ja«, antwortete das junge Mädchen eifrig, »ich bin Ihnen recht böse, Herr Wilibald. Warum haben Sie uns nicht gesagt, dass Ihren Nachbarn auch Hilfe nottut? Sie wissen ja, dass wir einem Verein angehören, der sich die Unterstützung Hilfsbedürftiger zur Pflicht gemacht hat.«

      »Beruhigen Sie sich, liebe Anna«, sprach die Ältere, »es ist immer noch Zeit, den Leuten zu helfen; ich werde sie in unsere Liste aufnehmen.«

      Bei diesen Worten zog sie ein Taschenbuch hervor und trug den Namen der Frau Bertram ein. Der Greis wandte sich ab und trocknete seine Stirn. Anna folgte ihm und drückte ihm eine Börse in die Hand.

      »Nehmen Sie, Vater Wilibald«, flüsterte sie, »es ist für Sie, für die arme Frau und ihren Sohn!« Der Alte zögerte, die Börse zu nehmen.

      »O so nehmen Sie doch«, bat sie unter Tränen; »wenn der junge Mann Arbeit erhalten hat, können Sie es mir zurückzahlen, ich leihe es Ihnen! Aber sagen Sie nicht, dass das Geld von mir kommt. Hören Sie, er darf es nicht erfahren!«

      »O Gott«, rief Wilibald, »ich muss ja wohl, um uns vor Hunger zu schützen! Der Zustand, in dem Sie meine unglückliche Nachbarin trafen, ist eine Folge unserer traurigen Lage; sie hält sich für die Mörderin des Vaters ihres Sohnes und glaubt, wenn er noch lebte, würde das Los ihres Richard ein anderes gewesen sein. Ich sehe sie heute ebenfalls zum ersten Mal in diesem Zustand. Nun, Gott und gute Menschen werden ja helfen!«

      »Und nun leben Sie wohl«, sprach die Matrone; »wir haben diesen Vormittag noch einige Besuche abzustatten. Anstatt einmal, werden wir jetzt zweimal in der Woche zu Ihnen kommen. Adieu, Herr Wilibald!«

      »Ich komme morgen zurück«, flüsterte Anna dem Greis ins Ohr, »um von Ihnen zu erfahren, wie es der armen Frau geht. Lassen Sie es an nichts fehlen. Adieu, Herr Wilibald!«

      Zehn Minuten später trat Herr Wilibald in Frau Bertrams Zimmer und legte lächelnd eine Handvoll Silbergeld auf den Tisch.

      »Herr Wilibald!«, rief ein junger Mann von vierundzwanzig Jahren, als er bemerkte, was der Greis getan hatte.

      »Wo ist Ihre Mutter, Richard?«, fragte dieser.

      »Ich brachte sie in die Kammer auf ihr Bett, wo sie erschöpft eingeschlummert ist.«

      »Gut, in einer Stunde komme ich wieder!«

      »Herr Nachbar, ein Wort …!«

      »Still, dass Ihre Mutter nicht erwacht! Sorgen Sie für die arme Frau und für mich, denn ich werde das Mittagessen bei Ihnen einnehmen, mein junger Freund.«

      Mit den letzten Worten hatte der Alte das Zimmer wieder verlassen. Zehn Minuten später trat der junge Mann aus der finsteren Haustür auf die Straße, um die nötigen Einkäufe zu besorgen. Herr Wilibald hatte seine Tür verschlossen und sich wieder zur Arbeit an den Tisch gesetzt.

      Auf einem großen Platz der inneren Stadt erhob sich ein schönes, drei Stock hohes Haus, über dessen Haupteingang die Firma »Hubertus et Comp.« in mächtigen Buchstaben zu lesen war. Schon früh, wenn der Morgen dämmerte, öffneten sich dessen schwere Flügeltüren, um zahlreichen

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